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Ausgabe:

1992

Spalte:

774-778

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schönauer, Gerhard

Titel/Untertitel:

Kirche lebt vor Ort 1992

Rezensent:

Keller, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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3. Unverständlich bleibt auch, weshalb der Vf. im Zusammenhang
der wichtigen Debatte um die Bezogenheit sprachlicher Zeichen
jene Klassiker der Sprachphilosophie nicht einmal erwähnt,
die die nach R. „zentrale Problematik der Sprachphilosophie" ihrerseits
erkannten und anhand verschiedener Modelle die Auffassung
bestritten, „daß ein sprachlicher Ausdruck deshalb etwas
bedeute, weil er sich auf einen ganz bestimmten Gegenstand" beziehe
(170- In Anbetracht des speziellen Interesses der Sprachanalyse
an dem, was Tür die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks
konsumtiv ist und unter welchen Gesichtspunkten sein
Referent (das, worauf sich ein solcher Ausdruck vermeintlich ,in
Wirklichkeit' bezieht) zu definieren ist, können z. B. Arbeiten wie
die von Charles S. Peirce oder Umberto Eco - um nur zwei Eckdaten
der Vertiefung und Klärung dieses Themas zu benennen -
nicht unerwähnt bleiben. Diese beiden Autoren verbindet u.a.
die auch von R. verschiedentlich angebrachte Auffassung, daß
das Verstehen einer Äußerung nicht an das ontische Gegebensein
von etwas bzw. an einen Referenzgegenstand gebunden ist, sondern
an die Fähigkeit des Menschen, einem wahrgenommenen
Ausdruck eine Bedeutung zuzuordnen (die er nicht wahrnimmt
).

4. Was dem mit der Materie nicht so vertrauten Leser den Zugang
zu diesem Problemkreis m.E. erschweren wird, ist R.s allzu
starke Durchdringung der semantischen Aspekte der Sprachphilosophie
ausgerechnet von Frege her (vgl. bes. 54. 85-89, 105-
107 u.ö.). Wenngleich Frege wegweisende Studien zur Semantik
bereits vor 100 Jahren vorgelegt hat und damit zu den Vätern der
analytischen Sprachphilosophie gerechnet werden muß, ist sein
Modell Tür das sprachliche Zeichen mittlerweile mehrfach kritisiert
und korrigiert worden. Das Mißverständlichste an Freges
Entwurf ist wohl seine Terminologie: Was z. B. in der Philosophie
der Sprache traditionellerweise mit dem Referenzgegenstand gemeint
ist („res" bereits bei G. W. Leibniz, „chose reelle" bzw.
«objet" bei F. d. Saussure, „object" bei Ch. S. Peirce, „Referent"
bei R. G. Ogden, I.A. Richards, U. Eco und anderen), ähnelt
dem, was Frege „Bedeutung" nennt, und zwar „Bedeutung" ausschließlich
in „extensionalem" Sinn. In der Nicht-Fregeschen
Sprachphilosophie ist unter „Bedeutung" wiederum etwas ganz
anderes zu verstehen: Und zwar - allgemein formuliert - das, was
qua Sprecherkompetenz mit einem wahrgenommenen Ausdruck
, insbesondere einem sprachlichen Zeichen, verknüpft
wird: Ein „Inhalt" (L. Hjelmslev), etwas „Bezeichnetes" (F.d.
Saussure) - im Unterschied zum Bezeichnenden. Außerdem
wird der Referenzgegenstand andernorts häufig so definiert, daß
dessen potentielle Extension überhaupt nicht von Belang ist.

5. Die dichte Anknüpfung an Frege ist von den Prämissen des
Vf.s her zwar einsichtig; aber m.E. bleibt R. dem Leser doch
etwas schuldig, wenn er das Fregesche Modell derart zu Lasten
anderer Interpretationen des sprachlichen Verstehens- und Verständigungsvermögens
des Menschen protegiert.

Trotz mancher Einwände im Detail empfehle ich die Arbeit R.s
°hne zu zögern jedem, der nach einer nicht nur lesbaren, sondern
'n der Darbietung des Stoffes auch zuverlässigen Einführung in
die Fragestellungen der Analythischen Sprachphilosophie sucht.
Wenngleich das interdisziplinäre Gespräch m.E. etwas zu schmal
berücksichtigt wurde, ist sowohl ein Einstieg wie auch eine Anknüpfung
bei den vom Vf. gewählten Autoren und Modellen
möglich und legitim.

(imtswald Wilfried Engemann

Anz, Wilhelm: Heideggers Gespräch mit der Überlieferung (WuD 1991,
'59-170).

Baertschi. Bernard: Dcvons-nous respecter le genome humain? (RThPh
'23. 1991,411-434).

