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Ausgabe:

1992

Spalte:

705-707

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kohler-Spiegel, Helga

Titel/Untertitel:

Juden und Christen, Geschwister im Glauben 1992

Rezensent:

Schmidt, Günter R.

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

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die „Erhaltung christlicher Substanz in unserem Volk" (72).
Auch er erinnert an die Verfassungsvorgaben („Ehrfurcht vor
Gott und Christentum, Abendland und Humanität ist nicht in
die Beliebigkeit einzelner Lehrer oder einzelner Lehrerkollegien
gestellt. Sie müssen diesen Grundsätzen in ihrer Erziehungs- und
Unterrichtsarbeit gerecht werden" 63), sieht aber aufgrund der
soziokulturellcn Veränderungen (Schwinden eines Minimalkonsens
über das Menschenbild, Permissivität, geistiger Pluralismus
, wachsender Ausländeranteil (!) 67) kaum noch Möglichkeiten
für die Durchsetzung des Verfassungsanspruches in der
öffentlichen Schule. Zwar könne „von einem klaren evangelischen
Schulkonzept oder einer evangelischen Schultheorie ...
kei ne Rede sein" (70), aber die evangelische Position müsse im
Angebot der freien Schulen angemessen vertreten sein (71); sinnvoller
schiene ihm die Errichtung ökumenischer Schulen (64,
71), was aber derzeit an „ Rom" scheitere.

Fünf Berichte aus der konkreten Arbeit freier christlicher Schu-
•en (3 Gym nasien, 1 Sonderschule, 1 Grundschule mit Sek I als
Gesamtschule) bringen unterschiedlich deutliche Anschauungen
(72-94). allemal aber einen bunten Strauß von konkreten Anregungen
, Erfahrungen und Reflexionen, wobei am ehesten bei
dem Beitrag von Gisela Lumpe (85-90) der Eindruck einer einhegen
„Erfolgsbilanz" vermieden wird (Sonderschule!). Leitlinien
, programmatische Texte geben Einblick in den pädagogischen
Konsensbildungsprozeß der Kollegien (75f, 77, 82, 90f.,
93f.) Kaufmann und Abromeit skizzieren die Diskussion, versuchen
unter Rekurs auf Wilhelm Flitner deren Voraussetzungen
*u entfalten und legen eine kleine Apologetik der freien christliehen
Schulen vor. (95-102).

Hans Bernhard Kaufmann beschließt mit „Drei Thesen zur
Zukunft christlicher Erziehung" den Band (103-115). Unter der
Prämisse, daß wir die Zukunft nur bestehen werden, „wenn wir
uns neu am Evangelium orientieren und miteinander für die Herausforderungen
der Gegenwart offen sind" (103), werden zu den
Stichwörtern Gemeinde, Dialogfähigkeil und theologischer Erzie-
"Ungsbegriffin dichten Formulierungen die Thesen mit je drei
Unterabschnitten entfaltet, wobei immer wieder Bezug auf die
vorstehenden Beiträge genommen wird.

Für die Diskussion um die „gute Schule" aus christlicher Perspektive
erhält der Leser reiche Anregungen, konkrete Hinweise
Und Argumentationshilfen. Kann aber von einer wirklichen Offenheit
für die Herausforderungen der Gegenwart die Rede sein,
wenn alle Beiträgen im Sinne einer negativen Kulturkritik die
Pädagogische Gegenwart mehr oder weniger stark als Verfallserscheinung
sehen? Auf solcher Folie gerät die Favorisierung des
Engagements der Christen für freie christliche Schulen unter den
verda cht des Antimodernismus, des Rückzuges. Der starke Rekurs
auf ältere pädagogische Literatur trägt mit zu diesem Eindruck
bei. Ließen sich bei dem beklagten Pluralismus nicht auch
Positive Seiten ausmachen, die als produktive Herausforderung
aufzunehmen wären?

Loccum Jörg Ohlcmachcr

^ohler-Spiegel, Helga: Juden und Christen. Geschwister im
Glauben. Ein Beitrag zur Lehrplantheorie am Beispiel Verhältnis
Christentum Judentum. Freiburg-Bascl Wien: Herder
■991. X. 398 S. 8 = Lernprozeß Christen Juden, 6. Kart. DM

78,-.

