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Ausgabe:

1992

Spalte:

649-654

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

The Bible in three dimensions 1992

Rezensent:

Beyse, Karl-Martin

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649

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 9

650

CDU mit ihrer staatlichen und kirchlichen Rolle, sondern alle
mit dem Christentum verbundenen Gruppierungen haben eine
Problematische Geschichte hinter sich. Aber die Aufarbeitung
dieser Vergangenheit setzt voraus, daß man von der geistlichen,
moralischen und rechtlichen Verantwortlichkeit der Kirchenlei-
tungcn, der Gemeinden, der Amtsträger sowie jedes Christen
ausgeht und von hier aus nach den damaligen Gegebenheiten,
Möglichkeiten und Notwendigkeiten fragt. Immer muß die
Dankbarkeit dafür, daß es in der DDR Christen und Gemeinden
gab. am Anfang stehen.

Der Versuch, die DDR-Vergangenheit zu verwinden, stößt
freilich auf die Schwierigkeit, daß gerade die Unterdrückten des
Systems wie gelähmt reagieren. Das zeigt sich auch an dem Phänomen
, das die Vff. am Ende des Vorworts nennen, nämlich
daß die Täter von Stasi und Partei eher bereit sind, an der Dokumentation
des Geschehenen mitzuwirken als die Kirchenleitungen
(VII). Diese Tatsache belegt freilich nicht das Vorhandensein
böser Geheimnisse in den kirchlichen Akten, wie man den Andeutungen
der Vff. entnehmen könnte, sondern entspricht dem
'angst bekannten Umstand, daß die Drangsalierer meist ein besseres
Gewissen haben als die Drangsalierten. So schlimm ist
Drangsalieren.

In einem System der Einschüchterung wird es freilich immer
so sein, daß nicht eine Gruppe von Unterdrückern einer Masse
von Unterdrückten gegenübersteht. Funktionieren kann ein solches
System nur, wenn jeder Täter (mindestens potentiell) Mit-
°Pfer, und jedes Opfer (mindestens partiell) Mittäter ist.

Aber dieser Zusammenhang macht es um so nötiger, eine Trennungslinie
zu ziehen zwischen denen, die das System aktiv trugen
und legitimierten, und den vielen anderen, die es zumeist erduldeten
und nur insofern mittrugen. Die herrschenden Kräfte müssen
auf ihre Verantwortung und alle andern auf ihre Mitverantwortung
sich ansprechen lassen. Solange man bei der
unbestreitbaren Tatsache der unendlich variierten Personalunion
von Täter und Opfer stehen bleibt, darf man sich nicht
Wundern, wenn gerade eindeutige Täter sich dreist in den Vordergrund
spielen.

Was das Buch von Besier/Wolf vorbringt, erfüllt bei weitem
n'cht die Bedingungen, um das Handeln der evangelischen Kir-
che in der DDR von ihren eigenen Voraussetzungen her und in
ihrer eigenen Zwangssituation recht würdigen zu können. Damit
soll nicht gesagt sein, daß die von ihnen aufgeworfenen Fragen
v°m Tisch wären. Diese Fragen betreffen nicht nur das Verhält-
n,s der Kirchenleitungen der DDR zu ihrer Regierung, auch
nicht nur das gespannte Miteinander von Kirche und Bürgerbe-
wegungen. sondern ebenso den internationalen Kontext, insbesondere
im Bereich der ökumenischen Bewegung. Auch in vielen
kirchlichen Zusammenhängen des Westens will eine Vergangenheit
wahrgenommen sein.

Es ist schade, daß die vorgetragene Kritik an einem Werk geübt
werden mußte, das sich auf verdienstliche Weise eben der Quel-
/('" annimmt. Dieses Buch stellt den ersten Band einer neuen
Quellen-Serie dar. Es ist zu hoffen, daß künftige Publikationen
Zu diesem Thema ein besseres Verhältnis zwischen Quellener-
Schließung und kritischer Kommentierung herstellen werden.

