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Ausgabe:

1992

Spalte:

673-675

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Elliott, Neil

Titel/Untertitel:

The rhetoric of Romans 1992

Rezensent:

Niebuhr, Karl-Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

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2 Wenn ich schon dabei bin. D. nach dem Umgang mit meinem Publika-
lionen /.u fragen, so darf ich vielleicht auch zu S. 126 seines Buches sagen,
daß ich mich, obwohl D. es bestreitet, zu Rom 11.6 geäußert habe, und
zwar zu I 1.1-6 in „Gottes ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus
im Rom 9-11" (FRLANT 136). Göttingen 1984. also immerhin 6 Jahre
vor Erscheinen seines Buches in einer ihm nicht unbekannten Reihe.

Elliott, Neil: The Rhetoric of Romans. Argumentative Con-
straint and Strategy and Paul's Dialogue with Judaism. Sheffield
: JSOT Press 1990. 332 S. 8" = Journal for the Study of the
New Testament, Suppl. Series 45. Lw. £ 35,-.

Wenn sich eine Dissertation einer ebenso zentralen wie viel
diskutierten Frage zuwendet, dann erwartet man im günstigen
Falle neben der Aufarbeitung der einschlägigen Forschungsgeschichte
weiterführende Lösungsansätze. Beides kann der vorliegenden
Untersuchung (PhD Princeton bei J. C. Beker) von Neil
Elliott (= E.) bescheinigt werden, über der die Frage steht: "Why
did Paul write Romans?" (9).

In der Einleitung (9-67) erhebt E. als Hauptproblem bei der
Bestimmung der Absicht des Römerbriefs dessen „Doppelcharakter
": Die Auseinandersetzung mit jüdischen Inhalten und
Positionen geschieht vor dem Forum einer weitgehend heidenchristlichen
Gemeinde. Ein Zusammenhang zwischen dem situa-
lionsbczogcnen Rahmen und dem Korpus des Briefs scheint zu
fehlen. E. versucht mit Hilfe einer rhetorisch-kritischen Analyse,
den Römerbrief dennoch als kohärentes, adressatenbezogenes
Schreiben zu verstehen. Dabei berücksichtigt er neben Kriterien
der antiken Rhetorik auch methodische Ansätze moderner Argu-
nentationsanalyse (C. Perelman/L. Olbrechts-Tyteca, S. Consi-
gny). Ausgehend von der durch geschichtliche und theologische
Zusammenhänge zwischen Autor und Adressaten gegebenen geneinsamen
Basis soll die paulinische Veränderungsabsicht bestimmt
und ihre argumentative Schlüssigkeit erwiesen werden.

Folgerichtig setzt E. mit der Untersuchung des Briefrahmens
(1,1-17 = exordium, 15,14-32 = peroratio) ein (Kp. 1, 69-104),
berücksichtigt dabei aber sogleich zum einen die unmittelbare
syntaktische und terminologische Verbindung zwischen brieflichem
Anlaß und inhaltlicher Bestimmung der paulinischen Verkündigung
(1,13-18), zum andern die sachlichen Bezüge zwischen
der Paränese ab Kp. 12 und dem Briefkorpus (bes.
1116-32; Kp. 6). Ziel des Briefes ist demnach die Paränese, nicht
"ii Sinne situationsloser, traditioneller Ermahnung, sondern im
Sinne zielgerichteter Einflußnahme auf das Verhalten der römischen
Heidenchristen und ihr Verhältnis zu den Judenchristen in
der Gemeinde. Durch den Brief sollen die Adressaten dazu belegt
werden, sich durch einen ihrer Berufung zu Christus entsprechenden
geheiligten Lebenswandel an der von Paulus darbringenden
, Gott wohlgefälligen „Opfergabe der Heiden"
U 5,16) zu beteiligen. Der Bezug auf Jerusalem in diesem Zusammenhang
signalisiere zwar nicht die heimliche Adresse des
Briefs, stehe aber mit seiner Aussageabsicht insofern in Verbindung
, als das von Paulus angestrebte „Opfer der Heiden" von der
•'erusalemer Gemeinde als Zeichen dafür wahrgenommen werden
soll, daß in der Heidenmission die Verheißungen der Schrift
erfullt sind (15.7-12).

Damit steht E. vor der Aufgabe, nachzuweisen, daß und inwiefern
die paulinische Argumentation in Rom 1-11 dieser paräne-
'■schen Absicht dienlich und in solcher Zielstellung schlüssig ist.
^s ergibt sich schon aus seinem Ansatz, daß er Rom 1-11 weder
a's theologisches Testament noch als Grundsatzdebatte mit dem
Judentum (bzw. judenchristlichen Gegnern) interpretieren kann
(dazu ein umfangreicher Exkurs. 167-223). Statt dessen erklärt
er den Aufbau und die Gedankenführung konsequent textprag-
matisch, also im Blick auf ihre Funktion innerhalb der paräneti-
Schen Anrede der Adressaten. Rom 1-4 wird dafür eine eher vorbereitende
Funktion zugewiesen ("oriented toward establishing
a common basis of agreement with the [Roman Gentile-
Christian] audience", 105), während Rom 5-11 dazu diene, die
von den Adressaten in der Paränese der Kp. 12-15 geforderten
Verhaltensweisen argumentativ zu ermöglichen und zu begründen
(" to modify that basis so as to win the audience's disposition
to act in aecordance with the paraenesis in chs. 12-15", ebd.).

