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Ausgabe:

1992

Spalte:

686-687

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schjørring, Jens Holger

Titel/Untertitel:

Grundtvigs billedsprog 1992

Rezensent:

Becker, Rüdiger

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

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Johann Christoph Blumhardt gehört nach wie vor zu den meist
gelesensten und beachtetsten deutschen Theologen des 19. Jh.s.
Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls angesichts der Literatur
über ihn und auch der Verbreitung der Blätter aus Bad Boll
(Nachdruck 5 Bände 1968-1974, teilweise vergriffen). Die Biographie
von Friedrich Zündel erlebte 1988 ihre 21. Aufl. Es mag
wohl daran liegen, daß Blumhardt „eine Art Integrationsfigur für
die auseinanderstrebenden Tendenzen und Richtungen ' in
Theologie und Kirche der Gegenwart ist, wie Scharfenberg vermutet
(TRE Bd. 6. 725). Die Frage nach dem Heiligen Geist, der
Kampf mit dänionischen Erscheinungen, das Fragen nach ganzheitlichen
Heilungen in charismatischen Kreisen - für all diese
Fragen ist er nach wie vor eine Leilfigur, - aber ebenso ist seine
klare Verwurzelung in seiner lutherischen Kirche Württembergs
vorbildhaft, obwohl er auch viele Erscheinungen kritisiert (vgl.
seine Predigt über die „Magerkeit der christlichen Kirche'' Bd. 2.
93-105). Zweifellos ist er als gefragter Seelsorger in Bad Boll zu
hohem Ansehen gekommen. Seine Auslegungen, Briefe und Lieder
wirken neben der Krankenheilungsgeschichte der Gottliebin
Dittus nach wie vor. Es ist kein Zufall, daß sein Lied „ Daß Jesus
siegt, bleibt ewig ausgemacht" im Entwurf des neuen evangelischen
Gesangbuches aufgenommen worden ist, während es im
EKG nicht mehr vertreten war.

Es verwundert deshalb nicht, daß neben der von Gerhard
Schäfer verantworteten wissenschaftlichen Herausgabe der „Gesammelten
Werke" Blumhardts (Der Kampf in Möglingen, Güttingen
1979 Reihe 1 Bd. 1) das Bedürfnis bestand, die im
Gottheit" Verlag Zürich 1947-49 herausgekommenen drei ausgewählten
Bände erneut unverändert vorzulegen. Der Schriftausle-
gcr, Prediger und vor allem der Seelsorger wird in seiner Größe
und auch seinen Grenzen damit plastisch greifbar.

Unverändert sind die Texte, die Auswahl und auch die Vorreden
von Otto Bruder in Band 1 und 3, sowie die Vorrede des Sohnes
Christoph Blumhardts zum postum herausgegebenen Band
-Evangelien-Predigten" von 1887 im Band 2 der Ausgabe. Hinzugekommen
ist eine im selben Geist gehaltene Einführung von
Wolfgang Bittncr in Band 1 und dankenswerterweise Quellennachweise
, die Gerhard Sauters Buch über die Theologie des Reiches
Gottes beim älteren und jüngerem Blumhardt, Zürich 1962,
entnommen wurden. (Der Nachweis für Band III ist versehent-
'ich mit in Band 2 geheftet worden. Warum die Nachweise für die
letzten Briefe [272-281] fehlen, ist nicht ersichtlich). Bibelstel-
lenrcgister in jedem der drei Bände und ein sehr knappes Sachregister
für den dritten Band erleichtern die Benutzung.

Die Auswahl der Schriften erscheint mir sehr sinnvoll. Es werden
die wichtigsten theologisch und praktisch interessierenden
Themen vorgestellt, die von Blumhardt vertreten wurden. Im ersten
Band der Schriftauslegung ein Abschnitt über den Heiligen
Meist, Jesu Wiederkunft und andere eschatologische Themen,
eine Engellehre und Auslegungen der Bergpredigt sowie des Vaterunsers
. Der zweite Band gehört 93 Predigten über Jesus Christus
, das Volk Gottes und Wiederkunft Christi. Bermerkenswert
■st. daß es in der Hauptsache kurze Predigten sind und Spruch-
auslegungen. nur selten liegen mehrere Verse der Predigt zugrunde
. Im dritten Band geht es um Glaubensfragen und seelsor-
gerliche Ratschläge, wobei jeweils zu Beginn kurz die Meinung
des Fragestellers beschrieben oder zitiert wird. Der zweite Teil
enthält Briefausschnitte von 1837 bis 1880, ohne daß hier Empfänger
erläutert oder andere Anmerkungen gemacht werden.
Unter den Briefen findet sich die einzige direkte Begzugnahme
auf die Krankenheilung der Gottliebin Dittus (2500 in den drei
Bänden. Gebet und Lieder beschließen den Band.

