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Ausgabe:

1992

Spalte:

689-690

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Wörterbuch der feministischen Theologie 1992

Rezensent:

Gerber, Uwe

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689

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

690

Arbeit geht Baur zunächst vom Grundgedanken der göttlichen
«Kondeszendenz als Gestaltungsmerkmal der publizistischen
Arbeit Hamanns" (300) aus und betont stark den kritischen, widersprechenden
und überführenwollenden Charakter der Ha-
niannschen Äußerung. Später dann setzt er unter Anschluß an
Hamanns Gedanken über „Leser und Kunstrichter " als „weiteren
bestimmenden Faktor" neben die „genaue argumentative
Gegnerschaft" den „höchst kommunikativen Bezug auf den
Leser" (329). Das ist nicht unrichtig. Aber die Beziehungen von
Hamanns durch den Kondeszendenzgedanken bestimmten Ke-
rygmatik und seiner durch die Gedanken zur Literaturhermeneutik
mindestens mitbestimmten Dialogik müßten wohl noch einmal
gesondert untersucht werden.

Baur schreibt: „Für Hamann gehören Wahrheit und Freiheit
zusammen, und jede der beiden Größen unterliegt ohne die jeweils
andere einer Perversion" (347). Dies unter dem Zielgedanken
eines Beitrages zu einer „kommunikativen Form der Verkündigung
" an Hamanns Publizistik aufgewiesen zu haben, ist
das Verdienst der Baurschen Arbeit.

Jena Martin Seils

Wörterbuch der Feministischen Theologie. Hg. von E. Gössmann
, E.-Moltmann-Wendel, H. Pissarek-Hudelist, I. Praeto-
rius, L. Schottroff, H. Schüngel-Straumann. Gütersloh: Mohn
1991. 476 S. gr.8 . geb. DM 78,-.

Dieses Wörterbuch zeichnet sich durch verschiedene Anliegen
aus: Es ist projekt- und prozeßorientiert, indem es über die vielseitige
feministische Diskussion aus der europäisch-deutschsprachigen
Perspektive informiert und zu eigenem Denken anregt.
Deswegen wohl auch der Name: kein enzyklopädisches Lexikon,
sondern ein facettenreiches, offenes Wörter-Buch. Es ist frauenorientiert
im Sinne einer feministisch-theologischen Sichtweise,
was einen erfahrungs- und praxisbezogenen Ansatz einschließt.
Dies schlägt sich sowohl in der Aufarbeitung der Stichworte nieder
, so daß z. B. unter Gott/Göttin mit der Frage der Verkündigung
an Frauen eingesetzt und dann die theologische Dimension
rekonstruiert wird, als auch in der Auswahl der Artikel, so daß
z-B. Frauengcschichtc, Erziehung/Sozialisation, Sexismus usw.
als selbstständige, grundlegende Artikel erscheinen. Als weiteres
Beispiel: Die Weltreligionen werden nicht als solche behandelt,
sondern unter der Perspektive „Frauen in Weltreligionen".

Theologie wird hier im Team von sechs Frauen, ökumenisch
quotiert, betrieben. So wird z. B. „Zukunft" nicht nach Aspekten
aufgegliedert von verschiedenen Autorinnen behandelt, sondern
alle sechs Herausgeberinnen stellten ihre Vision von Zukunft
8'eichsam in einem feministischen Konzert vor. Dies zeigt die
"ihaltliche wie methodologische Vielfalt feministisch-theologischer
Ansätze, führt zugleich aber zu der Frage nach explizit wissenschaftskritischen
Reflexionen, die dann wiederum nicht in
e'nem ausgegrenzten Methodenartikel erscheinen, sondern unter
Stichworten wie „Feministische Forschung", „Befreiungstheo-
logie" oder in Verweisen auf D. Sölles „Gott denken". Dasselbe
8'lt für einen Artikel Geschichte/Heilsgeschichte: nachlesen
unter Frauengeschichte, Patriarchat, Matriarchat usw. Allerdings
hätten mich persönlich eigenständige Artikel etwa zu The-
menbereichen wie Natur, Schönheit („ Ich bin gut - ich bin ganz -
lch bin schön". It. Moltmann-Wendcl), Kunst, Glück, Ökologie
u ä- interessiert. Es ist mir umgekehrt klar und einleuchtend, daß
die Transparenz der Auswahl bzw. Abwahl eben durch den gegenwärtigen
Diskurs bestimmt wird.

