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Ausgabe:

1992

Spalte:

56-58

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Korsch, Dietrich

Titel/Untertitel:

Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein 1992

Rezensent:

Jacob, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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hebt hervor, daß Schweitzer, den „echte Menschlichkeit, nicht
ideale Menschlichkeit" (10) auszeichne, immer wieder um die
wirkliche Begründung einer „ethischen Welt- und Lebensbejahung
" bemüht gewesen sei, obwohl er das Rätselhafte und
Grauenvolle der Welt deutlich gesehen habe. Claus Günzler, seit
1968 auch Vorsitzender des „Deutschen Hilfsvereins für das
Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene", und Hans Lenk referieren
und kommentieren in „Ethik und Weltanschauung. Zum
Neuigkeitsgehalt von Albert Schweitzers ,Kulturphilosophie
III'" den rund 2000 Maschinenseiten umfassenden und zur Edition
anstehenden dritten Teil der Kulturphilosophie. Dieser
spannende Beitrag ist allerdings mehr als nur Referat und Kommentar
, sondern zugleich wirklich weiterführende „kritische
Würdigung" (34). Sehr anregend ist auch Manfred Ecker mit seinen
Überlegungen zu „Evolution und Ethik. Der Begriff der
Denknotwendigkeit in Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht
vordem Leben". Dieser junge Nachwuchswissenschaftler gibt zu
bedenken, ob nicht von der modernen naturwissenschaftlichen
Erkenntnis her eine gewisse Überwindung des Dualismus in
Schweitzers Position möglich ist. Claus Günzler begründet in
„Ehrfurchtsprinzip und Wertrangordnung. Albert Schweitzers
Ethik und ihr Kritiker" schlüssig, daß eine wertethische Weiterentwicklung
seiner Ehrfurchtsethik nicht der Intention Schweitzers
entspräche.

Gotthard Teutsch betont in „Ehrfurchtsethik und Humanitätsidee
. Albert Schweitzer beharrt auf der Gleichwertigkeit alles
Lebens", den engen Zusammenhang von Schweitzers Humanitätsbegriff
mit der Ehrfurcht vor allem Lebendigen, die freilich
eine aktive Euthanasie gegenüber dem leidenden Tier zulasse,
während sie diese für den Menschen strikt ablehne. Der Beitrag
Günzlers „Ehrfurchtsethik und Umwelterziehung. Zur pädagogischen
Fruchtbarkeit der Schweitzerschen Ethik", der wieder
viele Zitate aus dem Manuskript der Kulturphilosophie III enthält
, zeigt, daß Schweitzers Ansatz die Umwelterziehung, die in
einem resignativen Pluralismus zu versanden droht, mit neuen
Impulsen beleben kann; sie ermögliche eine „Konkordanz von
Kinderethik und Erwachsenenethik" (113). Der Risikoforscher
Matthias Schütz schrieb über „.Ehrfurcht vor dem Leben' in der
industriellen Welt. Albert Schweitzers Ethik angesichts der verschärften
Risikosituation von heute". Auch er zeigt-ähnlich wie
schon Ecker - in m.E. sehr interessanter Weise, daß sich aus
neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eine relative Überwindung
des Schweitzerschen Dualismus ergeben könnte. Im
neuen Paradigma ergänzten sich Welt- und Lebensanschauung
gegenseitig: „Auf unerwartete Weise wird Schweitzers Ethik nun
auch weltanschaulich, indirekt sogar wissenschaftlich bestätigt"
(146). Den Abschluß des historischen Rückblicks und der grundsätzlichen
Erwägungen von Manfred Hänisch, dem Herausgeber
der bekannten Rundbriefe, „ Vertrauen - eine Tugend wird politisch
", bildet ein anregend und fast authentisch fingierter Briefwechsel
zwischen Gorbatschow und Schweitzer. Hans-Joachim
Werner behandelt kenntnisreich und viele Impulse vermittelnd
„Die Ethik Albert Schweitzers und die deutsche Mystik des Mittelalters
": „Die ethische Mystik Schweitzers ist durchaus auf
einen persönlichen Gott bezogen, so daß aus ethischer Perspektive
zu Recht gesagt wird, ,die Gefahr einer Schöpfungsethik
ohne Schöpfer entsteh(e) nicht'" (255).