Läßt man sich auf E.s Anliegen und seinen methodischen Ansatz
ein, dann wirkt seine Einzelanalyse der Argumentation von
Rom 1,13-4,25 (Kp. 2, 105-165) und 5-11 (Kp. 3, 225-275)
konsequent und in sich schlüssig. Einwände im Einzelnen erheben
sich gegenüber einer gewissen Vereinseitigung der paräneti-
schen Deutung paulinischer Argumente. So hat nach E. die Kritik
am Rühmen des Juden in Rom 2f ausschließlich hypothetisch-
paradigmatische Funktion innerhalb eines a fortiori-Beweises:
Wenn selbst die Juden trotz ihrer berechtigten Berufung auf die
Bundesprivilegien in ihrem Tun an der Erfüllung des Gotteswillens
durch Toragehorsam gemessen werden, um wieviel mehr
dann die (römischen) Heiden(-christen)! Aber dazu muß E. nicht
nur 3,19 anders punktieren als üblich (das Komma setzt er vor
statt nach XaXzi), sondern auch den Aufbau der paulinischen Argumentation
umkehren. Die Bedeutung der duaptta als Spitze
dieses Argumentationsgangs (3,9.20) bleibt dabei auf der Strecke.
Auch den argumentativen Nachweis der Verheißungstreue Gottes
angesichts des Unglaubens Israels (Rom 9-11) ordnet E. der
paränetischen Anrede der Adressaten in 11,17-24 als der Klimax
unter. Bei solcher Interpretation kommt aber weder die textpragmatische
Gewichtung, die Paulus dem anschließenden Abschnitt
(1 1,25-36) gibt, noch die theologische Basisfunktion der Verheißungstreue
Gottes für das paulinische „Heidenevangelium" angemessen
zur Geltung. Hinter solchen Akzentuierungen scheint
sich bisweilen bei E. die m. E. falsche Alternative zwischen Theologie
und Paränese, paulinischem Evangelium und adressatenorientierter
Ermahnung zu verbergen (vgl. z.B. 93ff).' Bei aller
Berechtigung einer textpragmatischen Interpretation der paulinischen
Argumentation darf doch gerade im Römerbrief das Bemühen
des Autors um theologische Selbstverständigung, um den
Aufweis der Schlüssigkeit seines eigenen theologischen Denkens
als Basis für seine Aussageabsicht, nicht aus dem Blick geraten.
Mag sich Paulus, was E. stark betont, weniger mit „dem Judentum
" oder gegnerischen judenchristlichen Positionen auseinandersetzen
, so doch offenbar zumindest mit seinen eigenen jüdischen
Denkvoraussetzungen.

In der Zusammenfassung (277-299) bringt E. - wie auch vorher
schon - solche theologischen Zusammenhänge unter dem
Stichwort "rhetorical macro-strueture" durchaus zur Geltung.
Die göttliche Berufung zum Heidenapostel bilde den inneren
Anlaß ("deep exigence"), das eschatologisch bestimmte einst-
jetzt-Schema der urchristlichen Paränese präge die rhetorische
Strategie des Briefs. Thematische Kontinuitäten wie die Integrität
, Souveränität und Verheißungstreue Gottes und die Verantwortlichkeit
aller Menschen vor ihm ordne Paulus in seiner
Argumentation um den zentralen werthaltigen Topos der Gerechtigkeit
Gottes neu an. Als Grundkomponenten kämen dabei
die Verantwortlichkeit vor Gott unabhängig vom Status des
Menschen gegenüber der Tora sowie die Verheißungstreue Gottes
gegenüber Israel und den Heiden unabhängig von menschlichem
Versagen zur Geltung. Hindernisse, die argumentativ zu
überwinden sind, böten ein Verständnis der Tora als ethnisches
Privileg und die Ablehnung des Messias durch Israel (277fT). Die
Behandlung des Topos Tora in Rom 1-8 habe zum Ziel, die heidenchristlichen
Leser zur Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes
in seinen Urteilen über alle Menschen nach den Maßstäben der
Tora zu führen. Die „Entlastung" der Tora in Rom 7f leite über
zur Verteidigung des erwählenden und erlösenden Handelns Gottes
gegenüber Israel in Rom 9-11 und bilde so die Basis für die si-