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Ausgabe:

1992

Spalte:

693-697

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Verweyen, Hansjürgen

Titel/Untertitel:

Gottes letztes Wort 1992

Rezensent:

Weidhas, Annette R.

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

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schale Vorwurf überzeugend zurückgewiesen, die idealistisch geprägte
Theologie des 19. Jh.s habe „die alles Bestehende radikal
infragestellende Bedeutung der Eschatologie nicht beachtet"
(113). Daß sie nicht auf Gegensätzen beharrte, sondern eschato-
logische Kritik konstruktiv in eschatologische Gestaltung zu
überführen bestrebt war, rechnet ihr W. vielmehr ausdrücklich
und mit guten Gründen als Vorzug an. Nicht hinreichend in
Schranken gewiesen habe sie allerdings die mit der Behauptung
emanzipatorischcr Selbsterlösungsfähigkeit des modernen Menschen
gegebene utopische Überspannung innerweltlicher Erwar-
lungshorizontc. In diesem Mangel liege das Recht jener sog. Neuentdeckung
des apokalyptisch-endzeitlichen Charakters der
Eschatologie in der Theologie des ausgehenden 19. und beginnenden
20. Jh.s begründet, die W. eng mit. zeitgenössischen kulturkritischen
Strömungen verbunden sieht. Bestimmt ist diese
Entwicklung vom wachsenden Zweifel daran, „daß der Fortschritt
unaufhaltsam dem Ziel einer Selbstcrlösung entgegenstrebt
" (130). Theologische Nahrung erhielt solcher Zweifel dadurch
, daß Exegcten wie A. Schweitzer und J. Weiß anhand der
Predigt Jesu die radikale Zukünftigkeit und Transzendenz des
Gottesreiches und die unvermittelte Kontingenz seines Kommens
einschärften. Reich Gottes, so wird nun gesagt, ist eine
schlechthin übcrweltlichc Größe, die zu dieser Welt in ausschließlichem
Gegensatz steht, so daß von innerweltlicher Ent-
wicklung auf Vollendung hin nicht länger die Rede sein kann. Die
frühe Dialektische Theologie hat diese These in systematischer
Konsequenz zur Maxime ihres Denkens erhoben mit der Folge,
daß ihr der Gott-Welt-Zusammenhang in der eschatologischen
Diastasc überhaupt zu vergehen drohte. W. begegnet dieser
Gefahr nicht weniger kritisch als innerweltlichen Realisations-
Programmen absoluter Vollendung: „ Eschatologie recht verstanden
", so heißt es, „läßt sich weder mit Weltflucht oder wenigstens
einem indifferenten ,Laissez-fairc' noch mit dem Streben
nach einer Welt identifizieren, in der der Mensch aufgehört hat,
ein mühseliges und beladenes Dasein zu führen. Aber dessen
ungeachtet hat sie es durchaus mit dem Leben in der Welt, seinen
Entwicklungen, Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten
sowie Gefährdungen und akuten Verletzungen zu tun. Die Eschatologie
weist den Christen einen Weg, der zwischen jenen Extremen
hindurchrührt. Weil sie einsehen läßt, daß der Mensch vom
Zwang entlastet ist, seine Zukunft in einem totalen und absoluten
Sinn selbst herstellen zu müssen, schärft sie den Blick für die geschichtliche
Gegenwart." (288) Auf diese Weise sucht W. das
eschatologische Denken der Neuzeit auf die ursprüngliche Einsicht
der Reformation zurückzulenken, derzufolge wir für das
Reich Gottes mit unseren Werken nur, aber nun auch gerade deshalb
sinnvoll etwas tun können, weil wir der Sorge um dessen
Kommen im Glauben gründlich enthoben sind. In diesem Sinne
'autet W.s Zentralthese : „Weil der Christ durch Gottes Zusage,
sein Reich herbeizuführen, wann er es will, von dem Zwang entlastet
ist. selber seine ganze Zukunft besorgen zu müssen, ist er
frei, sich ganz seiner geschichtlichen Gegenwart zuwenden zu
können." (28) In dem Bemühen, dieser reformatorischen These
1,1 Perspektivenreicher Auseinandersetzung mit den wichtigsten
^fscheinungsgcstalten eschatologischen Denkens in Theologie
Und Philosophie der Neuzeit bleibende Geltung zu verschaffen,
''egt die wesentliche Bedeutung von W.s Studie.

Augsburg Gunther Wcnz

verweyen, Hansjürgen: Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie
. Düsseldorf: Patmos 1991. 619 S. gr.8l.

