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Ausgabe:

1992

Spalte:

754-755

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The Romans debate 1992

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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gebotenen theologischen Grundlegung. 4,14-6,20 versteht G. als „Übergangsstück
", das den Boden für den zentralen Abschnitt 7,1-10,18 bereitet
. 4.14-I6 faßt dabei die bisherigen Entfaltungen zusammen und bringt
erneut das Festhalten am Bekenntnis als entscheidendes Argumentationsziel
des Schreibens ins Spiel. Die Christen werden als „ Herantretende" bezeichnet
, wodurch sie nicht nur als Wandernde, sondern zugleich als auf
der Wanderschaft bereits an der himmlischen Festversammlung Partizipierende
ausgewiesen sind. Zugleich wird die Bedeutung der Gemeinde
verstärkt: „Nur der Verbleib in der kultischen Gemeinschaft des wandernden
Gottcsvolkes macht das Ziel des Weges, die himmlische Katapausis, sicher
: " (265) 5,1-10 schließt an diese Einleitung an, bringt nun aber keinen
„Thcmait'rt/;«'/, sondern eine Themaverliefung" (267). G. versteht diesen
Abschnitt als „Beitrag zum Thema .Der Erlöser und die Erlösten' von
höchster theologischer Reflexionskraft" (315) und akzentuiert VV 9.10 als
dessen Zusammenfassung. Mit der Vorstellung vom „solidarischen Hohepriester
" spitzt Vf somit das christologische Bekenntnis soteriologisch zu,
um ihm entscheidende parakletische Kraft zu verleihen. „Die Angefochtenen
dieser Erde haben im Christus passus einen Helferund Stellvertreter,
der nicht nur irdisch durchhilft, sondern auch eschatologisch vollendet,
und zwar diejenigen, die gehorsam sind wie er." (316). Besonderes Interesse
wird bei jeder Kommentierung des Hebr dem Abschnitt 5,11 -6,20 gelten
. G. verdeutlicht ihn als „eine Art Propädeutikum", das „als retardierendes
Moment ... den dogmatischen Gedankengang in ungewohnter
Weise unterbricht" (317).

Der Vf.. der sich hier auch an das antike Paideia-Motiv anschließt, beschreibt
„das Christsein überhaupt als ... Entwicklungsprozeß .... der eine
Frucht theologischer Gnosis... sowie hermeneutischen und pädagogischen
Bemühens ist." (322) Für den schwierigen Text 6,4-6 hält G. zunächst fest:
..daß dieser berühmte, wirkungsgeschichtlich so unheilsvolle Textabschnitt
ein fester Bestandteil der paränetischen Zielsetzung unseres Vf.s
ist." (346) Dieser wolle keine „dogmatisch-grundsätzliche Einlassungen
über die Unmöglichkeit der zweiten Buße machen" (346), sondern - im
Sinne einer entschiedenen Warnung - verunsicherten Christen die „mögliche
Unmöglichkeit" des eigenen Abfalls und seiner Konsequenzen vor
Augen stellen. G. geht dann freilich mit entschiedener theologischer Sachkritik
über dieses Urteil hinaus und markiert gerade die Vorstellung von
der Unmöglichkeit der zweiten Buße als Ausdruck einer durchaus problematischen
Akzentuierung der Theologie des Hebr: „Wo die nur quantitative
Steigerung des Neuen Bundes gegenüber dem Alten mit entsprechend
gesteigerter Gcfähidung ins Auge gefaßt wird, da nimmt Hebr den von ihm
selbst formulierten qualitativen eschatologischen Umschlag von 1,2 nicht
ernst bzw. hält ihn nicht konsequent durch. Vom falsch verstandenen
Uberbictungsansatz aus kann Hebr also die Fülle des Evangeliums nicht
erreichen." (362) Ähnlich ist das Urteil über das Erntegleichnis 6,7-8, das
nach G. ebenfalls „den eigentlichen Schwachpunkt seiner Theologie (verrät
): Sic spannt den Christenmenschen in den übersteigerten Rahmen der
Gesetzmäßigkeit" (362). Notwendig ist solche Sachkritik ohne Zweifel,
denn die Vorstellung von der Unmöglichkeit der zweiten Buße geht aus
dem Gesamtansatz des Hebr hervor und muß deshalb von diesem her bzw.
auf diesen hin theologisch gewertet werden. Auch 6,9-12, der ausgleichende
Abschluß des Passus, „salviert" nach G. bestenfalls „den Rhetor,
aber nicht den Theologen." (364) Einen Bezug auf eine konkrete Gemeindesituation
meint G. auch in 5,11-6,12 nicht feststellen zu können:" Die
Art, wie unser Vf. die geistige Mattigkeit der Angeredeten beschreibt - als
Denkfaulheit und als Stagnation im Erkenntnisfortschritt -, paßt am Ende
des 1. Jh.s n. Chr. auf viele Gemeinden eher als nur auf eine." (325) Hier
wird sich die Gegenposition gerade mit Blick auf 6, 1-3.9-12 (zusammen
mit I0,32ff) wohl auch weiterhin zu Wort melden, wobei geltend zu machen
wäre, daß ein Bezug auf generelle kirchliche Situation auch dann
"icht völlig ausgeschlossen werden muß, wenn das Schreiben unmittelbar
e'ne konkrete Gemeinde vor Augen hätte.

