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Ausgabe:

1992

Spalte:

730-732

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stoebe, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Geschichte, Schicksal, Schuld und Glaube 1992

Rezensent:

Conrad, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 10

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menische Therapeutik" des dritten Teils sich jenen Problemen
zuwendet, die auch heute noch die „Wiedervereinigung" am
meisten hemmen, um sie „auf dem Weg der systematischen Vergewisserung
" einer ökumenischen Annäherung und so einer
"tragfähigen Lösung" entgegenzuführen (13). Die theologische
Gedankenwelt von Heinrich Fries und auf evangelischer Seite
Wolfhart Pannenberg spielt dabei für den Vf. eine tragende Rolle.

Im ersten Teil „Ökumenische Diagnostik" unternimmt der Vf.
«gegenwärtige Standortbestimmungen", wie sie sich in der Ökumene
der christlichen Konfessionen, der Nationen, der Kulturen,
der Religionen, der Geschlechter und der ganzen Schöpfung manifestieren
, was dem Nachweis dient, „daß die christliche Kirche
heute nurmehr als eine insgesamt ökumenische Kirche zu verstehen
und zu vollziehen ist" (17-22). Die Zurückhaltung der römischen
Kirche gegenüber der ökumenischen Bewegung (ekklesio-
logisches Selbstverständnis, Unterschiede in der Größenordnung
hält der Vf. für ebensowenig stichhaltig wie die These von den
konfessionellen Grunddifferenzen (280- Vor allem aber wirke
sich die Diskrepanz zwischen den in der Ökumene erreichten
Übereinstimmungen und der Untätigkeit der Kirchenleitungen
>m praktischen Nachvollzug lähmend aus (31,450-

Um einen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden, beschreibt
der Vf. in Anknüpfung an die Kollusionstheorie von Peter Lengsfeld
drei unabdingbare Faktoren der ökumenischen Prozesse
(31-33). Zuvor gilt es aber, „die ökumenische Vision der Einheit
der christlichen Kirchen präziser ins Blickfeld zu bekommen"
(34), worum sich der Vf. in den nachfolgenden Abschnitten bemüht
. Dabei fehlt es nicht an provozierenden Aussagen, etwa
über die „Glaubensspaltung". Jedenfalls steht das verschiedene
Verständnis der Einheit der Kirche „in engstem Zusammenhang
mit den recht unterschiedlichen ekklesiologischen Konzeptionen
der verschiedenen Konfessionen" (42), deren Annäherung erforderlich
ist, um insbesondere in der Frage der Ämter und des
Papstamtes voranzukommen (41,440- Das kann jedoch nur auf
dem Wege der realen Begegnung als „Basalgestalt lebendiger
Ökumene" geschehen (46-48). Dadurch wird aber der „auch
heute notwendige Streit um die Wahrheit des christlichen Glaubens
und um die wahre Gestalt der christlichen Kirche" nicht
verhindert (48-50). „Denn wirklich wach für Neues werden
Menschen gerade nicht durch Konsonanz und Entsprechung,
sondern nur durch Dissonanz und Widerspruch" (51). Dabei ist
die geistlich-theologische Begründung der Ökumene ebenso zu
bewahren wie die Weltverantwortung der Kirche (54-57). Indes,
»Sakrament der Einheit, der Versöhnung und des Friedens der
Menschheit können die christlichen Kirchen nur sein, wenn sie
unter sich selber eins und damit friedensfähig geworden sind"
(57).

Nach der programmatischen Grundlegung in der ökumenischen
Diagnostik folgen im zweiten Teil („Ökumenische Anamnese
") „geschichtliche Spurensicherungen", indem in vier Themenbereichen
historische Ansätze und theologische Zusammenhänge
der Ökumene auf ihren Gegenwartsbezug gebracht
und befragt werden: die Confessio Augustana und die Frage ihrer
Anerkennung (65-106), Martin Lutherais „gemeinsamer Lehrer
der Kirche" (107-126), Huldrych Zwingli als „Reformator des
gesellschaftlichen Lebens" (127-144) und die jüdisch-christliche
Ökumene (145-159), die sich von dem „geschichtlichen Ur-Riß
tischen Kirche und Synagoge" herleitet und im Rückblick auf
Auschwitz „ins Zentrum und ins Herz der innerchristlichen
Ökumene selbst zurückführt" (630-

'm letzten Teil („ökumenische Therapeutik") wendet sich der
*f- einigen grundlegenden ökumenischen Differenzen zu, die
Zvvischen den Kirchen stehen und deren Behebung in einem trag-
^higen Konsens es bedarf, wenn es zu einem wirksamen Beitrag
der Kirchen auch in weltlichen Lebensfragen kommen soll. Der
nennt an erster Stelle das Papsttum, sodann Lehramt/-

Lehrzucht, Heiligenverehrung und das Problem der eucharisti-
schen Gemeinschaft.

