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Ausgabe:

1992

Spalte:

43-44

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Böttger, Paul Christoph

Titel/Untertitel:

Calvins Institutio als Erbauungsbuch 1992

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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stein in besonders eindrucksvoller Weise wirkt, und degradierten
von ihrem Selbstverständnis her Paulus. Der legitimierte Aposto-
lat ist daher das Zentralthema in der Auseinandersetzung des
Paulus mit seinen Gegnern im 2Kor.

Die exegetische Arbeit an den Paulusbriefen ist durch S.s Untersuchung
in profunder Weise bereichert worden. Nicht nur für
die Ermittlung der gegnerischen Positionen, wie sie im 2Kor diskutiert
werden, sondern auch für die Befragung der übrigen Pau-
lusbriefe wie überhaupt der neutestamentlichen Briefliteratur
sind hier Kriterien bereitgestellt, die phantasievolle bzw. willkürliche
Rekonstruktionsversuche vermeiden und somit zu einem
der Wirklichkeit entsprechenden Verständnis der vielfältigen
Strömungen innerhalb des Urchristentums verhelfen können.

Berlin Christian Wölfl"

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Böttger, Paul Christoph: Calvins Institutio als Erbauungsbuch.
Versuch einer literarischen Analyse. Neukirchen: Neukir-
chener Verlag 1990. 148 S. 8° Kart. DM 48,-.

Das Impressum trägt zwar die Jahreszahl 1990, aber das Vorwort
weist gleich eingangs daraufhin, daß der Leser eine Göttinger
theologische Dissertation aus dem Jahre 1963 vor sich hat.
Der Vf. holt nach mehr als einem Vierteljahrhundert die Drucklegung
nach, weil er „die Ergebnisse der Arbeit auch heute noch
für diskussionsfähig" hält. (7) Der Altmeister der Calvin- und
Zwingli-Forschung, Gottfried W. Locher, so schreibt Böttger, hat
ihn zur Veröffentlichung ermutigt. (9)

Nachdem viel Literatur zur Calvin-Forschung erschienen ist,
die darauf aufmerksam macht, man dürfe sich hinsichtlich eines
umfassenden sachgemäßen Calvin-Verständnisses nicht nur auf
sein Standardwerk, die „Institutio Christianae Religionis" (18)
stützen, sondern müsse wesentlich auch seine zahlreichen exegetischen
Werke und die in großer Zahl überlieferten Predigten heranziehen
, nimmt sich Böttger wieder des großen dogmatischen
Werkes Calvins (a.a.O.) an, und zwar ausschließlich der Institutio
, die er begriffsanalytisch und weniger aus literarischen Vorläufern
zu erschließen versucht. Lediglich Luther und Petrus
Lombardus (81, Anmerkung 2) werden an einigen Sachpunkten
herangezogen. Dieses Vorgehen hat gewiß nicht nur Stärken,
zumal es dem Vf. gerade um eine literarische Analyse zu tun ist,
wie der Untertitel ausweist.

Zu den Vorzügen der Arbeit gehört es, daß Böttger thematisch
zentriert an das klassische Werk der Reformation herangeht. Es
sind wesentlich vier Begriffe, die ihm beim angemessenen Verständnis
der Institutio wichtig sind: Die Erbauung (28) der Erwählten
, die Applikation (27) als absolut dominierender Terminus
in der ganzen Studie, der Organismusgedanke (32, 35, in
seiner klassischen Prägung von Joseph Bohatec übernommen)
und die Christusgemeinschaft (39). In Relation zu diesen Leitbegriffen
begegnen viele andere, so etwa Frömmigkeit und Religion
(50) oder Christus als Haupt (42ff).

Die zahlreichen in Petit gesetzten und übersetzten Zitate machen
den Reichtum der vorliegenden Studie aus. In vielen Fällen
ist das lateinische oder französische Original nach dem Text der
wissenschaftlichen Ausgaben in den Anmerkungen wiedergegeben
, so daß jede Möglichkeit zum Vergleich der Kontexte möglich
ist. In den Überschriften für die Kapitel erscheint nicht
immer ganz einsichtig einmal der lateinische, einmal der deutsche
Begriff mit der jeweiligen Übersetzung bzw. Originalfassung
.

Das Buch besteht aus einer Einleitung (15-30) und zwei Kapiteln
. Das erste Kapitel behandelt ein Sachthema (Die Christusgemeinschaft
als Grundlage der Applikation) (31-51), das zweite
analysiert die Instituio-Ausgaben von 1536 und von 1559, also
die Erstauflage und die Ausgabe letzter Hand.

