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Ausgabe:

1992

Spalte:

664-665

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Loth, Heinz-Jürgen

Titel/Untertitel:

Rastafari 1992

Rezensent:

Uhlig, Siegbert

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

664

eines globalen interreligiösen Dialogs skeptischer als Griener
beurteilen.

Augsburg Friedrich Wilhelm Graf

Isermann, Gerhard: Revitalisierung der Mythen? Gegen den
Mißbrauch alter Geschichten für neue Interessen. Hannover:
Luth. Verlagshaus 1990. 144 S. kl.8° = Vorlagen, NF 10. DM
12,80.

Dieses kleine Buch ist polemisch. Schon der Untertitel sagt es.
Es hat alle Vorzüge eines solchen Genres: es ist knapp geschrieben
, führt eine scharfe Klinge, es führt 11 Definitionen vor für
das vielschichtige Wort „Mythos", es vereinfacht die Probleme,
es deckt fatale Hintergründe hinter den vorgefundenen Themen
auf. Diese Vorteile sind freilich auch Grenzen, ja Nachteile polemischer
Literatur. Daß philosophische und religiöse Bewegungen
eigentliche Macht- und Geldinteressen nur verschleiern, daß
darum solche Enthüllung den eigentlichen Streitpunkt erst sehen
läßt, haben Leser in den neuen Bundesländern jahrzehntelang
vernommen. Freilich haben diese Leser auch registriert, daß solche
Analyse den Wahrheitsgehalt, die geistige Problematik und
damit sich selbst aufhebt. Wie es zu „Pseudomythen" und „Quasimythen
" kommt, die „genutzt", „verbraucht", „vermarktet"
werden, zu Zivilisationserscheinungen „verkommen", „degradiert
werden", „verkümmern", bleibt ungefragt. Ebenso unerör-
tert bleibt, warum das Christentum nicht genug geistig-geistliche
Integrationskraft im sich wirtschaftlich und politisch einenden
Europa entfaltet, so daß die Wissenschaftsphilosophie gar nicht
auf den Gedanken käme, die Grenzen der Rationalität in den
Blick zu nehmen, oder der Sport vor „mythischer" Dimension
bewahrt bliebe. Statt dessen scheint die Konfession eines Philosophen
relevant zu sein für neue Interessen.

Der „Schlamperei mit den Begriffen" will der Vf. wehren, seit
Konfuzius ein wesentliches Anliegen. Er trägt Merkmale eines
griechischen Mythos zusammen, u.a. seinen kultischen Aspekt,
seinen polytheistischen Charakter. Im Kapitel „Wie griechische
Philosophen ihre Mythen kritisierten" wird nur Piaton dargestellt
, und nur seine Homerkritik, die auf politisch-moralische
Bedenken zurückgeführt wird. Daß andere Philosophen mit ihrer
Anthropomorphismuskritik, daß Piaton mit seinen Mythen vom
Totengericht, vom Urmenschen, vom Jenseits usf. nicht besprochen
werden, fällt auf, wenn etwa E. Fromm treffend dafür kritisiert
wird, daß sein Buchtitel nicht hält, was er verspreche. Kein
Historiker antiker Philosophie wird Piatons Mythen übergehen,
schon weil da der Wandel des Begriffs verdeutlicht werden kann.
Die Bemerkung in Anm. 27, Märchen „generell als Lügen zu bezeichnen
, wäre wiederum eine Unwahrheit in einer tieferen
Schicht des Lebens" brächte den Vf. in einen Dialog mit manchem
kritisierten Autor, wenn er dem nachginge, was „tiefere
Schicht des Lebens" meint. Daß im Kapitel „Wie die Bibel
die Mythen kritisierte" die Zitate aus den Deuteropaulinen und
2Pt nicht sehr ergiebig sind, weiß unser Buch selbst. Am meisten
leiste der 2Pt, doch daß dieser Text die historische Zeugenschaft
der historisch-faktischen Verklärung bestätigt, wird historischkritisch
nicht belegbar sein. Doch der Stellenwert historischer
Kritik wird nicht deutlich. Wenn eine Autorin den historischen
Jesus deutlich abhebt von Gestalten wie Tammuz, sich aber
des Mythems vom Heros (in seinen 1000 Gestalten) bedient, um
zu zeigen, wie Jesus als der Christus erfahren werden kann, sieht
der Vf. sie „abheben zu beliebigem Träumen", das sich auch um
Superman ranken könnte. Andererseits zitiert er einen kritischen
Exegeten, der das 4. Evangelium als unhistorische Dichtung versteht
. Einem römisch-kath. Theologen wird bescheinigt, erkenne
sich in historischer Kritik an der Bibel aus, wenn dieser Mann
aber versucht, unhistorische Texte wie die Geburtslegenden verstehbar
zu machen, wird er zum theologisch uninteressanten Kliniker
. Der Vf. sieht in der Jungfrauengeburt ein göttliches Wunder
, das sich von Mythen durch Wegfall der Zeugungslust unterscheidet
- diese Position sei dem Vf. zugestanden, freilich gibt
das historische Kritik nicht her. Wenn eine Ägyptologin Pharao
und Jesus als Gottessöhne miteinander vergleicht, gilt das als hilfreich
, während ein Religionshistoriker, der Erzählungen von
wunderbaren Geburten aus göttlicher oder dämonischer Sphäre
miteinander vergleicht, der Religionsvermischung geziehen
wird. Dabei wird die Ägyptologin nicht zitiert, wenn sie vom
Grundirrtum schreibt, „die wunderbare Zeugung und Geburt
habe in der ausgesagten Form realiter stattgefunden. Solange die
Menschen fähig waren, mythisch zu denken, verstanden sie die
Aussage vom natus ex virgine ohne Mühe; in dem Maße, wie sie
nach Beweisen fragten, verloren sie das Verständnis für den Mythos
" (Brunner-Traut, a. a. 0.58). Mythos sei nicht nur ein genus
dicendi, sondern auch ein genus imaginandi. Im Missionsland
Europa, dessen Bewohner genug Kenntnisse fremder Religionen
haben und oft genug Ersatzformen von Religion praktizieren,
werden wir leidenschaftlich darüber miteinander reden müssen,
wie - um noch einmal Brunner-Traut zu zitieren - „sich der
Glaube in jene Tiefe (senkt), aus der ihn kein rationaler Sturm
entwurzelt." (59) Da wird Polemik wenig fruchten, sondern positive
Darlegung. Ist doch die Grundbedeutung von protestari sich
als Zeuge für etwas gebrauchen zu lassen.

