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Ausgabe:

1992

Spalte:

823-825

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lattke, Michael

Titel/Untertitel:

Hymnus 1992

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

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falls genuin autochthone Produkte sein dürften, reichten in ihrer
Tradition bis zur ausgehenden MB zurück, könnten aber in einigen
Exemplaren während der SB und signifikant in der EI belegt
werden. Abschließend diskutiert der Vf. den Beitrag der früh-
eisenzeitlichen Glyptik zur Religionsgeschichte Palästina/ Israels
(396-421) und beschreibt die wichtigsten Elemente des Dekors
der Siegelamulette im Kontext anderer Zeugnisse der EI-Kultur I
(z.B. Amun; der „Herr der Krokodile"; Seth-Bacal; Reschef;
405-421). Die Siegelamulette demonstrierten, „dass bereits in
der EZ I eine Anzahl wichtiger Voraussetzungen für charakteristische
Züge des JHWH-Glaubens" - wenn auch „in einer vorläufigen
Form" - gegeben waren. (420)

Ein Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten
Literatur (423-455) sowie Bildtafeln beschließen die Publikation
.

Mit dieser Veröffentlichung zur Ikonographie und Epigraphik
von etwa 200 Siegelamuletten aus Palästina wurde ein äußerst
wichtiger Beitrag zur Rekonstruktion des religiösen Symbolsystems
der EI geleistet. Gerade da die zur Verfügung stehenden
Quellen zur EI sehr spärlich bleiben, ist das glyptische Material
als eine unmittelbare Quelle zur EI-Geschichte Palästinas mit
seinen zwar noch fragmentarischen, dennoch aber für die forma-
tive Zeit der EI äußerst wichtigen Ergebnissen zur Erfassung der
geistigen Umwelt, ihrer Tendenzen und Strömungen, von unschätzbarem
Wert.

Berlin Dieter Vieweger

Lattke, Michael: Hymnus. Materialien zu einer Geschichte der
antiken Hymnologie. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag;
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. XIV, 507 S. gr.8 -
Novum Testamentum et Orbis Antiquus, 19. Lw. DM 130,-.

Ursprünglich für einen Artikel des RAC vorgesehen, liegt uns
eine Materialsammlung vor, für die die Forschung auf lange Zeit
dankbar sein wird. Eigentlich alles, was man mit „Hymnus" bezeichnen
kann, einzig ausgenommen der fernöstliche Bereich mit
dem Buddhismus (Vorwort und Epilog), wird stichwortartig vorgeführt
. Verständlicherweise konnte ein so umfangreiches Registerwerk
nicht in die RAC eingehen. Man kann das Werk am ehesten
mit einer Bibliographie zu einer Spezialfrage vergleichen.
Doch ist den Registern (373-505; im Literaturverzeichnis, 389-
453, fehlen die kleineren Zeitschriftenartikel teilweise) eine breit
gefächerte Vorstellung des Materials vorangestellt. Die Gliederung
folgt dem RAC: Teil A ist der vor- und außerchristlichen
Antike gewidmet. Hier findet man griechisches und römisches
Altertum, Alten Orient, Altes Testament, Samaritaner, Zarathu-
stra. Corpus Hermeticum, die Nag Hammadi Codices, Mandäer
und Manichäer (11-241), besonders breit die Mandaica. Teil B
richtet das Augenmerk auf die christliche Antike, d.i. Neues Testament
, Apostolische Väter und Kirchenväter bis etwa 7. Jh.,
Gnostica, Oden Salomos, Papyri, griechische und lateinische Pa-
tristik samt den Kirchenordnungen. Bei dieser Einteilung kommt
es gelegentlich zu Unsicherheiten der Zuordnung, zum Beispiel
bei den Codices von Nag Hammadi. Auch dürfte die Unterstellung
des Alten Testaments und des Judentums unter Teil A zu der
Schwierigkeit führen, daß die für hymnologische Fragen so wichtigen
Verbindungslinien (Psalmodic!) nicht klar genug hervortreten
. Doch dürfte dafür den Vf. keine Verantwortung treffen.

