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Ausgabe:

1992

Spalte:

707-709

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schneider, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das Menschenbild der Waldorfpädagogik 1992

Rezensent:

Müller, Werner

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

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pulse": Als Sequentialisierungsmöglichkeit bietet sich zunächst
der bei Abraham beginnende Weg des Glaubens an, der bis zu
Jesus führt. „Die Geschichte des Christentums muß parallel zur
Geschichte des Judentums betrachtet werden" (331). Korrelationsdidaktik
darf nicht übersehen, daß sich nicht alle Stoffe jeweils
auf „Gegenwartserfahrungen der Schüler" beziehen lassen.
Stattdessen sollen sie die biblischen Erzählungen „ in die Strukturen
religiösen Denkens hineinwachsen ... lassen" (333).

Dem Buch kommt das Verdienst zu, die religionsdidaktische
Wichtigkeit des Themas Judentum - Christentum herauszustellen
und auf wichtige theologische und psychologische Grundlagen
hinzuweisen: Das Christentum entstand im Rahmen des antiken
Judentums. „Je mehr Ähnlichkeiten zwischen der eigenen
und einer fremden Gruppe wahrgenommen werden, desto geringer
wird das Vorurteil" (263).

Dennoch sind schwerwiegende kritische Anfragen zu formulieren
.

- Kommt der im 1. Teil getriebene allgemein- und religionspädagogische
Aufwand im 3. Teil voll zum Tragen?

- Entsteht nicht eine verhängnisvolle Tendenz, um der Verständigung
willen innerhalb der christlichen Botschaft die Akzente
falsch zu setzen? Nach christlichem Verständnis steht keineswegs
„im Zentrum der Bibel ... das Exodus-Ereignis" (325),
sondern die Auferweckung des Gekreuzigten! Das Bekenntnis zu
Jesus Christus als dem einen Heilsbringer ist nicht ein Detail
unter anderen, sondern tragender Grund aller Einzelinhalte des
Glaubens!

- Besteht die durch christliche Erziehung zu fordernde ethische
Disposition nicht einfach darin, daß Christen trotz grundsätzlicher
Trennung im Religiösen mit allen Menschen friedlich
zusammenleben sollen? Wäre es nicht bereits ein beträchtlicher
Erfolg, wenn Anhänger der einen Religion den Gedenken aufgäben
, andere dafür verachten oder bestrafen zu müssen, daß sie
einer anderen oder keiner anhängen?

- Tendiert diese wie ähnliche Arbeiten nicht dazu, den RU mit
einem - zugegebenermaßen wichtigen - Anliegen überfrachten
zu wollen? (Man stelle sich ähnliche Arbeiten vor zur Umweltproblematik
, zum Hunger in der 3. Welt, zum Ökumenismus, zu
den Menschenrechten usw.)

Erlangen Günter R. Schmidt

Schneider, Wolfgang. Das Menschenbild der Waldorfpädagogik

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1991. 319 S. gr.8 = Freiburger
theologische Studien, 147. Kart. DM 48,-.

Die sich wandelnde Schullandschaft der ehemaligen DDR
bringt Eltern, Schüler und Lehrer mit vielen für sie neuen Fragen
in Berührung. Die Erfahrungen mit dem alten Schulsystem
haben gerade „neuen" und sich „alternativ" gebenden Anbietern
einen beträchtlichen Zulauf eingebracht. Insbesondere die
entstehenden Waldorfschulen sind mit großem Interesse und
Wohlwollen von Eltern beobachtet worden. Aus dem verständlichen
Wunsch, das Beste für die Kinder ermöglichen zu wollen, ist
vielfach das Andere und Neue für das Bessere gehalten worden.
Zur Verantwortung gegenüber den Kindern gehört jedoch auch
eine auf sachkundiger Information beruhende abgewogene Entscheidung
. Auch diesem Anliegen kann das zu besprechende
Buch dienen.

Das Manuskript wurde unter dem vollständigen Titel „Das
Menschenbild der Waldorfpädagogik - Untersuchung zu Rudolf
Steiners Personbegriff" von der Philosophischen Fakultät der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität als Dissertation
angenommen. Die Arbeit stellt vor die Frage nach einer Beurteilung
der Steiner'schen Pädagogik die Darstellung seiner Anthroposophie
. Diese wird durch einzelne Themenbereiche wie
Erkenntnistheorie, Anthropologie, Kosmologie sowie Ethik genauer
zu erfassen versucht. Der systematische Zusammenhang
dieser Themengebiete ergibt sich durch die Leitfrage nach dem
Personbegriff Steiners, so daß die leitende Fagestellung die nach
der Erkenntnis-, Seins- und Handlungsweise der Person im Denken
Steiners ist. Aufgrund dieser so zentrierten Frage ist der
Brückenschlag zu Steiners pädagogischem Denken gefunden. Die
Vorstellungen von der Person sind eng mit dem Konzept über Erziehung
und Unterricht verbunden.

