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Ausgabe:

1992

Spalte:

679-682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Voß, Klaus Peter

Titel/Untertitel:

Der Gedanke des allgemeinen Priester- und Prophetentums 1992

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

680

Im zweiten, umfänglichen Teil des vorliegendes Bandes über
Luthers humanistische Freunde beabsichtigt E., Fragen zu beantworten
, die Helmar Junghans (Der junge Luther und die Humanisten
, Weimar: Herman Böhlau 1984, vgl. ThLZ 111/1986, 602)
angeblich offen gelassen habe (12). Als Behauptung schließt E.
aus zwei Briefen des Crotus Rubeanus von 1519 und 1525 an
Luther, daß das dort erwähnte „contubernium meum" des Crotus
gleichbedeutend mit der Erfurter sodalitas literata sei, der
Luther somit seit 1503 angehört habe (1230- Beweise für diese
Behauptung finden sich nicht. E.s Untersuchungen führen insgesamt
an keiner Stelle über den Kenntnisstand bei H. Junghans
hinaus, bleiben jedoch an vielen Stellen deutlich dahinterzurück.
Dies beruht z.T. auf unzureichender oder unkritisch verarbeiteter
Sekundärliteratur. Definitionen für Humanismus und Scholastik
sind in einer „wissenschaftlichen Untersuchung" kaum
aus Pierers Konversationslexikon, Stuttgart 1888-1893 zu gewinnen
, für den Ablaßhandel von 1517 gibt es gehaltvollere
Quellen als Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim
1971-79. Eine Kenntnis der Primärquellen zum Erfurter Humanismus
darf ebenfalls nicht vorausgesetzt werden. Beim „Laus
Musarum" des Nikolaus Marschalk, Erfurt 1501, erscheint
Georg Spalatin als Herausgeber (105), der in Wirklichkeit nur
den Anhang verantwortete. Problematischer noch ist die uneingeschränkte
Hypothesenfreudigkeit des Autors. Ohne wirklichen
Beweis nimmt er an, daß Luther seine Plautuskenntnisse Hieronymus
Emser verdanke, um fortzufahren „Möglicherweise
wäre Luther selbst ein Komödiendichter... geworden ..." (159).

Die Lektüre des Bandes wird zusätzlich erschwert durch die
große Zahl unkorrigiert gebliebener Druckfehler und die technische
Einrichtung. Anmerkungen oftmals erst auf der nächsten
Seite nachzuziehen (183 und öfter). S. 33 fehlt eine im Text ausgewiesene
Anmerkung völlig, S. 169 ist eine falsch gezählt.

Wittenberg Martin Treu

Voß, Klaus Peter: Der Gedanke des allgemeinen Priester- und
Prophetentums. Seine gemeindetheologische Aktualisierung in
der Reformationszeit. Wuppertal-Zürich: Brockhaus 1990.
302 S. 8 = Monographien und Studienbücher.

Wer das hier anzuzeigende Buch in die Hand nimmt, lernt viel
dazu. Wer hier nicht allein lesen, sondern studieren will, wird
sich über drei Vorzüge des Werkes freuen:

1. Das Buch ist in profunder Weise aus den Quellen gearbeitet,
besonders was die reformationsgeschichtliche Literatur angeht.
(Der erstaunlich umfangreiche, sehr ergiebige und in Petit gedruckte
Anmerkungsapparat umfaßt die Seiten 211-291, das
spezifiziert gebotene Literaturverzeichnis die Seiten 293-302.)
Man hat schon durch die vielen Zitate buchstäblich eine Fundgrube
vor sich, die in sich einen eigenen Wert darstellt, vor ihrer
Evaluierung und Kommentierung ganz abgesehen.

2. Dem Vf. gelingt es, auf seine Weise deutlich zu machen, daß
hier - wie der Untertitel es nahelegt - mit reformationstheologischem
Hintergrund ein brandaktuelles Thema evangelischer
Theologie und evangelischen Amtsverständnisses vorliegt.

