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Ausgabe:

1992

Spalte:

60-62

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rich, Arthur

Titel/Untertitel:

Wirtschaftsethik ; 2.Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht 1992

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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von einer elementaren Triebschicht ausgehen und dieser ein
zweites Stockwerk der höheren Gefühle hinzufügen, muß von der
affektiven Spannungsdifferenz als den Grundbausteinen der
Menschlichkeit ausgegangen werden, nämlich der Differenz von
Vitalbegehren und intellektueller Liebe (Eros). Geht das Begehren
auf momentane Erfüllung in der Lust zu, so der Eros auf die
Erfüllung des Menschen in der Glückseligkeit. Die Glückseligkeit
als solche ist keineswegs der Gegensatz zur Lust, vielmehr ihre
überragende Form. Denn sie transzendiert jede endliche Befriedigung
und wird doch zeichenhaft in ihr als Gefühl der Teilhabe
am Sein erlebt. Der Ort, an welchem sich diese Widersprüchlichkeit
zusammendrängt, ist das Gemüt. Es ist der Ort der Einheit
und der Differenz zwischen Leben und Denken zugleich, die
Stätte des Selbst,welche ein „zwischen-zweien", ein Übergang ist
(142).

Wir haben es hier mit einer ursprünglichen Disproportionalität
zu tun, die nach einer ebenso ursprünglichen Vermittlung
bzw. Synthese fragen läßt. Sie liegt im Aushalten dieser Spannung
selbst. Diese Stuktur des Übergangs macht des Menschen Zerbrechlichkeit
aus. Sie ermöglicht die Selbstsucht, wie sie sich in
Gefräßigkeit, Machtgier und Eitelkeit äußert. Vor diesen Leidenschaften
indes steht ein humanes Verlangen in der Gestalt des
Habens, der Macht und der Geltung (147).

Das bedeutet aber, daß auch eine diesen affektiven Instanzen
entsprechende Ordnung der Kultur behauptet werden müsse.
Konkret heißt die: (1) das Korrelat zum Haben ist ein „mein",
d.h. Eigentum; (2) das Korrelat zur Selbstbehauptung ist ein
Machtgebrauch ohne Gewalt, die Vorstellung einer Autorität, die
das Individuum zur Freiheit erzieht; (3) das Korrelat zur Anerkennung
ist die Vorstellung eines Zwecks an sich selbst - und das
ist die Idee der Menschheit in meiner Person und in der Person
des anderen. „ Ich glaube, daß ich in den Augen eines andern, der
meine Existenz billigt, etwas gelte; im Grenzfall ist dieser andere
ich selbst. Dieser Glaube ... konstituiert ... das Gefühl meiner
Geltung (1630-" Auch in der Leidenschaft steckt mithin etwas
Ursprüngliches. Sie muß daher dem Glücksbegehren, nicht dem
Lebensdrang zugeordnet werden. Sie ist transzendierende Bewegung
, Hingabe als Teilhabe am Ganzen, das in den Gegenständen
des Begehrens schematisiert wird. Erst indem der Symbolcharakter
dieser Gegenstände vergessen wird und sie zum Idol werden,
verkehrt sich die Leidenschaft zur Sucht, wird das passionierte
Leben zur passionellen Existenz. „Die unruhevolle Hingabe des
Leidenschaftlichen ist gleichsam die dem Passionellen vorgängige
Schuldlosigkeit und zugleich die wesensmäßige Zerbrechlichkeit
, die seine Ausgangslage ist. Nirgends begreift man besser
als im Verhältnis des Passionierten zum Passionellen, daß die
Strukturen der Fehlbarkeit der vorgegebene Wurzelboden der
Verfehlung sind (171)."

Der Wurzelboden der Verfehlung ist also für Ricceur nicht die
Endlichkeit als solche, wie das in einer langen philosophischen
Tradition behauptet worden ist. Die Schwelle zum moralischen
Übel ist vielmehr die spezifische Einschränkung des Menschen,
die darin liegt, nicht mit sich zusammenzufallen. Der erste Leitbegriff
kann darum nicht die Endlichkeit sein. Auszugehen ist
vielmehr vom Moment der Urbejahung, die die Negation durchschreiten
muß, um in einem Dritten, in der Vermittlung, die
Menschlichkeit des Menschen zu begründen. Dahinter steht die
Triade der Qualität: Realität; Negation und Limitation (176). Die
Limitation als das Dritte ist der Mensch selbst „als das ,Mixtum'
der Urbejahung und der existentialen Verneinung. Der Mensch,
das ist die Freude des Ja in der Trauer des Endlichen (182)."