Rostock Peter Heidrich

Loth, Heinz-Jürgen: Rastafari. Bibel und afrikanische Spiritualität
. Köln-Wien: Böhlau 1991. VIII, 128 S. 8° = Kölner Veröffentlichungen
zur Religionsgeschichte, 20. Kart. DM 48,-.

Die als Typoskript gedruckte Arbeit erhebt äußerlich-
satztechnisch keine großen Ansprüche: In den Schreibmaschinentext
wurden äthiopische, griechische und hebräische Begriffe
mit durchschnittlich kalligraphischer Hand eingetragen. Der
Umfang von 128 Seiten könnte auf den ersten Blick den Eindruck
einer abgerundeten Monographie erwecken, tätsächlich
setzt jedoch mit S. 64 die Wiedergabe von (15) Dokumenten ein,
unter ihnen auch solche von begrenztem Wert für die vorliegende
Studie1. - Daneben belegt der umfangreiche Anmerkungsapparat
(der leider, da als Endnoten in den Anhang verbannt, ein ständiges
Hin- und Herblättern erfordert), eine sichere Literaturkenntnis
des Vf.s.

Behandelt wird der jamaikanisch-amerikanische Aspekt des
Äthiopismus2, jene aus jüdisch-christlichen Wurzeln erwachsene
„synkretistische" und im wesentlichen nichtchristliche Religionsbewegung
(61), die ihren Gehalt vor allem aus den Elementen
, die Leonard P. Howell formuliert hat (25), bezieht: die Rein-
karnationn des alten Israel in den „Schwarzen" - die Gottheit
Häyla Selläses - die Rückkehr der „Schwarzen" nach Afrika.
Daß dabei das Leben des erwähnten äthiopischen Herrschers
eine herausragende Rolle spielt und daß er noch heute kultisch -
so z. B. an seinem Geburts- und seinem Krönungstag - verehrt
wird, wobei Bilder seiner Krönung eine ikonenähnliche Funktion
übernehmen (21)3, verwundert nicht.

Für ertragreicher als die mitunter etwas „hingeworfen" wirkenden
äthiopischen Fakten, mit denen der Vf. ein wenig sorglos
umgeht, halte ich den 30seitigen Abschnitt über die „Phänomenologie
der Rastafari-Religion", in dem z.B. der existentiell-
reinterpretierende Umgang mit der Bibel, jenes das menschliche
und das göttliche „Ich" zusammenführende Offenbarungsverständnis
, eine Art „Theokratisierung des Lebens" (51) (bis i"
Speisegebote und -verböte hinein) und die von Musik und Rhythmus
bestimmten Religionserfahrungen („Reggae") eine RoHe
spielen.