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Ausgabe:

1992

Spalte:

834-835

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Giblin, Charles H.

Titel/Untertitel:

The book of Revelation 1992

Rezensent:

Taeger, Jens-Wilhelm

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833 Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

menkreisen Poetik, Offenheit und Information [in:] Das offene
Kunstwerk, Frankfurt 1977); sondern - wenn die Teilnehmer
z.B. von Predigtnachgesprächen nicht allesamt heucheln, kann
man auch so etwas wie ein kollektives „ Auf-Anhieb-Verstehen"
von Gleichnissen erleben. Damit meinen wir nicht, daß alle „Re-
zipienten" zu demselben Urteil gelangten - aber daß doch sehr
viel mehr als keiner oder nur zwei, drei davon zu sprechen imstande
sind, daß ein Gleichnis ihr Weltbild verändert und ihnen
eine neue, unerwartete, überraschende Perspektive für ihr Leben
erschließt (die der Prediger gar nicht „erwähnt" hat)-ja, daß das
Gleichnis gewissermaßen eine Erkenntnis-generierende Wirkung
erhält, wem es in einen anderen Kontext als in den Kontext standardisierter
Fragen gestellt wird. Unversehens können „Rezi-
pienten" im besten Sinne des Wortes zu Produzenten von Gleichnissen
werden.

Damit wollen wir den Versuch Buchers keineswegs als vergeblich
apostrophiert haben. Wir lesen ihn jedoch vor allem alseinen
Appell an alle, die in Unterricht, Predigt oder sonst mit Gleichnissen
zu tun haben und dazu neigen, deren „Lösungen" vorzutragen
, anstatt ein Wahrnehmungsfeld zu schaffen, in dem ein
Gleichnis zu leben anfangen kann, semantische Strukturen anzubieten
, mit denen sich die Kinder oder Jugendlichen oder Erwachsenen
über das Gleichnis „hermachen" können.

Was oben im Hinblick auf eine (zu) enggeführte Rezeptionsästhetik
bemerkt wurde, gilt auch für das vom Vf. schließlich
erarbeitete „operationalisierte Gleichnisverständnis" (33). Faktisch
reproduziert es das Jülersche Modell von Bild[hälfte] und
Sach[hälfte]. Im Grunde findet die Veränderung dieses Modells
nur dort statt, wo Bucher die Frage nach der Rolle des Rezipien-
ten ins Spiel bringt. Dafür aber, daß er in diesem Zusammenhang
sehr oft mit Versatzstücken aus der strukturalen Semantik operiert
, übernimmt er u. E. allzu leichtfertig die (für rezeptionsästhetische
Überlegungen ungeeignete) Terminologie von der
„Sache", die dem Bild korrespondiere (33). Gerade an diesem
Punkt jedoch hätte die Kritik der modernen Rezeptionsästhetik
greifen können, die behauptet, zunächst einmal gehe es immer
um semantische Welten. Ihr zufolge korrespondieren dem Wahrgenommenen
(Im Verstehens- und Verständigungsmodus!) zugeordnete
Deutungen - in gewisser Hinsicht: weitere Bilder - die,
will man sie erklären, weiterer Interpretationsarbeit bedürfen.

Weiterhin scheint der „Stand der Forschung" - die Gleichnisexegese
der drei Beispiele betreffend (88-100) - faktisch allein
von Weder bezogen zu sein. Das irritiert insofern, als doch der Vf.
die Gleichnisse im Rahmen kommunikativer Paradigmen erklären
will. Weder jedoch läßt in seinen Untersuchungen den Hörer
weitestgehend außen vor; Bucher wiederum kommt nur zu einer
Hörerbestimmung (Mt 20, 1-16).

Schließlich sei doch noch auf einige offenkundige Fehleinschätzungen
hingewiesen:

1. Daß die Gleichnisse nur geringfügig im Traditionsprozeß
verändert worden seien (10), ist mit Weder kaum zu vertreten. Er
und andere nehmen im Gegenteil erhebliche Veränderungen -
vor allem in den .kommentierenden Textanhängen' - an.

2. Bucher irrt, wenn er meint, nach E. Arens (Kommunikative
Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse
Jesu für eine Handlungstheorie, Düsseldorf 1982) käme den
Gleichnissen keine argumentative Funktion zu. Vielmehr stuft
sie Arens durchaus als Argumente in der Auseinandersetzung
Jesu mit seinen Gegnern ein, wenn er betont, daß die Gleichnisrede
als Gattung „die Richtigkeit seines [d.i. Jesu, Ergänzung
W. E.] Handelns bzw. der diesem zugrundeliegenden Normen"
aufweise (ebd.. 359).