Alles in allem führt sich E. Gräßers Kommentar schon mit dem
'• Band als bedeutende Auslegung des Hebr ein, die mit klarer
theologischer Profilierung und deutlichen exegetischen Akzenten
'n Spektrum der Hebr-Forschung Stellung bezieht und für die
künftige Arbeit am Hebr wichtige Orientierungen und Maßstäbe
aufgestellt hat. Das Buch besticht v. a. durch die Verbindung von
gründlicher cxegetisch-religionsgeschichtlicher Information und
'heologisch-hermeneutischer Reflexion. Die wenigen im Rahden
einer Rez. möglichen Hinweise wollten gerade diesen
Aspekt des Buches exemplarisch belegen. Es erscheint gleichermaßen
als profundes exegetisches, engagiertes theologisches und

faszinierend aktuelles Buch. G. selbst schreibt im Vorwort über
die Bedeutung des Hebr: „Wir stehen vor dem bemerkenswerten
Versuch, eine Glaubenskrise zu bewältigen durch - bessere Theologie
. Das könnte die heutige Christenheit aufmerken lassen."
(VIII) Seine Auslegung des Hebr wird ohne Zweifel viel dazu beitragen
, dieses Aufmerken zu befördern und den Hebr als zwar
eigen geprägte, aber in vielen Bezügen erstaunlich aktuelle
Stimme des NT ins Bewußtsein heutiger Christen zu bringen.
Dem Werk ist der baldige Abschluß durch den 2. Band zu wünschen
.

Erfurt Claus-Peter März

Donfried, Karl P. [Ed.]: The Romans Debate. Revised and Ex-
panded Edition. Edinburgh: Clark 1991. LXXII, 372 S. gr. 8°.
geb.£ 18.95.

Bei der vorliegenden Darstellung handelt es sich um einen
Sammelband, der bedeutende Aufsätze zur Exegese des Römerbriefs
enthält. Die Rolle, die er in der weiteren Römerbrief-
Debatte gespielt hat, inspirierte den Hg. zur zweiten erweiterten
Ausgabe. Im Vergleich mit der ersten Auflage (1977) ist die
zweite nicht nur dem Umfang, sondern auch dem Sichtfeld nach
gewachsen. Es handelt sich nicht nur um die Einleitungsfragen,
auf welche sich die erste Auflage (selbstverständlich samt ihren
Auswirkungen in der Theologie) konzentrierte, sondern auch um
die eigentlichen theologischen Probleme der Deutung dieser Epistel
(Sektion C), wobei auch die anderen Probleme in zwei Abteilungen
weiter verfolgt werden: „Historische und soziologische
Faktoren" (A) und „Struktur und Rhetorik des Römerbrie-
fes"(B). Statt zehn Beiträgen sind es jetzt dreiundzwanzig und
mit den Einleitungen des Hg.s, die die Orientierung unter den
vielen Beiträgen erleichtern, ist es ein Hilfsbuch, das für jede ernste
Beschäftigung mit dem Römerbrief unentbehrlich ist.

Äußerlich erinnert die Gestaltung an die Reihe „Wege der Forschung
", welche die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt
) herausgibt. Allerdings ist der vorliegende Band eindeutiger
auf die gegenwärtige Debatte konzentriert und bearbeitet nicht
die Forschungsgeschichte.

Die erste Auflage hat sich vor allem mit dem Anlaß zur Abfassung
und mit der Integrität des Römerbriefs beschäftigt. Die
wichtigsten Beiträge in diesem „alten" Teil sind G. Bornkamms
„Römerbrief als Testament" (1963, deutsch 1971) und Donfrieds
Aufsatz über die falschen Voraussetzungen beim Studium des
Römerbriefs (1974), in dem er zwei methodologische Prinzipien
formuliert, von denen jeder Exeget des Römerbriefs ausgehen
muß, solange er nicht das Gegenteil nachweist. Nämlich (a), daß
der Brief in eine konkrete Lage in Rom spricht und (b), daß Kap.
16 sein integraler Bestandteil ist. Indirekt wird diese These durch
die bahnbrechende Studie von W.Wiefel über die jüdische Gemeinschaft
im antiken Rom und durch die Arbeit über die griechischen
Briefe von M. L. Stirewalt Jr. unterstützt (seitdem gibt
es auch das Buch von S. K. Stowers, Letter Writing in Greco-
Roman Antiquity, 1986).

Der neue zweite Teil beschäftige sich in der Sektion A noch
weiter mit den Fragen des Anlasses und der Absicht des Römerbriefes
. Aus der polemischen Studie von A. J. M. Wedderburn
kann man auch etwas über die Hypothese von W. Schmithals erfahren
, wonach der Römerbrief aus drei Episteln besteht (Der
Römerbrief als historisches Problem, 1975). Ein Auszug aus dem
Kap. VI/1 von P. Lampes Buch „Die stadtrömischen Christen in
den ersten beiden Jahrhunderten" (1987) untermauert die These
von der Zusammengehörigkeit von Rom 16 zum ganzen Brief
und P. Stuhlmacher betont in seinem Beitrag (1986), daß die
grundsätzlichen Aussagen des Briefes auf konkrete Probleme in
Rom reagieren. Sektion B enthält Beiträge zur literarischen Gat-