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Ausgabe:

1992

Spalte:

769

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Weigelt, Horst

Titel/Untertitel:

Johann Kaspar Lavater 1992

Rezensent:

Knellwolf, Ulrich

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Seite 1

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769

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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Schaft seinen Hörern zu vergegenwärtigen, und auf das, was ihm
selbst seine theologischen Meditationen eingebracht haben.

Es ist als Glücksumstand zu bezeichnen, daß fast gleichzeitig
mit der Edition die Untersuchung von W. Lentzen-Deis, Den
Glauben Christi teilen (Stuttgart/Berlin/Köln 1991), erschienen
ist. in der vor allem die Predigten des Weihnachtszyklus untersucht
und auch teilweise übersetzt wurden.

Der Edition sind wieder drei Apparate beigegeben. Der erste
bezieht sich auf die Textgestaltung, der zweite weist Zitate nach,
der dritte, textvergleichende, ist den Querverweisen auf andere
Texte des NvK, vor allem auch andere Predigten, vorbehalten.
Jeder Predigt sind ausführliche Praenotanda beigegeben, die, soweit
nötig, auch ein Stemma der Filiation der Abschrift enthalten
. Einige der Predigten liegen in zahlreichen Handschriften (bis
zu 9) vor, andere nur in einer. Die Entwürfe sind von unterschiedlicher
Länge - zwischen 26 und 1 1/2 Druckseiten. Schon
das zeigt, daß wir es mit Entwürfen, Skizzen, Materialsammlungen
zu tun haben. Aber gerade diese sind interessant. Das gilt sowohl
für die Kenntnis der Theologie des NvK als auch für seine
Predigtweise und die der Zeit. Den Editoren sei für ihre große
Mühe gedankt.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Weigelt, Horst: Johann Kaspar Lavater. Leben, Werk und Wirkung
. Göttingen: Vandenheock & Ruprecht 1991. 132 S. 8° =
Kleine Vandenhoeck-Reihe. Kart. DM 17,80.

Horst Weigelt, der Bamberger Kirchenhistoriker, hat zum 250.
Geburtstag Johann Kaspar Lavaters eine knappe Darstellung des
Zürcher Pfarrers veröffentlicht. In drei Abschnitten werden Biographie
, Denken und Werk und die Nachwirkungen beschrieben.
Das schmale Buch ist eine solide, detailreiche Einführung in die
Vita dieses ,Genies des Herzens'. Weigelt legt den Hauptakzent
einerseits auf Lavaters ungezählte Kontakte zu Zeitgenossen,
denen er. mehr als den eigenen literatischen Leistungen, seinen
Platz in der Geschichte der Literatur und des Denkens verdankt.
Zweiter zentraler Punkt ist die Frage, „ob Lavaters facettenreiches
Leben nicht letztlich doch von einem einzigen Movens bestimmt
gewesen sei". Weigelt meint Lavaters Gier nach Erfahr-
barkeit der Tranzendenz. Sie steht hinter vielen von Lavaters
Rei sen, hinter seiner Neugier auf Menschen und auch hinter seifen
physiognomischen Studien.

Weigelt weist auch auf Defizite der Lavaterforschung hin. So
muß Lavaters theologischer Wendung von einer milden Aufklä-
■"ungstheologie zu seiner eigenartigen Christozentrik größere Beachtung
geschenkt werden, ebenso dem Einfluß des Genfer Na-
•urphilosophen Charles Bonnet.

In Weigelts Buch kommt leider die theologiegeschichtliche
Einordnung der Sehnsucht nach Erfahrbarkeit der Transzendenz
etwas zu kurz. Man sähe Lavater gern mit Zeitgenossen verglichen
(etwa mit dem so ganz anders gelagerten Hamann oder mit
'» J. Hess) und wäre auf entsprechende Spuren in der zürcherischen
Theologiegeschichte gespannt. Steckt hinter der Sucht
nach Neuigkeiten des Archidiakons Wiek im 16. Jh. und hinter
dem Hexen- und Gespensterwahn des orthodoxen Antistes
Klingler nicht ein ähnliches Verlangen, das vielleicht die Empfindung
eines Defizits im zürcherisch-zwinglischen Spiritualismus
anzeigt? Man vergleiche dazu das dritte Kapitel in Kellers Grünem
Heinrich, wo die Mutter dem Kind ,erste Theologie' beibringt
, die darin besteht, daß Gott ein Geist ist, mit welcher
II,

eologie Keller sein Leben lang nicht zurecht kommen sollte.
Zürich Ulrich Knellwolf

Philosophie, Religionsphilosophie

Bayer, Oswald: Autorität und Kritik. Zu Hermeneutik und Wissenschaftstheorie
. Tübingen: Mohr 1991. X, 225 S. 8°. Kart.
DM 59,-.

