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Ausgabe:

1992

Spalte:

765-767

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Wallmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Der Pietismus 1992

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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sung, ohne daß eine eingehende theologische Reflexion über ihr
Kirchenverständnis und Kirchesein erfolgt wäre" (309).

Das ist ein hartes Urteil, doch es scheint um so plausibler zu
sein, als Strahm das Kriterium für die Beurteilung aus den Bekenntnissen
erhoben hat, die in der Methodistenkirche selber
den status conjessionis formulierten. Gerade die den Methodismus
auszeichnende Pflege des ethisch-sozialen Engagements
wurde im Dritten Reich zunehmend außer Kraft gesetzt, mit der
Sicherung der rechtlichen Stellung und der Herauslösung aus den
Bindungen an den Weltmethodismus (der amerikanische Bischof
John Nuelsen wurde von dem deutschen Bischof Otto Melle abgelöst
) hatte diese Kirche sich um ihre Freiheit gebracht und sich
in die Abhängigkeit zum neuen Staat in Deutschland begeben. In
der Aufforderung, an der Erneuerung der deutschen Volksgemeinschaft
mitzuwirken, sahen die Methodisten eine Chance für
eine Aufwertung ihrer kirchlichen Existenz und die Möglichkeit,
evangelisch weiterhin wirken zu können. Doch sie erkannten
nicht, daß sie auf diese Weise gezwungen wurden, Zuspruch und
Anspruch des Evangeliums auf die Innerlichkeit des Menschen
einzuschränken und die christliche Botschaft in einer verkümmerten
, deformierten Gestalt zu vertreten.

Sowohl die Darstellung im einzelnen als auch das Urteil im allgemeinen
vermögen zu überzeugen, so schmerzlich manches für
viele Mitglieder der Methodistenkirche bzw. der Freikirchen sein
wird. Am Detail ließe sich hier und da sicherlich manches auch
anders sehen und beleuchten, doch es hieße diese immense Leistung
schmälern, wollte man im Rahmen einer Besprechung darauf
eingehen. Eines freilich ist vom Grundsätzlichen her zu fragen
: Kann es geschichtstheoretisch schon überzeugen, das
Kriterium für die Beurteilung des Verhaltens aus der Bekenntnistradition
des Methodismus selber zu beziehen? Sind diese Bekenntnisse
nicht der geistige und geistliche Erkenntnisstand
einer vergangenen Zeit und müßte nicht erst noch einmal über
dessen Rechtmäßigkeit nachgedacht werden? Könnte es nicht
theoretisch auch so gewesen sein, daß die eine oder andere Entscheidung
im Dritten Reich eine Korrektur oder Verbesserung
des methodistischen Verhaltens zur „Welt" bzw. ihre konfessionelle
Identität in veränderter, moderner Zeit gewesen sein
könnte? Die Frage stellt sich radikal: War vielleicht die methodistische
Religiosität selbst schon für das Scheitern unter totalitären
staatlichen Bedingungen verantwortlich zu machen und
nicht erst die Ohnmacht der betroffenen Generation von Methodisten
? Diese Fragen hat sich Strahm nicht gestellt, er hat sie
vielleicht geahnt, auch die Schwierigkeit ihrer Beantwortbarkeit,
und sich deshalb dafür entschieden, das Urteil nur auf der
Grundlage zu fällen, die die Akteure zwischen 1933 und 1945 selber
anerkannt hätten: weder die Kriterien des zeitgenössischen
Widerstands bzw. der Bekennenden Kirche noch diejenigen von
nachgeborenen Kirchenhistorikern, sondern die eigene Bekenntnistradition
. Sicherlich haben diese Akteure damals subjektiv oft
mit gutem Gewissen gehandelt und geglaubt, mit dem Bekenntnis
ihrer Kirche im Einklang gewesen zu sein, objektiv aber
haben sie sich blenden und täuschen lassen, oder sie haben unbe-
wußt dazu beigetragen bzw. so in einer historischen Erfahrungskette
gestanden, daß es dazu kommen mußte. Das hat Strahm zu
*eigen versucht, und dieser Versuch ist auf der ganzen Linien ge-
'"ngen. noch einmal: ein Vorbild für alle weiteren Untersuchungen
zur Geschichte der Freikirchen im Dritten Reich.

Hamburg Hans-Jürgen Gocrtz

^allmann, Johannes: Der Pietismus. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1990. V, 143 S. gr. 8 - Die Kirche in ihrer Geschichte
. Bd. 4, Lfg. 01. Kart. DM 48,-.

