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Ausgabe:

1992

Spalte:

740-742

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Selb, Walter

Titel/Untertitel:

Orientalisches Kirchenrecht ; 2.Die Geschichte des Kirchenrechts der Westsyrer (von den Anfängen bis zur Mongolenzeit) 1992

Rezensent:

Müller, Caspar Detlef G.

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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Aspekte des Herrscherbildes. „ Heilig" von A. Dihle (2-63) bietet
unter ,nicht-christlich' einen Überblick über den griechischrömischen
Bereich und das Alte Testament und Judentum. In der
Darstellung des Judentums unter Bezug auf Qumran fällt auf,
daß nur einige ältere Handschriftenfunde benutzt werden, ihre
Zitierung nicht dem wissenschaftlichen Standard entspricht.
Hier würde es sich lohnen, den Artikel durch die Einbeziehung
neuerer Qumranschriften wie 1 lQSirSabb u.a. zu ergänzen. Es
ist nicht ersichtlich, warum bei der Beschreibung des hellenistischen
Judentums so wenig die in einer modernen Ausgabe vorliegenden
jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit (He-
noch, Jubiläen etc.) ausgewertet werden. Ausführlicher ist die
Auswertung des NT, der Gnosis und der Kirchenväter.

„Hesekiel" (1131-1191) wurde von E. Dassmann verfaßt. Es
ist zu fragen, warum hier nicht der sonst übliche Name,Ezechiel'
benutzt wird, und es erstaunt, daß nur auf den TRE-Artikel von
Zimmerli (Ezechiel!), nicht aber auf den Kommentar (BK
XIII, 1-2) hingewiesen wird. Unter dem Stichwort „Heiligenverehrung
" I. (96-150) bringt Th. Baumeister AT und Judentum/
Griechisch-römische Welt mit ihrer Gottes- und Heroenverehrung
, sowie ,Christlich' den weiten Bereich von der Apostelverehrung
bis zum Märtyrerkult zur Sprache. Ob ein für das AT
angenommener Totenkult als eine Vorstufe der Heiligenverehrung
angesehen werden kann, dürfte fraglich sein. Es wäre sicher
interessant gewesen, außer den jüdischen Martyriumstexten
auch die zwischentestamentliche Literatur zu befragen (1 lQSirSabb
, Hen u.a.). Der Beitrag „Hellenen" von W. Will und R.
Klein (375-445) gehört ebenfalls zu den umfangreichen Artikeln.
Er gibt einen Überblick über den Ursprung des Namens und die
Geschichte des Hellenismus bis zur Kaiserzeit, sowie die Einstellung
der Römer zu den Hellenen und die Beurteilung der Griechen
und Römer in der griech. Literatur der Kaiserzeit. Der Abschnitt
„Jüdisch, a. Die Hellenisierung des Judentums seit dem
2. Jh. vC" ist mehr auf die Theologie- und Kulturgeschichte dieser
Zeit ausgerichtet. Die jüdischen Schriften aus hellenistischrömischer
Zeit sind nur spärlich ausgewertet, während Philon
und Josephus stärker zum Zuge kommen.

Den Ausführungen zum NT folgt der Abschnitt zur östlichen
und westlichen christlichen Literatur. Umfassend und in der Interpretation
der Quellen vorzüglich sachkundig ist Kl. Bergers
Art. „Henoch" (473-545). Er umfaßt die Vorgeschichte, die He-
nochschriften von den aramäischen Fragmenten (Qumran) bis
zum slavischen Henochbuch, die Traditionen über die Gestalt
Henochs und seine Himmelsreise und stellt den Einfluß auf das
NT und auf die patristische Literatur dar. Zur „Herrschaft"
(877-936) äußert sich P. Stockmeier. Relativ umfangreich ist der
Abschnitt über das Alte Testament und das Frühjudentum (882-
891), wenn auch wieder die zwischentestamentliche Literatur
fehlt. Daß Sp. 890 der Aufsatz von Kl. Koch über die Weltreiche
im Danielbuch einem B. Koch zugeschrieben wird, ist ein unschöner
Druckfehler.

Es ist im Hinblick auf den ganzen Band XIV schade, daß
immer wieder, wie schon bei der Rezension der anderen Bände,
die ergänzungsbedürftige Nutzung der zwischentestamentarischen
Literatur moniert werden muß. Wie es bei vielen Artikeln
Brauch ist, sollte die Bearbeitung eines Spezialgebietes auch den
entsprechenden Spezialisten anvertraut werden. Der Artikel von
Kl. Berger (Henoch) liefert dafür das beste Beispiel.

Für eine größere Zahl von Stichworten sind Verweise vorhanden
: Z. B. Herd, Herdfeuer, Henker u. m. Insgesamt kann dieser
RAC Band XIV wieder mit Hochachtung vor der Leistung der
einzelnen Autoren und mit Empfehlung den Benutzern vorgestellt
werden.