«Als Überschrift wurde (manch gutem Rat zum Trotz) die anstößige
Formulierung .Gottes letztes Wort' gewählt." (31)

Hansjürgen Verweyen (Professor für Fundamentaltheologie in
Freiburg) steht zu seinem Titel, mit dem er die Hauptintention
seines Werkes verdeutlichen will: die „Kennzeichnung christlicher
Offenbarung als ,ein-für-allemar, ,letztgültig', ,eschatolo-
gisch'". S.E. macht dieser Unbedingtheitsanspruch heutiger
Fundamentaltheologie am meisten zu schaffen, „weil er die
christliche Botschaft angesichts des berechtigten Pluralismus unserer
Zeit von vornherein zu desavouieren scheint" (31). V. fragt,
ob das „Ein-für-allemal" Jesu Christi in dieser Situation überhaupt
noch als „das Wort eines Lebenden" vertreten werden
kann. Und seine Intention ist es, diese Frage weder fundamentalistisch
zu immunisieren noch relativistisch einzuebnen, sondern
selbstkritisch durchzuhalten (Vorwort, 11).

V. sieht in Fundamentaltheologic als „ Apologia" nicht einfach
die „Anmeldung eines bloßen Informationsbedürfnisses" (48),
sondern gerade IPt 3,15 zufolge ginge es um „ein den einzelnen
persönliches einforderndes Fragen ... in einer Situation von Verfolgung
" und um die Gewißheit, daß „die christliche Hoffnung
auf einem .vernünftig verantwortbaren Grund' aufruht" (48/49).

Der laut V. erst von Rahner deutlicher herausgearbeitete Zusammenhang
zwischen transzendentaler Anthropologie und her-
meneutischer Theologie ist für die vorliegende Arbeit grundlegend
. Denn die „ Frage nach der Rasterstruktur der menschlichen
Vernunft im Hinblick auf eine bestimmte Offenbarung ist philosophisch
allerdings erst dann adäquat durchführbar, wenn das
Wissen dieser Offenbarung zuvor theologisch in der Reflexion
des Glaubens auf die ihn bestimmende Sinnmitte erfragt wurde "
(29).

Als Spezifika seines fundamentaltheologischen Ansatzes hebt
V. einen inhaltlichen und einen formalen Aspekt hervor. Vom Inhaltlichen
her „scheint" ihm bei der Reflexion auf die Sinnmitte
des Glaubens der „ kürzeste Weg" zu adäquatem Sinnverständnis
über dasjenige Verständnis des Begriffes traditio zu führen, das
traditio erstens als „Auslieferung Jesu Christi für uns" versteht
und zweitens „Überlieferung" im Sinne von vermittelnder Weitergabe
dieses Grundgeschehens meint. (31) Der formale Aspekt
besteht, wie eingangs schon angesprochen, in der Kennzeichnung
chi istlicher Offenbarung als „ein-für-allemal", „letztgültig" und
„eschatologisch".

Läßt sich aber ,ein letztes Wort Gottes' überhaupt als sinnstiftend
vernehmbar, schließlich als wirklich ergangen und heute gegenwärtig
vertreten? V.s Antwort will die philosophische Letztbegründungsproblematik
nicht ausklammern und Fragen wie die
nach dem historischen Jesus, dem Ostergeschehen, dem Wesen
der Kirche in ein neues Licht rücken. (Vorwort. 11) Entsprechend
gliedert V. sein Werk in drei große Abschnitte:

Teil I „____vernehmbar?" beginnt mit einer knappen Zusam-

menschau katholischer Fundamentaltheologie und befaßt sich
mit Ziel und Weg, Ausgangspunkt und Aufgaben dieser Disziplin
. Daran anschließend wird über den „Stellenwert der klassischen
Gottesbeweise" und die „ Verwiesenheit des Menschen auf
Offenbarung" referiert.

Dabei wird der Aufweis einer „natürlichen Theologie" für erforderlich
gehalten (59). Der Vf. fragt, ob Theologie im Umkreis Barths das rivarco-
XövnToc, zureichend bedacht habe. Denn unentschuldbar sei der Mensch
nur. wenn er „mit seiner faktischen Nicht-Anerkennung Gottes, seinen
Gottes-Surrogaten und Pseudo-Gottesverhältnissen, im Widerspruch
steht nicht nur zu einer prinzipiell möglichen authentischen Gotteserkenntnis
, die. wenn auch noch so verdeckt, faktisch dennoch bereits wirksam
ist. Jede andere Erklärung des dvanoXöynToc, liefe auf eine Prädestinationslehre
hinaus, die der Glaubende nicht nur vor keinem Forum der Vernunft
, sondern erst recht nicht vor seinem eigenen Glauben an den
gerechten und befreienden Gott verantworten könnte." (59) Man darf allerdings
fragen, ob es gerade im Gegensatz zu Barths prädestinationstheologischem
Ansatz wirklich vernünftiger und der Gerechtigkeit Gottes angemessener
ist anzunehmen, der Mensch könne unter einer zwar verdeckten,
faktisch aber bereits wirksamen authentischen Gotteserkenntnis so radikal