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Ausgabe:

1992

Spalte:

54-56

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Albert Schweitzer heute 1992

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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nächst wird die Notwendigkeit von Ausbildung und Pflege einer erfahrba- gesetz des Rechts zusammenbestehen kann. H. bejaht dies aus-

ren Sozialverfassung der Kirche unter binnenchristlichen Aspekten (Die drücklich. Als konkrete Gestalt geschichtlicher Existenz der Kir-

Bedeutung des Gesetzes für die lutherische Sozialethik, 1 -24) und in cxter- cne jn der sozialen Welt hat die Ordnung der Kirche notwendig

ner Persprektive (Ist Religion noch gefragt? Das religiöse Fundament des Antei, an der Qrdnungsform des Rechts. „Vom weltlichen Recht

staatsbürgerlichen Handelns, 25-48) erwiesen. Dabei verdienen vor allem , „ , . ■ i^-u ■ u. j u r?

7U, • „ , ' unterscheidet sich das Recht der Kirche nicht durch seine Form,

£wei Uesichtspunktc besondere Aufmerksamkeit: Zu beachten ist zum , , . . , .. „ „. . . ,.

einpn H,n u j d ■ * i i i i „, ,. », „ sondern nur durch seinen Inhalt. (110) Detailliert entwickelt

cnen, aali H. den Beitrag von Luthers Dckalogauslegung für die Stellung , ,. _ . „ ' , ,

und Lösung des Problems der Selbstorganisation und -Steuerung der Kir- hat H- diese These ,n der Abhandlung ,Das K.rchenrecht als

chen als sozialer Systeme in einer nichtchristlichen Umwelt stark von der Thema der theologischen Ethik' (in: ZevKR 28 (1983), 199-

Annahme eines sog. adhortativen Brauchs des Gesetzes abhängig macht, 2 77)- Grundlegend ist dabei die Annahme eines einheitlichen

der als usus tertius legis neben dem usus politicus und dem usus elenchticus Rechtsbegriffs im kirchlichen und staatlichen Bereich. Eine for-

zu behaupten sei und auf orientierende und mahnende Weise das Lebens- male Eigenart des kirchlichen Rechts wird daher in Abrede ge-

gesetz und die eigentümliche Sittlichkeit des Glaubens vorzeichne. Daraus stellt; auch das Kirchenrecht ist, wenn es denn überhaupt als

ergibt sich die signifikante These: „Die Gebote der zweiten Tafel und ihre Recht geiten ^ durch die formalen Charakteristika aller

Kegeln beziehen sich zwar auf die Gesamtsphäre gesellschaftlicher Inter- Rechtsregeln gekennzeichnet, nämlich durch „ Deutlichkeit, Ver-

AhT;anHder Glaub™dC ™,ch'gla"bendc 8""«»*»» An'eil habre"- bindlichkeit und Sanktionsbewehrtheit" (113). Über die Sachge-

ADer wie das erste Gebot den Glauben fordert und nur von ihm erfüllt . . .... „ . -I

wird u u r ... ... , „, . r , maßheit der rechtlichen Regeln kirchlicher Ordnung entscheidet

w|ra, so wird auch ihre Forderung - als Implikat der Glaubensforderung- . " • . ,

nur vom Glauben als gültig anerkannt und erfiillr (18). Was den zweiten, h'ngegen ausschließlich ihr Inhalt. Solche Sachgemäßheit ist

d>e Externperspektive betreffenden Gesichtspunkt anbelangt, so ist vor dann gegeben, wenn die Regeln des Kirchenrechts „diejenigen

allem der Hinweis höchst bemerkenswert, daß die verbreitete, aber miß- Spielräume fixieren, in denen gerade Verzicht auf Zwang und Ge-

verständliche „ Rede von der .weltanschaulichen Neutralität des Staates'... walt im Umgang der Christen miteinander rechtlich (also: unter

einen politischen Wert (formuliert), der nur unter der Bedingung realisiert Androhung von Zwang) sicherzustellen ist. Daß z.B. ... das

werden kann, daß das Handeln in allen politischen (also auch staatlichen) kirchliche... nur das Recht der Wort verkündigung, aber nicht der

nstitutionen nicht weltanschaulich neutral ist, sondern genau von solchen Erzwingung eines evangeliumsgemäßen Verhaltens (habe), das

religiös-weltanschaulichen Überzeugungen getragen, die zum Eintreten für gehört zum Spezifjschen Inhalt der rechtlichen Regeln kirchlicher

u'e spezitisch .rechtsstaatlichen' Institutionen - wie z. B. die Unterschei- Ordnung" (113)

dung von Staat und Gesellschaft, die Gewalteinteilung, die Toleranz gegen- _ .7. * , ., , ,

"ber Andersdenkenden etc. - verpflichten und auf Dauer befähigen " (25). Damlt lst berelts e,n entscheidender Aspekt der Lehrordnung

Nicht zuletzt darin sieht H. einen Beleg für seine These, daß nur diejenige der K,rche angesprochen, sofern zu gelten hat: „Gott selbst ver-

Praxis des Glaubens Gesellschaft gestaltet, die in dieser auch Kirche gestal- 'angt von den Boten des Evangeliums, einerseits den universalen

tet (vgl. E. Herms, Gesellschaft gestalten. Beiträge zur evangelischen So- Geltungsanspruch des Evangeliums verständlich und klar zur

z>alethik, Tübingen 1990). Sprache zu bringen, und gleichzeitig andererseits darauf zu ver-

