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Ausgabe:

1992

Spalte:

803

Autor/Hrsg.:

Fischer, Hermann

Titel/Untertitel:

- 816 Tillichs philosophisch-theologisches Werk und das Problem seiner "Werke" 1992

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803

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

804

Hermann Fischer >

Tillichs philosophisch-theologisches Werk
und das Problem seiner „Werke"

Erwägungen und Anfragen aus Anlaß einer neuen Edition*

L

Renate Albrecht, die am 7. Februar 1992 verstorben ist1, hat
seinerzeit mit den von ihr und anderen hg. 14 Bänden der Gesammelten
Werke (= GW) Tillichs (1959-1975), denen dann
noch 6 Ergänzungs- und Nachlaßbände (= EW) gefolgt sind
(1971 -1983), eine Pionierleistung für die Erschließung der philosophisch
-theologischen Lebensarbeit Tillichs vollbracht. Neben
den 3 Bänden der „Systematische(n) Theologie" (amerik. Ausgabe
1951-1963; dt. 1955-1966) und den 3 Bänden der,,Religiöse
^) Reden" (amerik. Ausgabe 1948-1963; dt. 1952-1964) verbindet
sich die Wirkung der Theologie und Philosophie Tillichs
nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland vor allem mit dieser
vom Evangelischen Verlagswerk Stuttgart betreuten Edition.

Allerdings hat sie nicht den Charakter einer kritischen Gesamtausgabe
. Das gilt für die Editionsprinzipien wie für den Umfang
des edierten Materials. Man dachte - nach Auskunft eines rückblickenden
Abrisses über „Die Entstehung der Gesammelten
Werke und ihrer Texte" im abschließenden 14. Band (17-77) -
bei den Plänen zu dieser Ausgabe zunächst nicht an die professionelle
Tillich-Forschung, sondern an die interessierten und gebildeten
deutschen Leser. „Es ist daher die Frage einer,kritischen',
wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden ,Edition' überhaupt
nicht erwogen worden. Ebensowenig stellte man .Richtlinien' für
die Herausgabe der .Gesammelten Werke' auf" (GW 14,18). So
erklärt es sich z. B., daß Schriften Tillichs wiederholt ohne die ursprünglichen
Anmerkungen zum Abdruck kommen, daß unterschiedliche
Textfassungen nicht dokumentiert und alle Schriften
in deutscher Sprache geboten werden. Dafür hat man entweder
auf die alten dt. Fassungen zurückgegriffen, ursprünglich englisch
geschriebene Beiträge übersetzt oder auch Rückübersetzungen
von ehemals deutschen und dann ins Englische übertragenen
Veröffentlichungen vorgenommen. Über die generellen Gesichtspunkte
solchen Vorgehens und die Gründe im einzelnen informieren
aber nicht die Vorbemerkungen zu den jeweiligen Bänden
, sondern der oben erwähnte zusammenfassende Abriß.

Die Gesammelten Werke verzichten auch auf Vollständigkeit.
Diese grundsätzliche Entscheidung ist im Zusammenwirken mit
Tillich selbst getroffen worden (vgl. GW 14,19). Insofern ist es
nicht ganz korrekt, wenn im „Vorwort des Verlags" zum 14. Bd.
der GW vom „Plan einer Gesamtedition" gesprochen wird (8).
In der Ausgabe fehlen, um nur zwei herausragende Beispiele zu
erwähnen, Tillichs philosophische Dissertation von 1910 über
„Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Sendlings positiver
Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien" und
seine theologische Habilitationsschrift „Der Begriff des Übernatürlichen
, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der

* Paul Tillich: MainWorks/Hauptwcrkc. Edited by/Herausgegcbcn von
Carl Heinz Ratschow with the collaboration of/unter Mitarbeit von John
Clayton. Gert Hummel. Theodor Mahlmann. Michael Palmer. Robert P.
Scharlemann. Gunter Wenz. Verlag de Gruyter - Evangelisches Verlagswerk
GmbH Berlin. New York.

Bd. I: Philosophische Schriften, hg. v. G. Wenz. 1989.

Bd. 2: Religionsphilosophischc Schriften, hg. v. M. Palmer, 1990.

Bd. 4: Religionsphilosophischc Schriften, hg. v. J. Clayton. 1987.

Bd. 5: Religiöse Schriften, hg. v. R. P. Scharlemann. 1988.