Bouveresse, Jacques: Le Probleme de Va priori et la coneeption evolutionniste
des lois de la pensee (RThPh 123, 1991, 353-368).

Carraud, Vincent: Pascal et la Philosophie de son temps: la question de
l'universel (RSPhTh 76, 1992, 29-42).

Cousireau, Robert H.: The Ethical Stance of Nietzsche and Heidegger
(Gr. 73, 1992, 123-132).

Freuler Leo: Les antinomies cosmologiques de Kant (RThPh 124, 1992,
19-39).

Honecker, Martin: Popanz Postmoderne. Theologische Kritik an einem
inflationierten BegrifT(EK 25, 1992, 263-266).

Jahrbuch des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover 1991/92,
hg. von P. Koslowski, u. R. Low. Hildesheim: Bernward 1991. 164 S. 8° =
Philosophie und Religion, 5.

Jeanrond, Werner G., and Jennifer L.Rike [Ed.]: Radical Pluralism and
Truth. David Tracy and the Hermeneutics of Religion. New York: Cross-
road 1991. XXVII, 296 S., 1 Taf. gr.8°. ISBN 0-8245-1118-2 geb. $ 34.50.

Klein, Hans: Was ist Wahrheit? Vortrag am 13. September 1991 beim 2.
Evangelischen Kirchentag (Kirchliche Blätter Hermannstadt 57, 1991, 6).

Matheron, Alexandre: Philosophie et religion chez Spinoza (RSPhTh 76,
1992, 56-72).

Mehring, Reinhard: Rechtsidealismus zwischen Gemeinschaftspathos
und kirchlicher Ordnung. Zur Entwicklung von Erik Wolfs Rechtsgedanken
(ZRGG 44, 1992, 140-156).

Onuki, Takashi: Die dreifache Pronoia - Zur Beziehung zwischen Gno-
sis, Stoa und Mittelplatonismus - Herrn Professor Sasagu Arai zum 60.
Geburtstag (AJBI 17, 1991, 107-149).

Verhoeven, Jan: De Fichte-inspiratie van de dynamiek van het verlangen
bij Jos. Marechal; Die Fichte-Inspiration der Dynamik der Sehnsucht bei
Jos. Marechal (Bijdr. 53, 1992, 23-45).

Wattiaux, Henri: Conscience et neurosciences. Une nouvelle image de
Thomme? (RTL 23, 1992, 23-40).

Zimmermann, Gunther: John Lockes theologische Auseinandersetzung
mit dem Absolutismus im „First Treatise of Government" (ZRGG 44,
1992,97-1 17).

Systematische Theologie: Dogmatik

Schönauer, Gerhard: Kirche lebt vor Ort. Wilhelm Löhes Gemeindeprinzip
als Widerspruch gegen kirchliche Großorganisation
. Stuttgart: Calwer 1990. 205 S. DM 68,-. - Calwer
Theologische Monographie, 16.

Diese Studie ist begleitet vom Blick auf gegenwärtige Neuansätze
. Sie versteht sich als Beitrag aus der Systematischen Theologie
mit Aspekten heutiger praktischer Fragen. „Wilhelm Löhes
Verständnis von Kirche und Gemeinde soll dazu anleiten, eine
klare theologische Bestimmung zu finden" (14). Weil der Vf. von
der zutreffenden Beobachtung ausgeht, daß jede Würdigung
Löhes „abseits von seinem Kirchenverständnis" zu kurz greife,
darin aber auch unterschiedliche Bewertungen zutage getreten
seien, nennt er als ein weiteres Ziel, „das Urteil der Forschung
über Löhes Kirchen-, Gemeinde- und Amtsverständnis zu überprüfen
und zu korrigieren" (15). Immer wieder greift er auf Löhes
eigene Feststellung zurück, der meinte, er werde von solchen beurteilt
, die ihn nicht ganz verstehen1. Entsprechend der systematischen
Blickrichtung verzichtet die Arbeit auf historische Details
. Sie wurde 1985 von der Theologischen Fakultät der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation
angenommen.

Im ersten Teil berichtet Schoenauer über die Löherezeption
und bietet einen forschungsgeschichtlichen Überblick, der sich
auf die ekklesiologischen Fragen konzentriert. Bei diesem
Durchgang mahnt er die vielfachen Zugeständnisse an das jeweils
eigene Vorverständnis der Interpreten an. Darauf in aller
Deutlichkeit hinzuweisen, war ein gewiß guter Ansatz: „Man will
Löhe für sich vereinnahmen, seine Kirchen- und Amtslehre soll
die eigene bestärken und rechtfertigen. Zu diesem Zweck wird