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Ausgabe:

1992

Spalte:

778-779

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Slenczka, Reinhard

Titel/Untertitel:

Kirchliche Entscheidung in theologischer Verantwortung 1992

Rezensent:

Pöhlmann, Horst Georg

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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etwas gelegt haben, was in der Tendenz wichtig ist. Als ein „letztes
Wort" kann man dies freilich beim gegenwärtigen Forschungsstand
noch nicht ansehen.

Erlangen Rudolf Keller

' „Ich habe je und je das Unglück gehabt, von solchen beurteilt zu werden
, die mich nicht ganz verstehen". Schoenauer nennt (S. I 5 u.ö.) als
Fundort für dies Zitat ein Geleitwort von Hermann Dietzfelbinger aus
dem Jahr 1972. Hermann Bezzcl gab 1908 in seinem Einsegnungsunterricht
„Wilhelm Löhe und seine Zeit" (bisher ungedruckt) an, Löhe habe
dies an einen Freund geschrieben. In den gedruckten Quellen kann man
dies Wort nicht nachweisen. Dietzfelbinger hat den Bezzeltext, der vervielfältigt
vorlag, sicher gekannt.

- Die vorangestellte Behauptung, Löhes Lehre zu dieser Frage habe sich
im Laufe seines Lebens nicht grundlegend geändert, rechtfertigt in Schoe-
nauers Sicht die systematische Vorgehensweise (S. 52).

3 Das Prädikat „problematisch" kehrt zu diesem Sachverhalt häufig
wieder: S. 22 nennt er Löhes Sukzessionstheorie „in der Tat eine sehr problematische
Theorie"; S. 84 verbindet mit der Problematisierungden Hinweis
auf die Kritik der Zeitgenossen; S. 101 betont er, daß bei Löhe das
Amt der Gemeinde vorgeordnet bleibe, was in „einer sehr eigenwilligen
Sukzessionsthcoric" gipfele; S. 118. „Freilich war Löhe in einem sehr problematischen
AmtsbegrifTbefangen." S. 124: „Sehr problematisch ist allerdings
, daß Löhe den Löseschlüsscl allein dem Amtsträger vorbehält." Umgekehrt
findet Schoenauer es „problematisch", daß ein Autor „Löhes
Kirchenlehre fast völlig kritiklos darstellt und vorhandene Schwächen
nicht benennt" (S. 41).

4 Schoenauer beruft sich u.a. auf das Zeugnis von Löhes Zeitgenossen
Friedrich Bauer über die Predigten (S. 30 mit Anm. 125 und 127, ebenso S.
105 mit Anm. 512). An der erstgenannten Stelle fügt er hinzu: „zitiert bei
Kantzenbach ..." Auch die ganze Bibliographie zu Bauer stammt von Kantzenbach
. denn Friedrich Bauer hat an der zitierten Stelle anonym geschrieben
. Kantzenbach löst die Anonymität stillschweigend auf. Niemand wird
aber unter dem Namen Friedrich Bauers die angegebene Schrift in irgend
einer Bibliothek finden können. Diese Schrift hat folgenden Titel: „Vater
Löhes Ehrengedächtnis. Besorgt von der Abteilung 11 der Gesellschaft für
innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche, Nürnberg: Gottfried
Ltthe 1872, 19 S." In ihr wird das pastorale Wirken des Neuendettelsauer
Pfarrers umfassend und nicht nur von der Predigttätigkeit her beschrieben
.

5 Auf eineinhalb Seiten (S. 1330 wird Bezzels Abhängigkeit von Harlcß
knapp umrissen. Wie intensiv sich Bezzel mit dem Wirken seines Vorvorgängers
im Amt des Diakonissenrektors allein im Jubiläumsjahr 1908 auseinandergesetzt
hat, wird dabei nicht genügend deutlich. Warum aber wird
das. worin sich Bezzel nun wirklich dezidiert von Löhe distanziert, die
Frage der Abcndmahlsgemeinschaft mit Andersgläubigen, hier einfach
ausgeklammert (S. 188, Anm. 56)? Bezzel hervorragende Löhekenntnis
sollte man nicht unterschätzen. Er kannte auch schrgenau den handschriftlichen
Bricfnachlaß. Warum kann man ihm nicht zugestehen, daß er nach
•einem Wissen und Gewissen Dinge anders beurteilt als Löhe? (Bezzels
bandschriftlich und gedruckt überlieferte Texte über Löhe aus dem Jahr
'908 werden für eine kritische Edition vorbereitet.)

6 Wilhelm Löhe, Gesammelte Werke, hg. im Auftrag der „Gesellschaft
für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e.V." von
Klaus Ganzen. Bd. 1: Briefe 1815-1847, Neuendettelsau 1986, 813 S.; Bd.

Briefe 1848-1871. Tagebücher aus der Jugendzeit, Neuendettelsau
'985. 624 S.

7 So vor allem Friedrich Mildenbergcr, Das Recht des Predigtamtes
"ach der Confcssio Augustana. in: Ders., Zeitgemäßes zur Unzeit. Texte
zum Frieden, zum Verstehen des Evangeliums und zur Erfahrung Gottes,
Essen 1987 (»Theologie im Gespräch I), S. 96-104. Hier ist auch Milden-
Ärgers Aufsatz „Das Recht der Kirchengemeinde" (S. 105-115) neu gedruckt
. Da Mildenbergcr die Arbeit als Doktorvater betreut hat, ist es
wichtig, seine Texte zum Vergleich prüfen zu können. Das ist aber für einen
beliebigen Leser erst in der Buchform möglich geworden.