Wichtiger sind ra.E. die Inhalte, von denen ich selbstverständ-
''ch nur einige exemplarisch als wichtige Topoi feministischen
^heologisierens und als Provokationen für traditionelle Theologie
anführen kann: Anthropologie als Frage der Mitmenschlichkeit
; Theologie als Befreiungstheologie und nicht nur als Rechtfertigungstheologie
; Geist als Ruach, als Weisheit, als Taube (und
schließlich doch wieder traditionell als Person der Trinität); Jesu-
logie und Unabgeschlossenheit der Erlösung; offener Bibelkanon
; Mariologie; ökologisches Schöpfungsverständnis. An
solchen Kernpunkten können die entsprechenden Artikel zu
einer sachlichen Diskussion mit „klassisch-patriarchaler" Theologie
beitragen und neue Aspekte in traditionelles Theologisieren
einbringen: „Als Reaktion auf eine Theologie, die Tod und
Sünde allzu sehr ins Zentrum stellt, sind uns andere Standpunkte
wie Heil, Ganzheit und Gelingen wichtig". So möchte ich der Devise
der Herausgeberinnen zustimmen, daß sich Leserinnen in feministisch
-theologische Diskussionen einarbeiten können und
daß Leser sich durch dieses Buch über ihr eigenes theologisches
Denken in einer patriarchalen Gesellschaft bewußt werden.

Darmstadt Uwe Gerber

Systematische Theologie: Dogmatik

Arens, Edmund, John, Ottmar, u. Peter Rottländer: Erinnerung -
Befreiung - Solidarität. Benjamin, Marcuse, Habermas und
die politische Theologie. Düsseldorf: Patmos 1991. 200 S. 8°.
Kart. DM 29,80.

Die Politische Theologie J. B. Metz' verdankt wesentliche Impulse
der Frankfurter Schule, wenngleich sie auch stets bemüht
geblieben ist, gegenüber den Vertretern der Kritischen Theorie
und ihrem spezifischen Verständnis von Gesellschaft und Geschichte
, von Ideologie und Wahrheit den Geltungsanspruch des
christlichen Glaubens genuin fundamentaltheologisch zu rechtfertigen
. Ausgehend von der Frage, ob und wie nach dem Zusammenbruch
des real existierenden Sozialismus emanzipatorisch-
sozialistische Denktraditionen den theologischen Diskurs der
Gegenwart über die prophetische und kritische Kraft des Glaubens
methodisch und inhaltlich (noch) befruchten können, beleuchten
drei Schüler von J. B. Metz drei Phasen und Positionen
Kritischer Theorie: Walter Benjamins antihistorisches Geschichtsdenken
(13-80), Herbert Marcuses Transformation der
Philosophie zu einer emanzipatorischen Gesellschaftstheorie
(81-144) und Jürgen Habermas' Theorie des kommunikativen
Handelns als eines Paradigmas für die Erschließung und Sicherung
sozialer Gerechtigkeit und Solidarität (145-200). Daß in
diesen Entwürfen den Kategorien der Erinnerung, Befreiung und
Solidarität zentrale Bedeutung zukommt, macht sie für das Projekt
einer Politischen Theologie relevant, „die sich von der memoria
passionis, mortis et resurrectionis Jesu Christi her als Erinnerung
an die Opfer der geschichtlichen Prozesse versteht, wobei
diese Erinnerung zugleich eine soteriologische Kategorie darstellt
" (8f)- In der gegen das geschichtslose Vergessen und Verdrängen
gerichteten Erinnerung als einem Gedächtnis des Leidens
liegt aber auch eine eschatologische und pragmatische
Perspektive, indem sie eine von Gott erwartete Zukunft thematisiert
, die zugleich das Hoffen und Handeln der Glaubenden ausrichtet
auf eine Praxis der Solidarität mit den Leidenden in
ihrem Widerstand gegen Leid und Unterdrückung. Mit dieser
Kurzformel ist die theologische Grundidee benannt, welche die
Autoren in ihren Einzelstudien jeweils variieren und konkretisieren
. Dabei wird zunächst die bisherige theologische Rezeption
der Arbeiten Benjamins, Marcuses und Habermas' nachgezeichnet
, dann Ort und Bedeutung der Religion im Werk der einzelnen
Philosophen sondiert und abschließend die noch unabgegoltene
theologische Relevanz zentraler Denkfiguren der Kritischen
Theorie herausgearbeitet. Eine umfangreiche Bibliographie verzeichnet
nicht nur die analysierten Quellentexte, sondern enthält