Nach den Gesamtdarstellungen der 70er Jahre von F. Ernest
Stoefller (1973), Martin Schmidt (1972,1983 2. Aufl.) und Erich
Beyreuther (1978) ist nun in dem von Kurt Dietrich Schmidt und
Ernst Wolf begründeten Handbuch der vorgesehene Band über
den Pietismus erschienen.

Entsprechend der früher vollzogenen Aufteilung des Stoffes ist
es eine Darstellung des deutschen Pietismus; die Hinweise auf
andere europäische Länder und Nordamerika werden natürlich
gegeben, aber eben doch jeweils nur kurz. Zeitlich wird Johann
Arndt als „Begründer des Pietismus als Frömmigkeitsrichtung"
(15) einbezogen. Hier hatte der Vf. die Ausweitung selbst in der
Hand, da er für den noch nicht erschienenen Band L 2 über die
Lutherische Orthodoxie selbst zuständig ist.

Schwerwiegender als die zeitlichen und geographischen Grenzen
dieser Einteilung ist die weitgehend offen gebliebene Frage
des Verhältnisses zur Aufklärung, zumal der entsprechende Band
0 2 von Benrath auch noch nicht vorliegt. Wenn solche Handbücher
Jahrzehnte brauchen, bevor sie erscheinen, werden historische
Vorentscheidungen in der Aufteilung prolongiert, ohne daß
Korrekturen möglich sind.

Wallmann referiert in der Einleitung kurz und präzise die Forschungslage
und begründet die von ihm bevorzugte „biographische
Methodik"(l 1), die in der Tat gegenüber literaturgeschichtlichen
und sozialgeschichtlichen Ansätzen den Vorzug verdient,
zumal in einer vorgegebenen knappen Seitenzahl. Das von der
Kommision zur Erforschung des Pietismus geplante dreibändige
Geschichtswerk wird sicherlich zeigen, daß die biographische
Vorgehensweise zwar die beste, aber nicht die ausreichende ist.
Im Rahmen dieser Einschränkungen, die weitgehend nicht vom
Verfasser zu verantworten sind, ist das vorliegende Büchlein eine
ausgezeichnete, verständlich geschriebene und übersichtlich gegliederte
Darstellung. Sie hat in der Klarheit der Beurteilung, in
der Auswahl der Fakten und Zitate zweifelsohne Vorzüge gegenüber
den bisherigen Darstellungen. Sowohl der Student wie der
an Geschichte interessierte Leser findet hier verläßliche Information
und Wertung.

Dargestellt wird nach Johann Arndt der reformierte Pietismus,
P. J. Spener, A. H. Francke und der Hallische Pietismus, der radikale
Pietismus, N. L. von Zinzendorf und die Brüdergemeine
(nur bis 1760) und der württembergische Pietismus (nur bis
Oetinger).

Es ist verständlich, daß der ausgewiesene Fachmann für Spener
nicht nur dieses Kapitel aufgrund eigener Forschung gestaltet
, sondern daß auch in den anderen Kapiteln öfters auf Spener
verwiesen wird. Zu bemängeln ist hier lediglich, daß bei Spener
jeglicher Hinweis auf seine Mitarbeit für eine städtische
Armenpflege in Frankfurt und Berlin fehlt. Dem Handbuch entsprechend
werden keine Auseinandersetzungen in Streitfragen
geführt. Über die Literatur sind diese jedem, der daran interessiert
ist, zugänglich. Die Anmerkungen beschränken sich fast ausschließlich
auf Literaturhinweise. Nicht ganz einsichtig ist mir
die vorgenommene Verteilung der Literaturangaben. Einmal
wird zu Beginn auf sechs Seiten allgemeine Literatur und ein regionales
Verzeichnis gegeben, zum anderen werden die biographischen
Angaben jeweils vor der Behandlung der wichtigeren
Personen gegeben. Schließlich wird aber auch in den Fußnoten
über die zitierten Nachweise noch eine ganze Menge Literatur
verarbeitet. So sind die Quellenveröffentlichungen der Historischen
Kommission TGP zwar als allererstes summarisch angegeben
, aber die 13 Bände in den Anmerkungen wiederzufinden, ist
schwierig. Die Predigtbände von A. H. Francke sind anscheinend
nicht notiert worden.

Unverständlich bleibt dem Rezensenten allerdings die Betreuung
des Buches durch den Verlag. Es ist absolut nicht einzusehen,
warum der Beginn vieler Fußnoten auf der vorangehenden Seite