8 Löhe, Ges. Werke 5/2. S. 911 (Text von 1868).

9 Eine solche Stelle ist Schoenauers Beweisführung auf S. 122, wo er aus
den Texten schöpft, hier werde Löhes Gemeindeprinzip deutlich. Überprüft
man die Fundstelle in Ges. Werke 5/2. S. 698f. so erkennt man, daß
Löhe dort nicht nur betont, das sich rechtgläubige lutherische Landeskirchen
und selbständige Gemeinden des gleichen Bekenntnisses zu gemeinsamer
Arbeit stärken können, sondern daß er auch davor warnt, dem
lutherischen Grundsatz zu widersprechen, „daß Gleichheit der Kirchenverfassung
wie der Zeremonien nicht notwendig zur Einigkeit seien".

10 Leider sind ihm wichtige Aufsätze und Abhandlungen auch zu diesem
speziellen Thema entgangen, so daß die Bibliographie Lücken aufweist
.

11 Mein Aufsatz „Reformatorische Wurzeln der Amtslehre von Wilhelm
Löhe" (1980) wird auf S. 42 beleuchtet. Ich hatte aber gerade nicht einfach
Hirschs These wiederholt, sondern eine bei Hirsch vorkommende Behauptung
mit sehr verschiedenen Quellen und Beweisen untermauert. So
konnte ich Löhes Bezüge auf Andreas Osiander historisch nachweisen, obwohl
Löhe selbst nie gewußt hat, daß er damit auf Osiander zurückgreift. In
der Fülle der Vermutungen über Löhes Verhältnis zur reformatorischen
Theologie sah ich in diesem Nachweis etwas Weiterführendes gegenüber
der im Raum stehenden, aber nicht rezipierten Behauptung Hirschs, die
gar nicht mein Movens für eine aus der Osianderforschung kommende Beobachtung
gewesen ist. Warum man bei Löhe nicht schon von einer Zwei-
Reiche-Lehre (im Sinne von CA 28) sprechen kann, wenn auch der Begriff
erst im 20. Jahrhundert geprägt wurde, vermag ich ebensowenig zu verstehen
. Meine Ergebnisse sind zwar bei Schoenauer in keiner Weise näher berücksichtigt
, aber er hat meinen Beitrag im forschungsgeschichlichen Teil
„abgehakt". Hätte er mir Fehler nachgewiesen, würde ich gerne daraus lernen
.

12 Durch diese Bemerkungen soll das oben betonte grundsätzlich Positive
dieses Ansatzes nicht gemindert werden.

13 Es fällt auf, daß im Analyse-Teil von Teil II die Ergebnisse der verzeichneten
Literatur nur wenig eingearbeitet werden.

14 Löhes eigener Anspruch bedarf der kritischen Untersuchung und
einer daraus resultierenden Würdigung. Mit thetischer Ablehnung bestimmter
Aspekte und Verabsolutierung von anderen kann man der Forschung
nicht zu besseren Kenntnissen verhelfen.

15 Insofern muß man sagen, daß die Löheforschung durch den Druck
der Briefe in ein neues Stadium getreten ist, das Schoenauer noch nicht
kannte. Freilich ist in diesem Druck eine Erschließung des Materials noch
nicht wirklich geleistet, weil keine Verständnishilfen für Namen und Vergleiche
aus den Gegenbriefen geboten werden.

Slenczka, Reinhard: Kirchliche Entscheidung in theologischer
Verantwortung. Grundlagen - Kriterien - Grenzen. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1991. 280 S. gr.8°. Kart. DM 48,-.

Es macht den Reiz dieser „Dogmatik" aus, daß sie schon im
Stil von der konjunktivischen Behutsamkeitssprache gängiger
theologischer Publikationen abweicht und nicht - wie üblich -
disputativ, sondern assertorisch redet. Man könnte diesen Stil
auch mit dem Begriff prophetische Theologie umschreiben. Es
geht um einen prophetischen Protest gegen alles Laue, Mittlere
und gegen eine nur auf gesellschaftliche Konsensfähigkeit abzielende
„Vermittlungstheologie" (119), die allenfalls ein Abklatsch
des Beliebigkeitspluralismus unsere Zeit ist, aber keine christliche
Eigenaussage mehr machen kann.

So wendet sich Vf. - um ein paar Beispiele zu nennen - gegen
die „Geringschätzung" des „Dogmas" in der Theologie, dessen
Ursinn: sein „Zusammenhang" mit „Glaube, Bekenntnis und
Gottesdienst" zurückgewonnen werden muß (279). Der Vf. beklagt
- nicht zu Unrecht - die Aufhebung der biblischen „Unterscheidung
von wahrem und falschem Glauben" (129), die im
Kontext einer modischen Supermarkttheologie unsinnig geworden
ist. Andere Normen treten neben die Schrift als Norm, vor
allem die „Situation" (142) und „das Dogma des ,heute'" einer
„negativen Dogmatik" (135), die mit den Formeln argumentiert:
Man kann doch heute nicht mehrDer moderne Mensch kann
nicht mehr Wir können nicht mehr zurück hinter Wer so
redet, leugnet nach Meinung des Vf.s die Selbstwirksamkeit des
Wortes Gottes und somit Gott selbst. Denn hier wird „die Wirkung
des Wortes" ersetzt durch eine „Wirkung", die sich im „Erfolg
" ausweisen muß. „Verkündigung und Unterweisung geraten
dann unter die Prinzipien der Werbung, die sich an den Kriterien
von Angebot und Nachfrage ausrichten muß" (142). Selbst in der