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Ausgabe:

1992

Spalte:

691-693

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Theologische Berichte XIX, Hoffnung über den Tod hinaus 1992

Rezensent:

Wenz, Gunther

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

692

auch nahezu vollständig die thematisch relevante theologische
Sekundärliteratur zu Benjamin, Marcuse und Habermas. - Die
Theologie muß sich immer wieder beunruhigen lassen von anderen
Disziplinen, wenn sie nicht steril und weltfern werden will.
Sie muß aber auch ihrerseits ein beunruhigender Faktor für die
Gesellschaft (und die Kirche!) bleiben, in deren Kontext die befreiende
Kraft des Evangeliums zu bezeugen ist. Beides hat die
neuere Politische Theologie ausgezeichnet. Arens, John und
Rottländer stehen mit ihren Arbeiten in dieser guten Tradition.
Es gelingt ihnen, die Herausforderungen der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte
, wie sie von der Frankfurter Schule reflektiert
werden, produktiv und zugleich widerständig aufzunehmen. Sie
schärfen ein, daß für eine Theologie, die an der Zeit sein will, die
dazu notwendige Hermeneutik der Moderne kaum anders als
über eine politische Hermeneutik des Christentums möglich ist.

Köln Hans-Joachim Höhn

Theologische Berichte XIX: Hoffnung über den Tod hinaus. Antworten
auf Fragen der Eschatologie. Hg. von J. Pfammatter u.
E. Christen. Zürich: Benziger 1990. 227 S. 8°.

Walther, Christian: Eschatologie als Theorie der Freiheit. Einführung
in neuzeitliche Gestalten eschatologischen Denkens.
Berlin-New York: deGruyter 1991. XII, 307 S. 8° = Theologische
Bibliothek Töpelmann, 48. Lw. DM 128,-.

1. Der eschatologische locus de novissimis der Dogmatik altprotestantischer
Orthodoxie handelt vom Tod des einzelnen,
vom Ende der Welt, von der Auferweckung der Toten, der Ankunft
Jesu Christi zum Jüngsten Gericht sowie von ewiger Seligkeit
und Verdammnis. Abgesehen von der strittigen Vorstellung
eines Purgatoriums entspricht dieser Themenkanon im wesentlichen
der klassischen römisch-katholischen Eschatologie, in
deren gegenwärtige Diskussion der XIX. Band der im Auftrag der
Theologischen Hochschule Chur und der Theologischen Fakultät
Luzern heraugegebenen .Theologischen Berichte' einführt.
Dabei wird gemäß dem Programm der in jährlicher Abfolge erscheinenden
Reihe nicht nur ein historisch-genetischer Überblick
über den aktuellen Stand der Fragestellung gegeben, sondern
auch versucht, prospektiv auf deren weitere Entwicklung
hinzuweisen, um so, wie es heißt, am forschenden Gespräch um
die im Glauben gegründete Erkenntnis der theologischen Wahrheit
eigenen Anteil zu gewinnen. Behandelt werden folgende
Aspekte der Eschatologie: 1. Der Tod als Thema der neueren
Theologie (13-64; H. Vorgrimler); 2. Die Auferstehung Jesu
Christi und unsere Auferstehung (65-94; H. Kessler); 3. Neuere
theologische Deutungen der .Parusie Jesu' (95-137; M. Kehl SJ);
4. Weltende als Erfüllung und Vollendung der Schöpfung (139-
179; K. Koch); 5. Gericht und ethisches Handeln. Zur Rede vom
göttlichen Gericht in der modernen Dogmatik und zur Bedeutung
dieser Rede für die Ethik (181-224; H. Halter).

Während allen Beiträgen attestiert werden kann, daß sie in-
halts- und kenntnisreich über ihr Thema referieren, finden sich
die systematisch konstruktivsten Einsichten nach meinem Urteil
bei H. Kessler. Bemerkenswert ist nicht nur, was er zur Auferstehung
Jesu als Anfang und Ur-Sache unserer Auferstehung zu
sagen weiß; Beachtung verdienen auch und vor allem seine Erörterungen
zur Frage eines Zwischen- und Wartezustands der Toten
bis zum Jüngsten Tage sowie die in diesen Kontext gehörenden
Reflexionen zur Seelenlehre des Thomas von Aquin (anima
unica forma corporis - anima separata).