3. Historische Akribie verbindet sich bei dem Vf. mit einer Intention
, die seine eigene Theologie und Frömmigkeit erkennen
läßt. Er will auf das allgemeine Priester- und Prophetentum mit
dem Ziel der Auferbauung der Gemeinde hinweisen und meint
dazu: „Das allgemeine Priester- und Prophetentum soll keine
theologisch-erhabene Gcdankenspielerei sein, sondern zur leibhaft
-sichtbaren Erneuerung der Gemeinde führen. Dann erst
wären die reformatorischen Inipulse wirklich aufgenommen und
weitergeführt." (210) Theologische Forschung mit der Absicht,

Gemeindeverständnis und Gemeindeleben zu intensivieren, das
haben wir in dem anzuzeigenden Buch vor uns. Damit auch erfüllt
der Vf. die Zielsetzung der Verlagsgemeinschaft, die die Studie
herausbringt, nämlich „schriftgemäße theologische Arbeiten
zu veröffentlichen". (2)

Abgesehen von einer Kapitelerweiterung liegt hier eine theologische
Dissertation von 1987/88 vor, die unter anderen von
Hans-Joachim Kraus betreut worden ist. Unter den finanziellen
Förderern der Drucklegung befindet sich auch der „Arbeitskreis
für evangelikale Theologie". (3) Dem Rez. liegt daran, daß diese
Bemerkung an dieser Stelle nicht mißverstanden wird. Sie soll
signalisieren, daß Arbeitsvorhaben wie das vorliegende mit
einem beachtlichen wissenschaftlichen Apparat durchaus im
Interesse der Vertreter evangelikaler Theologie liegen. Wenn der
Verlag wohl im Zusammenhang mit Wünschen auch des Arbeitskreises
anregte, der ursprünglichen Dissertation für die Drucklegung
noch ein VI. Kapitel mit dem Thema „Gemeindetheologische
Perspektiven und Akzentsetzungen heute" (206-210) anzufügen
, dann erscheint diese Erweiterung durchaus nicht als
derangierter Appendix, sondern nimmt vieles von den Ergebnissen
der reformationszeitbezogenen Forschung auf. Daß hier neue
theologische Gegenwartsfragen gleichzeitig mitaufbrechen - was
dann z.B. der Inhalt von ,Gemeindetheologie' sein könnte,
ist ein Sachverhalt, der nun wieder über die Antworten des vorliegenden
Buches hinausführt.

Abgesehen von dem schon erwähnten Zusatzkapitel und einer
längeren Zusammenfassung der historischen Befunderhebung
(Kapitel V, 199-205), enthält das Buch vier Themenkomplexe.
Etwas summarisch wird ein Überblick über die altkirchliche und
mittelalterliche Lehrbildung sub voce „königliches Priestertum"
„im Kontext der Ausbildung des römischen Klerikalismus"
(13-30) gegeben; das mit Abstand umfangreichste Kapitel dient
der Darstellung des allgemeinen Priestertums bei Luther
(31-91); dann wird das Amts- und Dienstverständnis bei Me-
lanchthon abgehandelt (92-113); danach werden die Hauptvertreter
der reformierten Theologie berücksichtigt, Calvin (114-
141) und Zwingli (142-155); es folgen im Rahmen der
Repräsentanz der „radikalrcformatorischen Bewegung" in der
Reformationszeit Karlstadt (157-174) und das Schweizer Täu-
fertum (174-187); schließlich wird ein Blick auf die Lehrbildung
für das allgemeine Priestertum während des Trienter Konzils
(1545-63) getan, das als Bischofsversammlung der römischen
Kirche eine Antwort auf die Herausforderung durch die Reformatoren
versucht hat. (189-198)

Die oben mitgeteilten Seitenzahlangaben lassen erkennen, daß
wir schwerpunktmäßig eine Studie zur reformatorischen Theologie
und Frömmigkeit des 16. Jh.s vor uns haben. Die Quellenzitate
und entsprechende Nachweise sind dafür denn auch am häufigsten
und ergiebigsten, so daß man mit Fug und Recht sagen
kann, große Teile gesamtreformatorischer Dienst-, Amts-, Wort-,
Geist- und Schrifttheologie vermittelt zu bekommen, und zwar
im großen Bogen zwischen dem Initiator Luther und der Weiterentwicklung
bis hin zu den Schweizer Täufern.

Der Vf. geht den mehr oder weniger schriftgemäßen Ansätzen
zur genannten Lehrbildung bei den Reformatoren nach und weist
die Antworten auf die loci classici Heiliger Schrift aus. So haben
wir in dem Werk von Klaus Peter Voß faktisch auch noch eine
exemplarische bibelhermeneutische Studie in bezug auf einen
wieder wesentlich gewordenen theologischen Topos vor Augen. Es
handelt sich vor allem um die übereinstimmende oder differente
Exegese folgender „Schlüsseltexte" (rückwärtiges Deckblatt): '•
Petr. 2,5.9; Offb 1,6; Rom 12,1; 1. Kor 14,27-40. Indem Maße*
wie hier verschieden oder gar nicht Rücksicht genommen wird
auf diese Hauptbelegstellen, ist Priestertum aller Gläubigen i"
den Theologien und Kirchen virulent oder auch nicht.