Leipzig Hans Seidel

Selb, Walter: Orientalisches Kirchenrecht. II: Die Geschichte des
Kirchenrechts der Westsyrer (von den Anfängen bis zur Mongolenzeit
). Wien: Verlag der Österr. Akademie der Wissenschaften
1989. 309 S., Beilage: 1 Faltkarte gr.8° = Veröffentlichungen
der Kommission für antike Rechtsgeschichte, 6.
Österr. Akademie der Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse. Sitzungsberichte
, 543. Kart. öS 560,-.

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieser zweite Band von Selbs
groß angelegtem Unternehmen bietet für die Westsyrer bis zur
Mongolenzeit die Rechtsquellen nach dem derzeitigen Stande
der Forschung erschöpfend dar. Vor allem ist auch das Problem
des Verhältnisses von Theorie und Praxis erkannt und den damit
zusammenhängenden Fragen Rechnung getragen worden. Daher
bietet dieses Werk auch einen guten Einblick in das praktische
Leben und zeigt die Wirklichkeit der Existenz der Westsyrer in
der fraglichen Zeit.

Das Buch ist so eingerichtet, daß gleich zu Beginn neben das
allgemeine Abkürzungsverzeichnis Register der abgekürzt zitierten
Quellen und Literatur, der Handschriften, Personen und Orte
treten. Der umfangreiche erste Teil bietet eine Einführung und
Quellenlehre. Der Leser wird zunächst über die Begriffe aufgeklärt
bis hin zu dem Terminus „orientalisch" für die Kirchen des
Vorderen Orients und Nordostafrikas. Eigentliche Westsyrer, mit
Rom unierte Maroniten und Melkiten, ja sogar die der russischen
Orthodoxie zugewandten Assyrer (Nestorianer) werden kurz vorgestellt
und charakterisiert.

Den größten Raum nimmt natürlich die Darstellung der
Rechtsgeschichte und ihrer Quellen ein. Bemerkenswert ist die
Durchlässigkeit auch der Rechtsliteratur im großsyrischen
Raum, zumal alle in einer Sprache schreiben. Insofern bestehen
hier enge Beziehungen zwischen West- und Ostsyrern (= Nesto-
rianern), aber auch Westsyrern (mit Maroniten) und Armeniern
und Kopten. Darüber hinaus ist die Mongolenzeit auch in Westsyrien
Zäsur (nicht nur bei den „Nestorianern"). Nach dem
großen Bar Hebraeus (t Ende des 13. Jh.s) gibt es keine einigermaßen
bedeutsame Rechtsliteratur in syrischer oder arabischer
Sprache mehr (p. 78). Bei dem ganzen Problem ist weiter zu beachten
, daß zwischen kirchlichem und weltlichem Recht im
Sinne der abendländischen Tradition zunächst nicht unterschieden
wird. Auch später wird die Grenzlinie anders gezogen. Überdies
gehen Ritus und Recht, liturgische Anweisungen und
Rechtsnormen ineinander über. Die Ordnung der Buße spielt
eine erhebliche Rolle. Selb stellt weiter die besondere Bedeutung
auch des Rechtes der Westsyrer und ihrer Überlieferung für die
antike Rechtsgeschichte fest (p. 82).

Er befaßt sich weiter mit der Bedeutung Antiochiens für die
Syrer und macht richtig auf das Fehlen des nationalen Charakters
für Gesamtsyrien aufmerksam, da das Land nach allen Seiten
offen ist und eben kein einheitliches Volk beherbergt. Man staunt
etwas, daß bei der Darstellung der christologischen Verhältnisse
der zutreffendere, von Francois Nau geprägte Terminus „Diplo-
physiten" nicht einmal in einer Anmerkung erwähnt wird und
nur von „Monophysiten" die Rede ist. Hier hätte noch etwas differenziert
werden können.

Wichtig ist die genaue Darstellung der Quellen, insbesondere
der auch für Westsyrer wichtigen Synodika, die erst in letzter Zeit
richtig bekannt und in ihrer Bedeutung eingeschätzt wurden (ab
p. 88). Sehr hilfreich sind die Synopsen der Texte mit den sie
überliefernden Handschriften (pp. 100/101, 106-109, 120-127).
Reichskirchliche und Lokalüberlieferung in Westsyrien sind so
auf einen Blick erfaßbar. Wichtig ist weiter eine ausführliche Geschichte
der Komposition der großen Synodika. Selb kann nachweisen
, daß die lokalen Synoden getrennt gesammelt wurden,
und daß die Überlieferung der Sammlungen durchaus nicht so
einfach ist. Als systematischer Sammler hat sich bei den Westsyrern
nur Bar Hebraeus betätigt. Sein „Buch der Rechtleitungen