Die Vfn. verfolgt mit ihrer Dissertation ein theologisch-
^oralpädagogisches und ein didaktisch-curriculares Interesse,
^'e will mit rcligionspädagogischen Mitteln zur christlich-
Jüdischen Verständigung beitragen und exemplarisch auf die
Notwendigkeit curricularer Sequentialisierung (= inhaltliche

Kontinuität und Steigerung des geistigen Anspruchs bei wichtigen
Themen) und Vernetzung (= Aufweis von Zusammenhängen
zwischen gleichzeitig auftretenden Themen) hinweisen.
Drei Arbeitsschritte lassen sich unterscheiden:

1) Der Vfn. geht es im 1. Teil um die „Darlegung der formalen
Kriterien für Lehrplanarbeit im Sinne eines strukturierten, vertikal
aufgebauten, begründeten Gesamtentwurf" (192). Sie wertet
allgemein- und religionsdidaktische sowie lern- und entwicklungspsychologische
Theorien aus zu Themen wie „Grundlegung
des RU", „basic coneept", „Korrelation", „Verbindung von
Fachrepräsentanz und Lebensrelevanz", „Elementarisierung",
„Strukturgitter", „Sequentialisierung", „Vernetzung", „darstellendes
Lehren" und „entdeckendes Lernen", Stufen moralischer
und religiöser Entwicklung. Auch in diesem ersten, mehr „formalen
" Teil klingt immer wieder das Anliegen Adorno an, welches
die Vfn. motiviert: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht
noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung".

2) Für das Thema Judentum in curricularen und unterrichtlichen
Zusammenhängen fordert die Vfn. die Beachtung zweier
„Grundsätze", „nämlich daß das Judentum als eigenständige
Weltreligion zur Geltung kommt und sachgemäß dargestellt
wird, und daß zugleich das exklusive Nahverhältnis der Christen
zum Judentum besteht ..."(197). Sie stellt positiv fest, „ daß die
Würdigung des heutigen Judentums in den Schulbüchern und
Unterrichtsmodellen" zunehme, kritisiert aber die Vernachlässigung
seiner historischen Schicksale und Leistungen (201). Theologische
Modelle zur Verhältnisbestimmung von Christentum
und Judentum wertet sie nach dem Kriterium der Dialogförder-
lichkeit: „Alter Bund - Neuer Bund", „Verheißung - Erfüllung",
„Gabe - Überbietung". Sie folgt B. Klappert in der Gegenüberstellung
negativer („Substitution", „Integration", „Typologie",
„Illustration", „Subsumtion") und positiver („Dependenz",
„Transzendierung", „Latenz") Modelle (208ff). „Die gemeinsame
Basis beider Religionen ist ihr gemeinsamer Glaube an den
einen und einzigen Gott; die überkommene Christologie und Tri-
nitätslehre trennen" (235). Vfn. tendiert dazu, Christentum und
Judentum als gleichwertige Religionen zu sehen. Das Judesein
Jesu und Pauli hebt sie stark hervor, „ Abgrenzungsaussagen " wie
2 Kor 3 und Hebr 8-10 müssen „ in die heutige Situation korrektiv
weitergeschrieben" (206) werden. Entsprechend der grundsätzlichen
Gemeinsamkeiten zweier getrennter, jedoch gleichwertiger
Wege würde Mission heißen, „den andern zur Untreue
gegenüber dem an ihn ergangenen Ruf Gottes bewegen zu wollen
" (von Vf. S. 219 zustimmend zitiertes Arbeitspapier eines
Gesprächskreises). Der Antijudaismus, wie er sich schon in urchristlicher
Zeit immer mehr verstärkte, ist als wesentlicher Faktor
in den Antisemitismus eingegangen. Die Vfn. gibt einen
Überblick über Art und Stärke von im deutschen Sprachraum
weiterbestehenden antisemitischen Vorurteilen und fragt nach
Möglickeiten, solche zu „verlernen". Es kommt ihr darauf an ,
auch im RU „sowohl die Gemeinsamkeiten als auch das Spezifische
des Christentums und des Judentums darzustellen, ohne
damit Ansprüche und Wertungen zu verbinden" (266).

3) Die Vfn. beschreibt zunächst die Methode der Inhaltsanalyse
und wendet diese auf die Kritik östereichischer, westdeutscher
und deutschschweitzerischer Lehrpläne für den katholischen
RU an. Die vom Grundlagenplan von 1984 beeinflußten
Lehrpläne der westdeutschen Länder kommen gegenüber den
österreichischen und schweizerischen besser weg. Als gravierende
Mängel etlicher Lehrpläne nennt die Vfn. die Vernachlässigung
der christlichen Verwurzelung im Judentum, die ausschließlich
christologische Deutung alttestamentlicher Stellen, die
Beschränkung darauf, das Judentum im Rahmen der Weltreligionen
zu behandeln, die Verwendung von Jüdischem als Negativfolie
für Christliches, das Fehlen eines systematischen Aufbaus.
Ihre Überlegungen ergeben abschließend einige curriculare „Im-