Andreas Rössler legt in Auseinandersetzung mit Bestreitungen
der Christlichkeit Schweitzers von atheistischer und konfessioneller
Seite her zitatenreich und zugleich argumentativ dar, daß
„Albert Schweitzer und das freie Christentum" eng und unbestreitbar
zusammengehören, wobei er fünf Kriterien der Christlichkeit
von Hans Graß zu Grunde legt und ausführlich drei
Merkmale freien Christentums im Sinne Albert Schweitzers erörtert
. Gerade in unserer Zeit gewinnen die Gedanken Schweitzers
über das Nebeneinander von „freier" und „gebundener" Religiosität
, mit denen Rössler seinen Beitrag abschließt, neue Bedeutung
. In dem Beitrag „Zwischen Eschatologie und Ethik.
Aspekte der Reich-Gottes-Vorstellung Albert Schweitzers"
kommt Ulrich Schulik zu dem Ergebnis, daß „Veränderung im
Großen" für Schweitzer „nur denkbar" war „über die Sinnesumwandlung
im Leben der Individuen" (278). Informationsreich
berichtet Hermann-Adolf Stempel über „die Predigttätigkeit
Albert Schweitzers".

Der um Schweitzers Spital und Lebenswerk hochverdiente
Hermann Mai wirft einen instruktiven „Blick in Albert Schweitzers
Krankenjournal von 1913/1914". Drei musikwissenschaftliche
Beiträge beschließen den Band: Stefan Hanheide „Albert
Schweitzers musik-ästhetische Ambitionen. Zur Bedeutung der
ästhetischen Reflexionen während der Straßburger Jahre". Der
katholische Theologe Harald Schützeichel stellt in „Musik und
Ethik. Anmerkungen zu Albert Schweitzer als Musiker" unter
Verwendung von teilweise bisher unveröffentlichtem Material
für mich überzeugend heraus - in Spannung zu dem Beitrag von
Hanheide -: „Der Musiker Schweitzer lebt vom Theologen und
Philosophen Schweitzer und kann nicht unabhängig von diesen
gedacht werden" (322). Rainer Noll schließlich schreibt über
„das mißverstandene Orgelideal Albert Schweitzers. Eine Begegnung
in der Marktkirche in Halle im Jahre 1928".

Alles in allem: Diese gelungene und gediegene Publikation läßt
voller Erwartungen den weiteren „Beiträge(n) zur Albert -
Schweitzer-Forschung" entgegensehen.

Berlin Hans-Hinrich Jenssen

Korsch, Dietrich: Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. Vier
systematische Variationen über Gesetz und Evangelium.
Tübingen: Mohr 1989. XII, 290 S. gr.8°= Beiträge zur historischen
Theologie, 76. Lw. DM 138,-.

Der Vf. hat seinem als Habilitationsschrift auf Empfehlung der
Theologischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckten
Buch ein freundliches Vorwort vorangestellt. Da ist die Rede von
Variationen, die die Vielfalt eines Themas entfalten, von systematischen
Variationen, die „das Denken und den Glauben erfreuen
" und Glaubensgewißheit wecken (S. V). Das Werk selbst
geht freilich weniger poetisch einher, und der Rez. bekennt, daß
sich die angekündigte Freude bei ihm nicht eingestellt hat, viel
eher das Gefühl wachsenden Unbehagens über eine allzu komplizierte
Sprachgestalt. So wird nicht nur der geneigte Leser strapaziert
, sondern auch das Interessante und Bedenkenswerte eher
verborgen gehalten als veröffentlicht. Denn interessant und bedenkenswert
sind die Grundgedanken des Buches ohne Zweifel.
Mit Hilfe der Lehre von Gesetz und Evangelium soll die Auseinandersetzung
von Christentum und moderner Welt kritisch beleuchtet
werden. Der Vf. knüpft dabei an Luthers Anspruch an,
daß in dieser Unterscheidung die ganze Theologie und das
Selbstverständnis des Christen begründet sind (1). Da dieser
Anspruch infolge fortschreitender Säkularisation immer mehr zu
einem rein innerkirchlichen wird, muß die Aufgabe der Theologie
darin bestehen, die Lehre von Gesetz und Evangelium als
„zeitgenössischen Begriff der doctrina christiana zu entfalten ...
Das heißt: Sie muß die von Luther in Aussicht gestellte Orientierung
des Glaubens in einer Welt explizit machen, die nicht mehr
imstande ist, sich selbst auf den Begriff zu bringen" (2). Der Weg
dazu führt über die Rekonstruktion des Gesetzesbegriffes im
Blick auf Subjekt und Individualität. Dabei soll jedoch die unlösliche
Bindung an die Person Jesu Christi unter keinen Umständen
übersehen werden. Bevor der Vf. an Hand eigener Lutherinterpretation
die „gegenwärtige Leistungsfähigkeit" der Lehre
von Gesetz und Evangelium erläutert, bietet er drei Variationen