Diesen methodischen Vorentscheidungen folgt der Aufbau der
Arbeit. In einem ersten Teil wird Steiners Erkenntnistheorie dargestellt
und auf der Basis der Erkenntnistheorie Kants kritisch
untersucht. W. Schneider kommt zu dem Ergebnis, „daß Steiner
aufgrund eines fundamentalen Mißverständnisses von Kant in
vorkritische und naivrealistische erkennnistheoretische Positionen
zurückfällt, auf deren Grund in späteren Jahren ein in sich
verworrenes, unwirkliches und letzlich beliebiges Konglomerat
phantastischer Ideen entsteht, das mit ernsthafter Philosophie
nichts mehr zu tun hat... Unter philosophisch-kritischer Fragestellung
erweist sich Steiners Erkenntnistheorie als ein naiver
Ontologismus" (300.

In einem zweiten Teil wird nach den Grundlagen von Steiners
Anthropologie und Kosmologie gefragt. Es wird gezeigt, wie Steiners
Menschenbild in einem Dualismus von seelisch-geistiger
Wesenheit (die aus einer jenseitigen Welt stammt und ewig ist)
und einer körperlichen (die der Generationsfolge entstammt)
gründet. Innerhalb dieses Rahmens werden die das Menschenbild
Steiners prägenden Entwicklungs-, Temperamenten- und
Charakterlehren mit ihrem kosmologisch-deterministischen Verständnis
des Menschen entwickelt.

Ein dritter Teil bringt in der Steinerforschung bisher kaum beachtete
Aspekte ins Bewußtsein. Die „Philosophie der Freiheit"
wird unter dem Gesichtpunkt der Frage nach den Grundlagen
der Ethik Steiners und seinem Freiheitsbegriff sowie der Verhältnisbestimmung
von Freiheit und Karma untersucht. Schneider
verdeutlicht, daß aus dem „ethischen Individualismus" Steiners
keine Ethik entwickelt werden kann, sondern „lediglich eine Naturlehre
, in der eine begriffliche Unterscheidung zwischen Gut
und Böse nicht mehr möglich ist und die Suche nach der Möglichkeit
einer absoluten, unendlichen Freiheit die Wirklichkeit einer
immer auch endlichen und damit schuldgezeichneten endlichen
Freiheit verkennt" (32).

Der vierte Teil will an Einzelfragen wie pädagogisches Po-
prium in Waldorfschulen, Didaktik und Methodik in der Waldorfpädagogik
, Sprache und Literatur, Mathematik und Anthroposophie
sowie Naturlehre und Anthroposophie erläutern, daß
Anthroposophie und Waldorfpädagogik eine untrennbare Einheit
darstellen. Unter der Berücksichtigung der ersten Kapitel
und ihrer Ergebnisse über das Erkennen, das Sein und Handeln
der Person bei Steiner wird gezeigt, wie sich dieses Denken in den
Vorstellungen von Unterricht und Erziehung auswirkt. Auf die
Frage, ob die Waldorfpädagogik, ein Modell von „personaler
Pädagogik" sei, antwortet Schneider: „Auf dem Grunde von
Steiners Anthroposophie kann es keine Pädagogik geben, in
deren Mittte der Mensch als Person steht" (33).

Das Ergebnis der Gesamtuntersuchung hat eine für nach Infor-
mation suchende und um Entscheidung ringende Eltern und
Schüler hörenswerte Konsequenz. Das zusammenfassende L"-"
teil Schneiders ist nur mit Betroffenheit zur Kenntnis zu nehmen
: „Die Erziehung an Waldorfschulen muß ... aufgrund ihrer
Theorie zum Gegenteil dessen werden, was sie... vorgibt zu sein:
zur Manipulation und Determination des Schülers gemäß den
vermeintlich geschauten kosmischen Ordnungen, in deren apersonale
Gesetzmäßigkeiten und mit christlichem Gedankengut