3. Als regelrechte Plattheit empfindet man die Unterbutterung
des Interpretationsrepertoires Jülichers in den Zeitgeist der
„Wilhelminischen Aera" (21, 90 u.ö.). Natürlich gehört jede
Theologie in einen zeitgeschichtlichen Kontext; aber es zeugt ge-

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rade nicht von Umsicht, Jülicher auf eine konkrete Auslegung hin
auf die „zweite Stufe" zu degradieren (90), nur weil er an dieser
Stelle ein appellatives Moment im Text überwiegen sieht.

Ebenso unausgewiesen ist die laxe Abrechnung mit Drewermann
gleich in der Einleitung (6), die damit gerechtfertigt wird,
daß seine Psychotheologie „zahlreiche psychologische Fehlschlüsse
" beinhalte (vgl. Bucher 1988a). Zumindest angesichts
der Wirkungsgeschichte Drewermannscher Gleichnisinterpretation
hätte diese Vorentscheidung doch einer eingehenderen Auseinandersetzung
bedurft. Das hätte der Profilierung des Anliegens
Buchers gewiß nicht geschadet.

Greifwald Wilfried Engemann

Leipzig Christoph Kahler

Giblin, Charles Homer: The Book of Revelation. The Open Book
of Prophecy. Collegeville, MN: The Liturgical Press 1991. 231
S. 8° = Good New Studies, 34. Pb. $ 14.95.

Der Kommentar wendet sich an einen größeren Leserkreis,
setzt bei diesem allerdings "the equivalent of some college-level
education, particularly in humanities" (7) voraus, verzichtet
weder auf Anmerkungen noch auf griechische, gelegentlich auch
hebräische Zitate (in Umschrift) und zieht (z.T. neueste) Sekundärliteratur
heran (leider fehlt ein Literaturverzeichnis). Wenn
G. von dem, was er im Anschluß an v. Dobschütz als "the old,
glossatorial method" (35) bezeichnet, Abstand nimmt, ist
dadurch die Erörterung exegetischer Detailfragen keineswegs
ausgeschlossen; er rückt allerdings die übergreifenden Zusammenhänge
in den Vordergrund, konzentriert sich auf das Herausarbeiten
der literarischen Struktur, der apokalyptischen Eschato-
logie und des grundlegenden Themas des Werkes. Entsprechend
werden bereits in der Einleitung (9-35) die Verfasserfrage (Johannes
ist ein Wanderprophet mit jüdisch-palästinischem Hintergrund
, nicht identisch mit dem Autor des JohEv oder der
Briefe) und die Entstehungsbedingungen (um 95 n.Chr., die
Christen sind sozialer Diskriminierung und vereinzelt auch
schon der Verfolgung ausgesetzt) sehr knapp abgehandelt. Breiteren
Raum beanspruchen die Skizze des Aufbaus und des Inhalts
der Apk, der Abriß der eschatologischen Sicht (sie ergibt sich aus
1,19; in dem mit 4,1 beginnenden Teil geht es in erster Linie um
die Ausführung des Planes Gottes, die Durchsetzung seiner Herrschaft
in näherer und fernerer Zukunft mit den einander korrespondierenden
Aspekten der Erfüllung des Zornes Gottes [ 16,17b:
gegonen] und der Heraufführung der neuen Schöpfung [21,6a: ge-
gonan]), vor allem aber die Darstellung des "dominant, unifying
theme of the major vision: God's Holy War of Liberation" (24),
das nicht nur, jedoch besonders in Apk 4-22 hervortritt (25-34;
vgl. den Anhang: 222-231).

Zur literarischen Struktur des Werkes legt G. einen bis ins einzelne
ausgefeilten Entwurf vor (zum Überblick [12-18] sind unbedingt
die Begründungen und Feinanalysen jeweils z. St. zu vergleichen
, ebenso das Druckbild der Übersetzung). Nun gilt die
Feststellung von A. Y. Collins aus dem Jahr 1976 unverändert:
"There are almost as many outlines of the book as there are inter-
preters" (The Combat Myth ..., 8). So kann es nicht ausbleiben,
daß es in G.'s Vorschlag einiges gibt, das nicht auf ungeteilte Zustimmung
treffen wird, etwa die Gliederung des zweiten Hauptteils
(Kap. 4ff) in sieben Hauptabschnitte (I: 4f; II: 6,1 - 8,5; III:
8,6- 15,8; IV: 16; V: 17,1 - 19,10; VI: 19,11 - 21,8; VII: 21,9 -
22,11), die Abgrenzung der vom Apk-Autor selbst gezählten Reihen
(bis 8,5; 15,8; 16,21), die Identifizierung des dritten Wehe
(vgl. 11,14) mit der siebten Posaune (11,15-15,8; vgl. dazu 129),
in deren konzentrischer Ordnung 15,1 das Gegenstück zu
12,1-18 bildet (1440. Jeder Ausleger steht vor der Frage, welches
Gewicht er vermeintlichen Textsignalen einerseits (z. B. wird ein