Ein theologisch wichtiger Punkt muß noch angesprochen werden
. M.E. hätte dieses Buch zur Frage der Vergebung schweigen
sollen. Denn Vergebung ist dann und nur dann möglich, wenn
Schuld eingestanden ist. Eingeständnis von Schuld setzt wiederum
zwei Dinge voraus: Erstens, daß die quaestio iuris entschieden
ist, will sagen, daß Klarheit darüber besteht, in welchem
Sinn von Schuld die Rede ist; zweitens, daß die quaestio.facti entschieden
werden kann, d. h. daß der den Schuldvorwurf erfüllende
Tatbestand vorliegt. Diese Bedingungen sind im Blick auf
die schwebende Frage nicht gegeben, schon deshalb nicht, weil
die Vff. einen Schuldvorwurf erheben, der von den Betroffenen
keineswegs akzeptiert wird. Solange die Dinge so liegen, ist es bereits
moralisch, doch erst recht theologisch verkehrt, über Vergebung
zu reden.

Das gilt auch und besonders im Blick auf das Phänomen des
diffusen und ambivalenten Schuldgefühls, das die Grenze zwischen
Tätern und Opfern, Mitbetroffenen und Mitschuldigen
verschwimmen läßt (deshalb von einem aggressiven Beleidigtsein
nur schwer zu unterscheiden ist). Ein solches Schuldgefühl
ohne Täter und ohne Untaten wird durch voreiliges Reden über
Vergebung nur noch lähmender, insbesondere wenn solche Vergebung
eine Schuldzuweisung enthält. Etwas ganz anderes ist
hier erfordert, nämlich die bewußte Aneignung der eigenen Vergangenheit
. Wenn in der ehemaligen DDR das diffuse Schuldgefühl
verbreitet ist, so ist nichts nötiger als die offene Verteidigung
des damals Nötigen, auch der zweideutigen Kompromisse. Daß
dies erhobenen Hauptes geschehen kann, verlangt freilich eine
eindeutige Kennzeichnung der Zweideutigkeiten von damals.
Nur eine mit gutem Gewissen angeeignete Vergangenheit kann
dazu verhelfen, das nicht zu Verteidigende zu bereuen. Erst
damit wird die Macht des schlechten Gewissens und des Ressentiments
gebrochen. Dann wird auch die Bahn frei, diejenigen
Kräfte und Personen zu benennen, die wegen ihrer Vergangenheit
nicht dazu berufen sind, den künftigen Weg der Kirche zu bestimmen
. Erst eine mit gutem Gewissen angeeignete DDR-
Vergangenheit wird der gesamten Kirche und Gesellschaft als ein
unentbehrlicher Erfahrungsschatz zugeeignet werden können.

Vieles bei Besier/Wolf deutet daraufhin, daß sie zu einer solchen
Erinnerung und Bewältigung von Vergangenheit beitragen
wollten. Um so bedauerlicher ist es, daß sie ihrem Anliegen durch
unberechtigte Kritik Eintrag getan haben.

Wie man sieht, gebe ich den Kritikern dieses Buchs in vielem
recht. Um so stärker muß ich betonen, daß den durch Besier/
Wolf aufgeworfenen Fragen auf den Gruund gegangen werden
muß. Widerlegt wird ihre Kritik erst dann sein, wenn ihr Buch
durch bessere Darstellungen und Dokumentationen ersetzt ist.
Eine solche Neubearbeitung der Probleme wird freilich nur möglich
sein, wenn insbesondere die Kirchenleitungen der früheren
DDR, aber auch ihre westdeutschen und ökumenischen Partner,
diese Aufgabe als ihre eigene Sache wahrnehmen.

Sollte diese Bewältigungsarbeit nicht geleistet werden, dann
wird dieses Buch - trotz aller berechtigten Kritik an seinem Inhalt
und an seiner Rolle in der öffentlichen Auseinandersetzung -
stehenbleiben als Erinnerungszeichen einer Verdrängung.

Allgemeines, Festschriften

''"es David J. A., Fowl, Stephen E., and Stanley E. Porter [Ed.]:
The Bible in three Dimensions. Essays in celebration of forty
vears of Biblical Studies in the Untiversity of Sheffield. Sheffield
: JSOT 1990. 408 S. 8 = Journal for the Study of the Old
Testament, Suppl. Series 87. Lw. £ 35,-.

Eine Festschrift besonderer Art - das " Department of Biblical
Studies at Sheffield University" präsentiert sich in diesem Band
nach 40jähriger Wirksamkeit. In ihrem "Preface" (13-17) interpretieren
seine Hgg. diese Zeitspanne als symbolgeladen: sie erinnert
an die 40jährige Wüstenwanderung Israels, die 40 Tage
Einsamkeit und Versuchung Jesu in der Wüste und an die um den
40. Geburtstag einsetzende "mid-life Crisis". Eine Art Rechen-