Bd. 6: Theologische Schriften, hg. v. G. Hummel. 1992.

Die Bände werden im folgenden zur Unterscheidung von der alten Ausgabe
mit römischer Band- und arabischer Seitenzählung angeführt.

Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor
Schleiermacher" (Teil 1, 1915; Teil 2 ungedruckt). Vor allem ist
das Material aus dem Nachlaß nur bruchstückhaft in die Gesammelten
Werke sowie in die Ergänzungs- und Nachlaßbände eingegangen
.

Die Hgg. waren sich der Probleme ihrer Ausgabe bewußt. Es
läßt sich nicht leugnen, so gestehen sie ein, „daß einer wissenschaftlichen
Arbeit über Paul Tillichs Lebenswerk nicht ohne kritische
Prüfung die in den .Gesammelten Werken' publizierten
Fassungen seiner Texte zugrunde gelegt werden können, auch
wenn sie zum größten Teil vom Autor selbst autorisiert wurden".
Andererseits meinen sie, daß angesichts der verwickelten Entste-
hungs- und Druckgeschichte vieler Texte Tillichs „die Herstellung
einer im wissenschaftlichen Sinn .kritischen' Tillich-Edition
einen immensen Aufwand an Arbeitskraft, Zeit und Geld erfordern
würde und vom Nutzen des Ergebnisses wahrscheinlich
nicht gerechtfertigt werden könnte" (GW 14,23). Trotz der unverkennbaren
Mängel der „Gesammelte(n) Werke" mit den Ergänzungs
- und Nachlaßbänden hatte die Ausgabe ihre Bedeutung
und wird sie für die weitere Beschäftigung mit Tillichs Werk auch
behalten. Besonders hilfreich ist dafür der mehrfach erwähnte
14. Band, der neben der Entstehungsgeschichte der Ausgabe und
ausführlichen Bibelstellen-, Personen- und Begriffsregistern auch
einen Uberblick über das Gesamtwerk Tillichs u.a. mit einer
Bibliographie seiner Veröffentlichungen (135-230), Informationen
über unveröffentlichtes Material (283-295) und einer Zusammenstellung
seiner von 1919-1933 abgehaltenen Lehrveranstaltungen
(297-302) enthält. Inzwischen ist, nun im Verlag de
Gruyter, Berlin, eine zweite neubearbeitete und erweiterte Auflage
dieses 14. Bandes unter dem Titel „Schlüssel zum Werk von
Paulus Tillich. Textgeschichte und Bibliographie sowie Register
zu den Gesammelten Werken" (1990) von Renate Albrecht und
Werner Schüßler herausgebracht worden.

II.

Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Paul Tillich 1986 ist der
Plan einer neuen Edition seiner Werke entstanden, die schon
durch den Titel „ MainWorks. Hauptwerke" die unterschiedliche
Intention im Verhältnis zur alten Ausgabe andeutet. Die neue,
auf sechs Bände angelegte Ausgabe wird von Carl Heinz Ratschow
unter Mitarbeit von John Clayton, Gert Hummel, Theodor
Mahlmann, Michael Palmer, Robert P. Scharlemann und
Gunther Wenz herausgegeben und erscheint im Verlag de Gruyter2
. Fünf Bände der Ausgabe liegen inzwischen vor. In der
Reihenfolge des Erscheinens handelt es sich um Bd. IV: Religionsphilosophische
Schriften, hg. v. J. Clayton (1987), Bd. V:
Religiöse Schriften, hg. v. R. P. Scharlemann (1988); Bd. I: Philosophische
Schriften, hg. v. G. Wenz (1989), Bd. II: Kulturphilosophische
Schriften, hg. v. M. Palmer (1990) und Bd. VI: Theologische
Schriften, hg. von G. Hummel (1992). Der von Th.
Mahlmann übernommene Band III: Sozialphilosophische und
ethische Schriften steht noch aus.

Über die Gründe, Ziele und „Gestaltungsgrundsätze" der
neuen Edition informiert das Vorwort von C. H. Ratschow, das
jedem Band wortgleich vorausgeschickt wird. Er nimmt hier
Bezug auf Erfahrungen, die bei der Herausgabe der „Gesammelten
Werke" gemacht worden sind, an der er beteiligt war und für
deren abschließenden 14. Band er seinerzeit ebenfalls ein „Vor-