Das moralische Übel des Menschen ist dann durchaus von der
Fehlbarkeit her zu verstehen - aber eben nur als Abweg. „ Ich
kann das Böse als böse nur ,von dorther' denken, von wo es heruntergekommen
ist (187)." Die Behauptung des Sprunges ins
Böse ist damit in keiner Weise relativiert. Und dennoch weist

Ricceur einen gangbaren Weg, eine Ontologie des Menschen zu
erarbeiten, ohne Menschsein und Sünde zu identifizieren und
gleichwohl beides zusammenzudenken. - Wer nicht bei bloßen
Behauptungen stehenbleiben, sondern sie begründen will, was
nicht ohne die Anstrengung des Denkens geht, wird durch die
Lektüre dieses Buches reichlich belohnt.

Greifswald Bernd Hildebrandt

Systematische Theologie: Ethik

Rieh, Arthur: Wirtschaftsethik. II: Marktwirtschaft, Planwirtschaft
, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht. Güthersloh:
Mohn 1990. 407 S. gr.8!geb. DM 68,-.

Endlich liegt der zweite Band vor, der nach der sozialethischen
Grundlegung (vgl. ThIZ 111, 1986,4710) auf die wirtschaftsethischen
Fragen nach System und Ordnung der Wirtschaft eingeht.
Es ist dem achtzigjährigen Vf. sehr zu danken, daß er das Manuskript
zum Abschluß bringen konnte, obwohl es viele Hemmnisse
gab. Im Vergleich mit der am Schluß des ersten Bandes angegebenen
Disposition des zweiten Bandes ist die vorliegende
Gliederung wenig verändert. Nur das planwirtschaftliche Grundsystem
wird bei den Ordnungsgestalten nicht weiter behandelt,
weil die Entscheidung auf der Maximenebene grundsätzlich für
das marktwirtschaftliche System gefallen ist. Mit dem katastrophalen
Zerfall der planwirtschaftlich reglementierten Volkswirtschaften
in Osteuropa ist deren ökonomische Ineffizienz so deutlich
geworden, daß eine lange Auseinandersetzung mit dieser
Ordnungsgestalt sich tatsächlich erübrigt. Neu ist gegenüber der
ursprünglich angegebenen Disposition ein Kapitel über die weltwirtschaftlichen
Probleme und Anforderungen, das freilich mit
seinen dreißig Seiten nur wie ein Appendix wirkt.

Die im ersten Band entwickelten theologischen Kriterien einer
Humanität aus Glauben, Hoffnung, Liebe, die vom Anspruch des
kommenden Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit bestimmt
wird, werden im ersten Kapitel des zweiten Bandes repetiert, so
daß der Leser auch ohne Lektüre des ersten Bandes sich schnell
hineinlesen kann. Nach Definitionen von Wirtschaft und Industrialisierung
werden die produkt-, fertigungs- und standortorientierte
Arbeitsteilung analysiert und die drei Produktionsfaktoren
Boden/Natur, Arbeit und Kapital vorgestellt. Auch bei
den Wirtschaftssubjekten kommt Rieh auf eine Dreizahl: die
Produzenten, die Konsumenten, den Staat. Allerdings ist das ein
grobes Raster, denn Rieh weist daraufhin, daß es innerhalb dieser
Einteilung noch erhebliche Differenzierungen gibt, so daß der
bloße Antagonismus von Kapitalisten und Proletariern die heutige
Wirklichkeit nicht mehr wiedergibt. Bedeutsam ist dann
noch die Unterscheidung zwischen quantitativem und qualitativem
Wirtschaftswachstum, durch die das Dilemma zwischen
Notwendigkeit und schädlichen Folgen des industriellen Wachstums
aufgelöst werden kann. Eine christliche Wirtschaftsethik
„wird ausdiesem Grunde bei aller kritischen Distanz zur doppelgesichtigen
und insofern auch zwielichtigen Industriewirtschaft
davon Abstand zu nehmen haben, sie einfach pauschal abzuurteilen
" (130).

Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik ist nach Rieh geprägt
durch die unlösliche Relationalität von Sachgemäßem und Menschengerechtem
. Wo diese beiden Dimensionen voneinander getrennt
werden, hat Wirtschaftsethik „bestenfalls eine bloß ergänzende
... und nur für das Verhalten der wirtschaftlichen Personen
in den ökonomischen Strukturen relevante Funktion"
(172). Dieses Mißverständnis lehnt Rieh ab und beschränkt sich
daher nicht auf Appelle an das Verhalten einzelner, sondern wen-