,Hören' und ,Antworten' sind nicht nur Spezialfälle menschlichen
Verhaltens, sondern - so B.s Überzeugung - elementare
Vorgänge, die das ganze Leben zusammenhalten' und auch (allerdings
in oft unerkannter Weise) den Vollzug der ,exakten', .reinen
' Wissenschaft bestimmen. Umgekehrt ist mit dem Buchtitel
„Autorität und Kritik" nicht allein „die epochenspezifische Fragestellung
" bezeichnet, die seit der Aufklärung in Philosophie
und Wissenschaft wirksam ist, „sondern zugleich ein fundamentalanthropologischer
Sachverhalt" (VI). Hermeneutik als ein
existenzorientierendes Verstehen überlieferter Texte und Wissenschaftstheorie
gehören also, recht verstanden, zusammen.
Tradition bzw. Überlieferung ist auch im Bereich der Naturwissenschaften
ein elementares Phänomen „bis hinein in das Wesen
und den Wandel des genetischen Codes". Denn das „Leben überhaupt
und mit ihm auch die Wissenschaft ist nur im Übersetzen,
im Hören auf das, was vor uns gesagt ist, und im Antworten darauf
(1).

Das ist die These, die die in diesem Buch zusammengeführten
15 Aufsätze und Vorträge, die teils der Schriftauslegung, teils
dem Verhältnis von Theologie, Glaube, Bildung und Philosophie
gelten, miteinander verbindet. Ihr zufolge beziehen sich Wissenschaft
und persönliches Erleben auf eine gemeinsame Wirklichkeit
; bzw. - kritisch gewendet - sie sollten sich auf eine gemeinsame
Wirklichkeit beziehen. Denn auch Wissenschaft etabliert
sich, nicht anders als menschliches Leben, in geschichtlichen
Bezügen. Nie folgt sie einer ,nur formalen' und in diesem Sinn
'reinen' Methodologie, sondern immer einer solchen, die durchdrungen
ist von materialen Phänomenen: Geschichte, Traditionen
, autoritativen dogmatischen Überzeugungen.

Es ist des Vf.s Anliegen, Anregungen von Johann Georg Hamann
(1730-1788) für eine tatsächlich aufgeklärte Wissenschaft
einzubringen in die Gegenwartsdiskussion hermeneutischer und
wissenschaftstheoretischer Probleme - vor allem im Bereich der
Theologie. Bayer gelingen nicht nur dichte, aufschlußreiche Formulierungen
, Auslegungen und geistvolle Durch- und Ausblicke,
sondern er bietet auch wertvolle Quellenzitate und Literaturhinweise
. Fast dreht sich in der Argumentation Bayers das bekannte
Urteil, heutige theologische Bibelauslegung müsse die neuzeitlichen
profanen Wissenschaftsmethoden anwenden, um ins Gegenteil
, wonach der hergebrachte gläubig-kirchliche Umgang mit
den autoritativen Bibeltexten auch das Paradigma abgibt für eine
an die Wahrheit herankommende allgemeine Hermeneutik und
wissenschaftliche Textauslegung. Aber Bayer will natürlich nicht
einem voraufklärerischen Fundamentalismus in der allgemeinen
Wissenschaftslehre das Wort reden. Er will vielmehr - mit Luther
und Hamann - das Vorurteil zurechtrücken, wir legten in kritischer
Freiheit die auf uns gekommenen Überlieferungen
(„Texte") aus, weil nämlich umgekehrt - so eine weitere Spitzenthese
- die Texte uns auslegen.

„Die hermeneutischen und wissenschaftstheoretischen Fragen
sind wesentlich pneumatologisch-ekklesiologischer Art" (7) -
und dies nicht nur, soweit sie die Bibel und den Unterricht im
Glauben betreffen.

Man mag bedauern, daß der Vf. nicht explizit Bezug nahm auf
die Polemiken, die sich zwischen Anhängern der „Hermeneutik"
und Anhängern der (meist sprachanalytisch orientierten) „Wissenschaftstheorie
" in den siebziger und achtziger Jahren ereignet
haben. Dadurch blieben auch Bayers eigene begriffliche Definitionen
und Unterscheidungen von „Hermeneutik" und „Wissenschaftstheorie
" etwas im Dunkeln. (Offenbar geht es ihm gerade