In einem Nachwort „zum vorliegenden Buch" (507) verweist
Lattke auf den Untertitel. Es handle sich „noch nicht um eine
Geschichte der antiken Hymnologie, sondern um eine möglichst
vollständige, kritisch gesichtete Materialsammlung für eine solche
", die allenfalls von einem großen Team von Forschern erstellt
werden könne. Die Materialien reichen von „Homer" bis

ins 7. Jh.! Gleichzeitig mit dem Material führt Lattke die technische
Terminologie vor, möglichst in der Selbstaussage. Da
„Hymnos", „hymnein" und die Fülle ähnlicher Begriffe aber im
Lauf der Jahrhunderte ihre Bedeutung geändert haben können,
ist die nirgends durch Vergleiche aufbereitete terminologische
Selbstaussage eher verwirrend als hilfreich. Man kann von der
Materialsammlung selbst auch nur wenige Auskünfte über die Inhalte
, die liturgischen Voraussetzungen usw. erwarten. Hierzu
wird man auf Spezialuntersuchungen angewiesen bleiben. Dafür
will das Werk die Voraussetzungen ebnen. Eine wirkliche Erleichterung
bedeutet es insofern, als die grundlegende Literatur
genannt, anstehende Fragen und Gegenpositionen referiert und
gelegentlich kritische Rückfragen gestellt werden.

Die Hymnenforschung unterliegt immer noch der Schwierigkeit
, daß man sich über einige grundlegende Fragen nicht einig
ist. Das vorliegende Werk macht auf manche Schwierigkeit wenigstens
aufmerksam:

1. Das beginnt bei der Definition. „Hymnos" kann man im
engeren Sinne auf das Preislied einer größeren Versammlung beziehen
, das Wort kann auch ganz allgemein den Vortrag an bestimmte
Gottheiten gerichteter Rede bezeichnen. Zudem spielt
die Deutung der alttestamentlichen Psalmen als Hymnen in die
Begriffsgeschichte herein. Das macht die Unklarheit in den
Selbstaussagen des Materials aus. Genaueres wird man erst noch
in einer Begriffsgeschichte erarbeiten müssen.

2. Ungeklärt ist auch die Aufführung der antiken Hymnen.
Lattke untersucht diese Frage nicht selbständig, weiß aber (siehe
die Bemerkung auf S. 348), daß man in der Antike nicht unmittelbar
an Singen denken darf (dies müsse „als problematisch bezeichnet
werden"). Ephraem-syr Vita 31 (4. Jh.) trug seine Strophen
zur Kithara vor und lehrte, die Refrains mitzusingen.
Handelte es sich dabei um wirkliches Singen oder um chorisches
Sprechen? Die in den Belegen immer wiederkehrende Wendung
„Hymnen reden" spricht eine eigene Sprache! Ich notiere Plinius
ep. 10,96 (2. Jh.); ProtevJak 6,3 (2. Jh.); ClemAlex Protr. II 37,4
(2./3. Jh.); ActAndr 38,18f. (2. Jh.); Tert. adv. Marc. III 22,6 (273.
Jh.: hymnum diecre); Eusebius PG XXIII 71-72D (374. Jh.) mit
seiner Unterscheidung von „Psalm" als dem auf dem Psalterion
gespielten Lied und „Ode" als musikalischer Rede ohne Instrument
; ThomAct 108ff (Perlenlied, 4. Jh.).

3. Lattke wünscht sich mehrmals, daß die Frage nach den Gattungen
der Hymnen präzisiert werden möchte. Wenn wir überhaupt
zur Erkenntnis bestimmter Verbindungslinien über die
Religionsgrenzen hinweg gelangen wollen, werden wir hier weiterarbeiten
müssen. Denn am ehesten in den Redeformen wird es
Entlehnungen und Übernahmen geben, mehr als in den Inhalten.

4. Daß bei gravierenden Umbrüchen wie dem urchristlichen
Aufbruch vor allem inhaltliche Neuorientierungen erfolgt sind,
daß ganz neue Formen gefunden werden mußten (zum Beispiel
für die Christologie), daß man ältere Strukturen neu füllen oder
ändern konnte, das alles kann die vorliegende Matcrialsammlung
für sich noch nicht vorführen. Auf diesem Gebiet erscheint sie
mehr wie eine sammelnde phänomenologische Zusammenstellung
, die die Unterschiede nicht bewußt macht.

5. Schließlich vermißt man eine saubere Differenzierung zwischen
liturgischen Stücken und Literaturprodukten. Solange wir
die literarische Analyse vernachlässigen, werden wir kaum mit
überzeugenden Gründen vorführen können, was zum Beispiel
beim urchristlichen Gottesdienst nun tatsächlich geschah. Der
Hinweis (238), daß in der Didache der Wortgottesdienst kaum
berücksichtigt werde, kann doch nicht zu der Konsequenz führen
(239), viele Urteile „über ntl.-frühchristlichen Hymnengesang"
würden in Frage gestellt. Oder stellen wir uns die erste Christenheit
immer noch wie die mittelalterliche Kirche Roms als eine
überschaubare, mit liturgisch klar geregelten Ordnungen handelnde
Gemeinschaft vor? Das Material läßt doch viel eher an