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Ausgabe:

1992

Spalte:

47-50

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Gericke, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung 1992

Rezensent:

Sommer, Wolfgang

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47

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

4X

zig/Berlin 1917, 66 Anm. 1). Es ist zu wünschen, daß der Hg. in
dem für den 3. Bd. angekündigten Nachwort hierzu Hinweise gibt.
Die beiden Folgebde. werden die Schriften zu Luther und der Reformation
enthalten. Bd. 2, der spätestens Anfang 1992 vorliegen
wird, bringt u. a. die noch heute als Materialbasis wichtigen „ Erläuterungen
zur Reformationsgeschichte" von 1844 sowie die
beiden Hefte „Beiträge zur Reformationsgeschichte" von 1846
bzw. 1848.

Berlin Siegfried Bräuer

Kirchengeschichte: Neuzeit

Gericke, Wolfgang: Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung
. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1989. 139 S. gr.8°= Kirchengeschichte
in Einzeldarstellungen, III/2. Pp.

Im Rahmen der Reihe „Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen
", die sich mit ihren bisherigen Arbeiten zur alten und
frühmittelalterlichen Kirchengeschichte sowie zur Reformationsgeschichte
schon einen guten Ruf erworben hat, ist mit diesem
Werk von Wolfgang Gericke der erste Neuzeit-Band erschienen
. Auf knappem Raum wird die Aufklärung vor allem in
Deutschland dargestellt, die Entwicklungen und Einflüsse aus
der westeuropäischen Aufklärung, besonders England, sind freilich
mitberücksichtigt. Gericke stellt seine Darstellung gezielt
unter eine Grundthematik: Es geht ihm um „die Frage nach der
Geschichte des Verhältnisses von Offenbarung und Vernunft in
dieser Epoche" (22). Der theologie- und philosophiegeschichtliche
Aspekt ist somit dominierend. Der Einordnung dieser Untersuchung
in die Reihe „Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen
" entspricht es, wie es im Vorwort heißt, „daß die ereignisgeschichtlichen
Zusammenhänge, die die Aufklärungsepoche als
kulturelle Gesamtumwälzung auf allen Lebensgebieten bestimmen
, vor allem in der chronologisch voraufgehenden Darstellung
über den Pietismus auch nach der politischen Verlaufsgeschichte
stärker berücksichtigt werden" (5).

Von hier aus erklärt es sich, daß die Einleitung die politischkonfessionelle
Entwicklung im 17. und 18. Jh. nur kurz summarisch
zusammenfaßt. Da der Vf. die besondere Aufgabe einer kirchengeschichtlichen
Darstellung des Aufklärungszeitalters in der
Entfaltung des Verhältnisses von Offenbarung und Vernunft
sieht, wird im ersten Kapitel ausführlich die Vorgeschichte des
Problems „Offenbarung und Vernunft" erörtert. Hier greift er
sehr weit aus. Im Anschluß an H. Blumenberg, der die Aufklärung
nicht nur im Gegensatz, sondern auch in Kontinuität zum
Mittelalter versteht, wird die Frage von Offenbarung und Vernunft
als ein „Zentralproblem der mittelalterlichen und der ihr
zeitlich folgenden Theologie" (23) dargestellt, und zwar unter
einer prinzipiellen Unterscheidung sowohl für den Offenba-
rungs- als auch für den Vernunftbegriff: in Richtung einer von
außen kommenden Offenbarung und einer vorwiegend diskursiven
Vernunft und der Offenbarung Gottes über das Innere des
Menschen mit einer wesentlich intuitiven Vernunft. Zur ersten
Richtung werden bei allen Differenzierungen und Unterschieden
in der Verhältnisbestimmung zwischen Vernunft und Offenbarung
die Vertreter der Scholastik, des Humanismus und der
Reformation, der Orthodoxie und des Sozinianismus (Antitrini-
tarismus) gerechnet, während der Spiritualismus und das Täufer-
tum, fußend auf der deutschen Mystik, die zweite Richtung einer
Offenbarung Gottes im Inneres des Menschen charakterisiert.
Interessant und aufschlußreich an diesem weitangelegten Überblick
sind die Hinweise des Vf.s auf die „Theologia naturalis"
des Raimund v. Sabunde (gest. nach 1436), die durch die französische
Übersetzung durch Michel de Montaigne 1581 „zu einem