Das zweite Kapitel enthält auch einen Abschnitt über die Zwischenausgaben
von 1539-1554, (790 Drei Exkurse unterstreichen
das begriffsanalytische Vorgehen des Vf.s als methodisches
Prinzip: „Die Gaben Gottes" (33f); Christus als das Haupt der
Kirche (42-45); der Begriff „doctrina" (Lehre) (140-142).

Auf die eben beschriebene Weise kann der Vf. der Schwierigkeit
nicht entgehen, über gewisse klassische Begriffe mehrfach
ansetzend zu handeln, so über die termini Lehre, Glaube und
Gebet. Das wäre gewiß dann gewinnbringend, wenn der Vf. von
Aufl. zu Aufl. der Instiutio deutliche gedankliche Änderungen
hätte feststellen können, wie das etwa bei den Auflagenvarianten
in Melanchthons Loci communes seit 1521 erkennbar ist. Gerade
hier jedoch meint Böttger, zwischen dem jungen und dem alten
Calvin schwerlich derart gedankliche Veränderungen konstatieren
zu müssen, wie das jahrzehntelang bezüglich der Ansätze des
jungen Luther und des alten Luther behauptet wurde. Er sieht
Erst- und Letztaufl. der Institutio in den ihm wichtigen Stücken
beieinander: „Die große Neuordnung des Stoffes bei der Rezension
der Institutio im Jahre 1559 wird von den meisten Forschern
als ein grundlegender Fortschritt begrüßt. Jetzt scheint die
Institutio viel systematischer geworden zu sein, denn in ihr waltet
eine große sachliche Ordnung, die den in den vorigen Auflagen
ungeheuer angewachsenen Stoff meistert. Und doch wird
man diese Umstellung der Disposition nicht als eine Wende weg
von einem etwa katechismusartigen Werk zur Dogmatik werten
dürfen." (81)

Woran liegt dem Vf., und was könnte er durch seine fleißig gearbeitete
Studie erreichen? Dazu ist ein Vierfaches zu sagen:

1. Böttger macht erneut auf den Reichtum der Instiutio aufmerksam
, und zwar unter neuer connexio verborum.

2. Die Institutio enthält nicht nur einfach Lehre, Stoffvermittlung
, sie ist nicht einfach Unterricht, sondern ein Ruf zur Applikation
von Lehre in Gestalt lebendig gelebter Frömmigkeit. (50)

3. Calvin will „den Imperativ der christlichen Unterweisung
in dem Indikativ des Christus pro nobis" zeigen (51), so daß von
daher der schon bei W. Kolfhaus theamtisierte Begriff der „Christusgemeinschaft
" als Zentralgedanke der Institutio neu eingeschärft
wird.

4. Calvin, der in zahlreichen Forschungsbeiträgen vergangener
Jahrzehnte als der große Dogmatiker der Reformation firmiert
wurde, erscheint in seiner Institutio als ein Praktiker der
Religion (28). Die „Unterweisung Gottes durch sein Wort ist
nicht allein auf nur theoretisches Wissen ausgerichtet, sondern
auf die Auferbauung (aedificatio) der Frömmigkeit (pietas) nicht
nur des einzelnen, sondern vornehmlich der Gemeinde." (140)

In die oben gegebene Zusammenfassung paßt sich die Neuaufnahme
des „Organismusgedankens" (35) ein. Seine „wesentlichen
Elemente sind folgende: Die Kirche ist der Leib Christi, der
mit seinem Haupt eng durch das Band des heiligen Geistes verbunden
ist." (a.a.O.) Das Betroffensein davon kann Böttger
„fast mit dem modernen Begriff .existentiell'" kennzeichnen.
(1400 Auf jeden Fall bleiben in der Sicht des Vf.s Calvins Leitgedanken
,Lehre und Glaube' (141) beieinander. So auch wäre auf
alte neue Weise die Kirche bei ihrer Sache.

Böttger ist sicher für die Erhebung eines wichtigen theologiegeschichtlichen
Sachverhaltes zu danken. Er hat zudem gezeigt,
daß ein klassisches Werk der Reformation „die Verbindung zu
praxis pietatis" (18) ganz selbstverständlich zieht, eine Erkenntnis
, die offenbar in vieler Hinsicht bis zur Neuentdeckung im
klassischen Pietismus verhängnisvoll für den Protestantismus in
den Hintergrund trat.

Görlitz Joachim Rogge