Auch im ersten Beitrag finden sich zu dieser Thematik hilfreiche
Hinweise. Weniger förderlich finde ich dagegen Vorgrimlers
gelegentliche und m. E. recht perspektivenverengte Seitenblicke
auf die protestantische Theologie. Ihre kritische Bewertung folgt
einem mehr oder minder stereotypen Grundmuster, demzufolge

die evangelische Annahme göttlicher Alleinwirksamkeit jedwede
Eigenständigkeit des Menschen und seiner Welt annihiliert. Die
eschatologischen Bedenken Vorgrimlers münden daher stets, wie
er selbst sagt, „in die prinzipielle Diskussion des Gott-Mensch-
Verhältnisses: Ist die absolute Souveränität und Erhabenheit
Gottes wirklich geehrt, indem der Mensch bis zum Nichts verkleinert
wird?" (30) Namentlich gegen die sog,,Ganztodtheorie'
werden rhetorische (und mit falschen Alternativen arbeitende)
Fragen wie diese gerichtet mit dem längst beschlossenen Ergebnis
: „Ohne die Annahme einer von Gott schöpferisch getragenen
Kontinuität könnte von einer Identität des Menschen über den
Tod hinaus und damit von einem geschichtlich konkreten, konkret
von Gott aus dem Tod geretteten Menschen nicht die Rede
sein; anderenfalls würde nicht ein konkreter Mensch aus dem
Tod erweckt, sondern ein völliger neuer - geschichtsloser -
Mensch erschaffen." (350 Man sollte voraussetzen dürfen, daß
selbst evangelischen Eschatologen dieses Problem nicht völlig
entgangen ist. In diesem Sinn wäre auch H. Halter noch einmal
zur Prüfung anzuempfehlen, ob er im Zusammenhang seines moraltheologisch
orientierten Beitrags zur Eschatologie die Grundproblematik
evangelischer Ethik wirklich zutreffend bestimmt
hat, wenn er sagt: „...hier handelt Gott durch Christus nicht
nur am Menschen, sondern - was das gute, das heilsrelevante
menschliche Handeln betrifft - auch an seiner Stehe. Gott tut das
dem Menschen aufgetragene Werk letztlich allein!" (200) Mag
diese These allenfalls für bestimmte Entwicklungstendenzen innerhalb
der Protestantismusgeschichte wie etwa die Anfänge der
Dialektischen Theologie zutreffend sein, als Gesamtcharakteristik
evangelischer Lehre ist sie schlicht falsch. Den Beweis hierfür
kann man u.a. der im folgenden angezeigten Arbeit von Chr.
Walther entnehmen.

2. In seinem Römerbriefkommentar von 1922 hatte Karl Barth
die Devise ausgegeben, ein Christentum, das nicht ganz und gar
und restlos Eschatologie sei, habe mit Christus ganz und gar und
restlos nichts zu tun. Es lag in der Konsequenz dieser Devise,
daß die Eschatologie ihre Bindung an den letzten locus der Dogmatik
löste, um zum Ursprungsort und Zentrum der Theologie
überhaupt zu avancieren. Bezeichnenderweise brachte die Dialektische
Theologie recht eigentlich keine Restauration der klassischen
eschatologischen Thematik im Sinne der altprotestantischen
Dogmatik mit sich; vielmehr wurden die traditionellen
eschatologischen Themenbestände dahingehend funktionali-
siert, der konstatierten Krise des Zeitgeistes Unbedingtheit zu
verleihen.

Dieser Sachverhalt wird von W.s Studie ebenso bestätigt wie
die Tatsache, daß die Entwicklungsgeschichte eschatologischen
Denkens der Neuzeit insgesamt einen Prozeß fortschreitender
EntSpezifizierung der traditionellen Lehre von den letzten Dingen
darstellt. Kennzeichnend für die moderne Transformation
eschatologischer Vorstellungsgehalte ist zunächst ihre Umformung
in einen geschichtstheologischen Fortschrittsglauben.
Freiheit wird dabei „als das große Ziel verstanden, das verwirklicht
werden muß, um dem Menschen zu einem vollendeten
Menschsein zu verhelfen. Mit dem Begriff des Reiches Gottes
wird dabei die denkbar umfassendste... Weise für das Erfassen
des Vollendungszustandes ausgedrückt." (VII) Als ein exemplarischer
Vertreter einer auf moralischen Fortschritt und gesittete
Freiheit hin transformierten Eschatologie wird in der Regel
Albrecht Ritsehl genannt (5ff; vgl. Chr. Walther, Typen des
Reich-Gottes-Verständnisses im 19. Jh., München 1961), welcher
seinerseits mit den großen Systemdenkern des Deutschen
Idealismus geistesgeschichtlich sehr eng verbunden war. Mit
Recht wendet W. daher dem Reich-Gottes-Gedanken der klassischen
deutschen Philosophie besondere Aufmerksamkeit zu.

Untersucht
werden neben Kant insonderheit Fichte und Hege'*
ferner Schleiermacher. In diesem Zusammenhang wird der pau-