wirklichen Zwischenglied zur Aufklärung" geworden sei (25)
sowie die radikale humanistische Strömung zu Lebzeiten der Reformatoren
, vor allem auf das „Buch von den Drei Betrügern"
(„De Tribus Impostoribus"), dessen Vf. höchstwahrscheinlich
der Genfer Bürger Jacques Gruet gewesen ist, hingerichtet mit
Billigung Calvins 1541. Gericke, der dieses Werk 1982 herausgegeben
und seine handschriftliche Überlieferung verfolgt hat, hebt
hervor: „Die Bedeutung von Jacques Gruet für die Geschichte
der Aufklärung kann nicht genug betont werden." Das Buch „ De
Tribus Impostoribus" habe während der Aufklärungszeit weniger
in Drucken als vielmehr in Handschriften eine weite Verbreitung
gefunden. 41 heute noch existierende Manuskripte hat der Vf. in
verschiedenen Bibliotheken nachweisen können. Auch der Begründer
des Antitrinitarismus, der spanische Arzt Miguel Servet,
habe „größeren Einfluß auf die Aufklärung ausgeübt, als man bisher
glaubte" (30). Die Spiritualisten (Thomas Müntzer, Sebastian
Franck, Paracelsus, Valentin Weigel, Jakob Böhme) gehörten
nicht nur in die Vorgeschichte des Pietismus, sondern auch in
die der Aufklärung (31, 34).

Das zweite Kapitel stellt unter der Überschrift „ Neue Erkenntnisse
und Methoden der Wissenschaft" die Begründer des neuen
naturwissenschaftlichen Weltbildes dar (Kopernikus, Kepler,
Galilei, Bacon, Newton und Boyle) sowie die empiristischen,
pantheistischen und rationalistischen Deutungen des neuen
Weltbildes bei Hobbes, Spinoza, Descartes, Locke, Berkeley und
Hume. Durch eine spezifisch christliche Deutung (Kepler, Newton
, Boyle) hat die Naturwissenschaft die Kontinuität zur christlichen
Tradition in England und Deutschland bewahrt und somit
verhindert, daß es hier - im Gegensatz zu Frankreich - noch im
18. Jh. zu einer Konfrontation zwischen Glauben und Wissenschaft
kam (40). Der immer höhere Stellenwert der Vernunft gegenüber
demjenigen der Offenbarung wird an den beiden großen
Philosophen des 17.Jh.s, Descartes und Spinoza, verdeutlicht,
und die neue Anschauung von Recht und Staat kommt bei Gro-
tius, Hobbes, Locke, Pufendorf und Christian Thomasius in
knappen Überblicken zum Ausdruck.

Als Beginn der Aufklärung in der Theologie wird im dritten
Kapitel relativ ausführlich der Deismus dargestellt. Diese vielgestaltige
Bewegung sieht Gericke aus dem radikalen Humanismus
herauswachsen, das Betrügerbuch läßt sich „als Vorläufer der
radikalen Richtung des Deismus betrachten" (55). In einem
Exkurs über die „ Naturalisten" hebt Gericke hervor, daß sich die
deutsche Aufklärung nicht nur unter der Einwirkung der englischen
deistischen und antideistischen Literatur entfaltet habe,
sondern „daß es Denker gegeben hat, deren Angriffe auf die geltende
Religion die der Deisten an Radikalität bei weitem übertrafen
. Die Vertreter dieser Richtung kamen nicht so sehr vom Deismus
, sondern von Spinoza her". Wie Recherchen des Vf.s in
Handschriftenabteilungen von Bibliotheken ergaben, „genoß
diese Literatur in der Aufklärungszeit - genauso wie das Buch
,De Tribus Impostoribus' - eine nicht zu unterschätzende Verbreitung
" (65). Als Beispiele für diesen „Naturalismus" nennt
Gericke die Flugschriften des Matthias Knutzen (1646-1674) -
„der erste deutsche Atheist" - und das Buch „L'Esprit de Mr.
Benoit Spinoza" von Jean Maximilian Lucas (1634 bzw. 1646-
1797) sowie Friedrich Wilhelm Stosch (1646-1704) und Theodor
Ludwig Lau (1670-1740). Gericke folgert aus seinen Forschungen
zu dieser Literatur.: „Man hat bisher bei der
Erforschung der Aufklärung viel zu wenig auf die damalige verbotene
,Untergrundliteratur' geachtet" (69).

Die kirchliche Aufklärung in Deutschland wird sodann in
knappen Überblicken mit ihrem Beginn bei Leibniz, ihrer weiteren
Entwicklung bei Christian Wolff, der Übergangstheologie (J.
S. Buddeus, J. L. v. Mosheim, J. G. Walch, Chr. M. Pfaff, Chr. A.
Crusius und J. A. Ernesti), dem Wolffianismus(J. G. Reinbeck, S.
J. Baumgarten, H. S. Reimarus und J. L. Schmidt), Friedrich II.