Die gesellschaftsrelevante Erfahrungsgestalt der Kirche versucht so- ziehten, auch selbst seine Geltung sicherstellen zu wollen." (98)

dann ein dritter Beitrag mit dem Begriff der Organisation zu erfassen (Reli- Daß solcher Verzicht nicht nur die Bedingung der Möglichkeit

g'on und Organisation. Die gesamtgesellschaftliche Funktion von Kirche VQn Konsens darstellt, sondern mit der Verpflichtung zu Über-

dem r SS d" evangelischen Theologie, 49-79), welchem gegenüber ufbarer herrneneutischer Disziplin untrennbar verbunden ist,

"ein uegriffder Institution der Vorzug gegeben wird. Theologisch entschei- ,, .... „, ■

dend ist dabei die Annahme, „daß die Kirche als Organisation nicht Hin- hat in e.ndrucksvoller und uberzeugender Weise verdeutlicht.

demis und Hemmung, sondern umgekehrt Voraussetzung und Boden für Da dles lm gegebenen Zusammenhang im einzelnen nicht belegt

die Lebendigkeit des Glaubens und seine sozialgestaltende Wirklichkeit und ausgeführt werden kann, bleibt nur die Empfehlung zur

,st" (53). Kurz gesagt: „Der Heilige Geist wirkt systemkonstuierend." (63; Eigenlektüre, die im Blick auf die Ausführungen zur kirchlichen

bei H. gesperrt. Sehr kritische Bemerkungen zu den systemtheoretischen Lehrordnung besonders nachdrücklich ausgesprochen wird. Wer

rämissen von H. finden sich bei S. Brandt, Kirche als System? Zu den Kirche nicht nur erfahren, sondern sich einen theologischen Be-

neoriegrundlagen von Eilert Herms' Buch .Erfahrbare Kirche', in: EvTh grifferfahrbarer Kirche machen will, ist mit dieser Empfehlung

5'( 99i), 296_304.) gut beraten.

Alle weiteren Aufsätze entfalten die Komplexität des auf den Organisa-

•'onsbegriff gebrachten ekklesiologischen Zusammenhangs: Ein vierter . . _ _.. ...

Beitrao » • ■_ _.■ r- . ■ , i>. j r i. j v, i ; Augsburg Gunther Wcnz
Cllrag erörtert die „Funktion von LeitungJur Jas Leben der Kirche als

teelbchaßlicher Organisation" (X; Was heißt .Leitung in der Kirche'?,

0-101), ein fünfter umreißt den Begriff kirchlicher Ordnung (Die Ord- Günzler, Claus, Gräßer, Erich, Christ, Bodo, u. Hans Heinrich

tun8 K'rche' 102-118)' "die der Pl1cge durch die Inhaber von Lei" Eggebrecht [Hg.]: Albert Schweitzer heute. Brennpunkte seines

q gsamtern empfohlen ist", wobei hervorgehoben wird, „daß kirchliche Denkens. Tübingen: Katzmann 1990. 384 S. 8 = Beiträge zur

anung ,n formaler Hinsicht des Rechtscharakters nicht entbehren Albert-Schweitzer-Forschung, 1. Kart. DM 48,-.
n" und „daß sachlich im Gefüge kirchlicher Ordnung die Ordnung der

ehre grundlegend ist" (XI). Ihr, der Lehrordnung der Kirche, ist ein um- Bej der m E ausgesprochen wertvollen Publikation handelt es

119 ,'"h1errrSechster Beitrag 8ewidmet (°ie Lehre im Leben der Kirche, sjch um den efsten ßand mjt dem die , 987 in Mainz gegründetc

■>*>)■ Ferner werden in diesem Kontext die Bedeutung der .Theologi- .... , , ... _. „ , ~___., . r.„,.,0. .•

schenkt, 1 . f • ^ o ,l , j -. u <-u . j „ Wissenschaftliche Albert-Schweitzer-Gesellschaft (168) an die

schule für die Selbstgcstaltung des evangelischen Christentums und J. ...... v '

se'"e sozialethische Praxis (157-189), die Lage der Theologiestudenten Öffentlichkeit tritt. Ausgewiesene und profunde Kenner des Le-

u"d die Aufgabe der Theologie (190-208) sowie Bildung und Ausbildung benswerkes Albert Schweitzers behandeln in 17 Beiträgen dessen

als Grundthemen der Theologie (209-221) erörtert. Das Sammelwerk philosophische, theologische, medizinische und musikwissen-

schließt mit Überlegungen zum Thema .Luther als Seelsorger' (222-238) schaftliche Aspekte, wobei die Probleme seiner Kulturphiloso-

Und .Auf dem Weg in die offene Gesellschaft'(239-249). phie dominieren und eine höchst interessante und weiterfüh-

Statt auf Einzelheiten einzugehen, soll aus der Fülle von Pro- rende Behandlung erfahren. Summarien in französischer und

'emen und Einsichten nur eine These aufgegriffen und etwas englischer Sprache, ein Autorenverzeichnis sowie ein program-

e,ngehender thematisiert werden, nämlich der systematisch zen- matisches Nachwort der Hgg. runden die ausgezeichnete Veröf-

l/ale Hinweis, daß kirchliche Ordnung in formaler Hinsicht ohne fentlichung ab. Eigentlich verdienten alle Beiträge eine ausführli-

echt nicht auskommt und sachlich im wesentlichen durch die che Besprechung; im Hinblick auf den Charakter der ThLZ seien

ehrordnung bestimmt ist. Was ersteres betrifft, so erhebt sich die philosophischen und theologischen Beiträge besonders her-

,e Frage, ob die ihrer ekklesiologischen Bestimmung nach „ frei- vorgehoben.

e"sdienliche Ordnung" (XVf) der Kirche mit dem Zwangs- Ulrich Neuenschwanders Beitrag „Ethik der Lebensbejahung"