Die Bände sind für den praktischen Gebrauch bestimmt. Sie
erheben keine wissenschaftlichen oder historischen Ansprüche.

Potsdam Peter Schicketanz

Schjerring, Jens Holger: Grundtvigs Billedsprog - og den kirkelige
anskuelse. Frederiksberg/Dänemark: Anis 1990. 194 S. 8°.
dKr 188,-.

Wie kann die mythisch-poetische Bildersprache des Christentums
unter den Bedingungen der Moderne neu geltend gemacht
werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich Schjerring und versucht
eine Antwort zu finden, indem erden Symbolreichtum der
Dichtung Grundtvigs mit einer der theologischen Wissenschaft
verpflichteten Dogmatik in den Dialog bringt. Grundtvig, der
Kirchenvater Dänemarks aus dem letzten Jh., der das dänische
Leben in Kultur, Politik und Kirche bis auf den heutigen Tag mit
seinem poetischen und literarischen Werk bestimmt, dient dabei
als Ausgangspunkt. Hier sieht der Autor eine stimmige Benutzung
der mythisch-poetischen Bildersprache, die ihren Symbolreichtum
aus der Romantik, der altnordischen Religion, der englischen
Dichtung des frühen Mittelalters und des Christentums
gewinnt und gleichzeitig diese Bildersprache durch die gottesdienstliche
Liturgie und die kirchliche Ansicht bindet. Schjorring
veranschaulicht Grundtvigs mythisch-poetische Bildersprache
anhand dessen literarischer Verarbeitung der Niederfahrt Christi
in die Hölle. Eine genaue Analyse widmet der Autor der Tatsache
, daß eine einfache Übertragung der mytisch-poetischen Bildersprache
in unsere Zeit nicht möglich ist. Zuviele Verstehens-
barrieren liegen zwischen uns und Grundtvig. Dazu gehört
wesentlich unser kritisches und distanziertes Verhältnis zu den
Mythen. Die daraus resultierenden Anfragen nimmt der Autor
sehr ernst und gibt ihnen ihr Recht. Zur Freude des deutschen Lesers
nimmt Schjorring auch Bezug auf die Mythenkritik, die im
besonderen eine Folge der Auseinandersetzung mit der deutschen
Geschichte ist. Rosenbergs „Mythus des XX. Jahrhunderts
", 1930, ist ein Beispiel für mythisch-totalitäre Ideologien
als Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Gegen ideologische Infiltration
haben Barmer Bekenntnis und Wort-Gottes-Theologie auch
heute ihre Gültigkeit.

In der Diskussion weiterer theologischer Anfragen an die mythisch
-poetische Bildersprache kristallisieren sich verschiedene
Spannungsfelder heraus: Mythos und Rationalität, Mythos und
Projektion, Mythos und Wirklichkeit, Mythos und historischkritische
Exegese. In dieser weitgefächerten Problemanalyse, die
das ganze Buch durchzieht, liegt überhaupt die Stärke der Abhandlung
, die sich dem Erbe Grundtvigs und den Anliegen einer
modernen Theologie verpflichtet weiß.

Im weiteren beschreibt Schjerring das Christentumverständnis
, das die Grundlage der Bildersprache Grundtvigs bildet. Eine
Beschreibung des Wortes Gottes als Wort, das schafft, was es
nennt und dessen Nähe bei Taufe und Abendmahl gegenwärtig
ist, liegen seinem Christentumverständnis zu Grunde. Weitere
schöpfungstheologische Erwägungen, die sich dieser Erkenntnis
anschließen, machen Grundtvig deutlich, daß nur die Bildersprache
dem besonderen Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf
, nämlich Verbindung und Abstand zugleich, entspricht.

Anschließend illustriert der Autor Grundtvigs Deutung der
Niederfahrt Christi in die Hölle. Interessant ist dabei Grundvigs
Karfreitaginterpretation. Statt dunkler Gerichtsverkündigung
verweist er auf den Räuber am Kreuz neben Jesus. Karfreitag
wird zur Eröffnung des Paradieses. Für Grundtvig ist die Bildersprache
keine Illustration, sondern sie ist notwendiger Ausdruck
der Sache, die mythische Gestalt gehört wesensmäßig zum Evangelium
. Die schon vorher geführte Auseinandersetzung mit Bultmanns
Entmythologisierung findet hier eine ausdrückliche Gegenposition
.

Schjarring wirft Bultmann Reduktionismus und Unterschätzung
der Bedeutung der mythisch-poetischen Bildersprache vor.
Aber der Autor hält fest, daß mit der Ablehnung von Bultmanns
Programm nicht die Aufgabe beiseite geschoben ist, die Bultmann
der Theologie stellt: nämlich die Bedeutung der christli-