Die Vision von einer ökumenischen Gestalt des Papsttums
läßt den Vf. auch den historischen Entwicklungen und Wandlungen
des petrinischen Amtes kritisch nachgehen und zu dem
Schluß gelangen, daß trotz nur erster Ansätze „doch im Zweiten
Vatikanischen Konzil wesentliche Perspektiven sowohl des evangelischen
als auch des orthodoxen Verständnisses von Kirche
und ihrer Einheit aufgenommen (sind), so daß die theologische
Frage nach Funktion und Wesen des Papstamtes erst recht ökumenisch
gesprächsfähig geworden ist" (183). Freilich „muß man
in der Amtspraxis des Papstes selbst ein elementares Kriterium
für eine ökumenische Verständigung über das Papsttum erblik-
ken", wie es im Pontifikat des Roncalli-Papstes beispielhaft geschehen
ist (186).

Im anschließenden zweiten Kapitel geht es nicht um das vieldiskutierte
Amtsverständnis (vgl. dazu 223fi) als solches, sondern
um „Lehramt und Lehrzucht in ökumenischer Perspektive"
im engeren Sinne. Hier muß angestrebt werden, „daß sowohl gegenüber
einer tendenziell totalitären Lehreinheit in der katholischen
Kirche als auch gegenüber einem tendenziell anarchischen
Lehrpluralismus in der protestantischen Tradition die Einheit
der Kirche nur als Einheit in der Vielfalt und als Vielfalt in der
Einheit zu verstehen und zu leben ist" (199). Daß die Kirche
dabei die „elementare Spannung zwischen kirchlichem Lehramt
und dem Gewissen des einzelnen Christen aushält", läßt sie erst
eine „vertrauenswürdige Kirche" sein (200).

Von der „ Heiligenverehrung" ist der Vf. der Meinung, daß sich
trotz des relativ geringen Stellenwertes, den sie in den gegenwärtigen
ökumenischen Auseinandersetzungen einnimmt, „auch
heute noch an diesem Thema fast alle kontroverstheologischen
Probleme gleichsam wie in einem Brennglas konzentrieren"
(203). Man solle sich aber die gegenseitigen Positionen nicht aufdrängen
noch sie verdammen (211). Die weit umstrittenere Ma-
riologie bleibt merkwürdigerweise unerwähnt.

Umso intensiver wendet sich das vierte Kapitel dem Problem
der „eucharistischen Gemeinschaft" zu. Im Vordergrund steht
dabei das in den Konfessionen unterschiedlich bewertete Verhältnis
der eucharistischen und der ekklesialcn Dimension im
Sakrament, was dringend einer gegenseitigen Korrektur bedarf
(214-222). Um „weiterführende ökumenische Schritte" zu ermöglichen
, ist nach Meinung des Vf.s eine Neubesinnung über die
Zuordnung von Eucharistie und Amt und das Sakramentsverständnis
als „Zeichen" und „Werkzeug" in Ausdehnung auf den
ökumenischen Bereich geboten (222-228). In der „gegenwärtigen
ökumenischen Zwischenzeit" (231) - so der behutsam abgesicherte
Vorschlag des Autors - sollten über die „eucharistische
Gastfreundschaft" und die „Hauskirche" der konfessionsverschiedenen
Ehe Wege gesucht werden, um der eucharistischen
Gemeinschaft näherzukommen (229-236).

Das Buch verrät von der ersten bis zur letzten Zeile ein beachtliches
Engagement für die Sache der Ökumene. Die oft eigenwilligen
Gedankengänge, Urteile und Schwerpunktsetzungen des Vf.s
wird man längst nicht immer mitzuvollziehen brauchen, die ökumenische
Motivation selbst wird durch dieses Buch in beiden
Konfessionen sicherlich Stärkung und Ermutigung erfahren.

Frankfurt/Main Hanfried Krüger

Stoebe, Hans Joachim: Geschichte, Schicksal, Schuld und
Glaube. Frankfurt/M.: Athenäum 1989. 339 S. gr.8° - Athenäum
Monografien, 72. Pp. DM 88,-.

Der vorliegende Band enthält 18 Aufsätze, die erstmals in den
Jahren 1952-1980 in verschiedenen Zeit- und Festschriften erschienen
sind und die Heinz-Dieter Neef als Ehrung und Dankes-