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Ausgabe:

1992

Spalte:

631-632

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Nordsieck, Reinhard

Titel/Untertitel:

Recht und Gesetz 1992

Rezensent:

Koerrenz, Ralf

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Seite 1

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631

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

632

Kirchenrecht

Nordsieck, Reinhard: Recht und Gesetz in theologischer, philosophischer
und juristischer Perspektive. Frankfurt/M.-Bern-
New York-Paris: Lang 1991, 165 S. 8° - Europäische Hochschulschriften
. Reihe II: Rechtswissenschaft 1074. Kart.

„Recht" und „Gesetz" sind nicht nur theologische Fachtermini
, sondern entstammen bekanntlich zunächst einmal derjuri-
stischen Sphäre. Für beide Bereiche vermag der Vf. (Jahrgang
1937) Kompetenzen aufzuweisen. Seit 1964 ist er beruflich als
Richter tätig. Sein 1974 aufgenommenes Theologiestudium an
der Kirchlichen Hochschule Wuppertal führte 1980 zur Publikation
des Studienbuches „Reich Gottes - Hoffnung der Welt", in
dem der .historische Jesus' in den Mittelpunkt gestellt wurde.
Jesu Verkündigung ziele demnach auf eine „neue Welt der Gerechtigkeit
, Liebe und des Friedens".

Mit seinem neuen Buch bleibt Nordsieck seinem historisierenden
Ansatz treu und vollzieht doch zugleich einen Perspektivenwechsel
. Jetzt geht es primär nicht mehr um Jesu Verkündigung,
sondern um die aus der Hoffnung auf die Neugestaltung der Welt
erwachsende Ethik. Die Studie ist in zwei theologische und zwei
juristische Abschnitte gegliedert. In dem ersten Kapitel über
„Jesu Interpretation von Gesetz und Recht Gottes" (13-40) wird
zunächst das dialektische Verhältnis Jesu zum Gesetz herausgearbeitet
. Gegenstand der Verkündigung Jesu ist demnach „nicht
die einfache und undialektische Bestätigung oder Aufrichtung
des Gesetzes in der Gottesherrschaft. Es ist auch nicht die Abschaffung
oder das Absterben des Gesetzes im Reich Gottes"
(200- Der Leitgedanke Jesu sei nicht in solch statischen Größen
zu fassen, sondern nur dynamisch zu beschreiben. Der entscheidende
Maßstab sei dabei nicht das Naturrecht, sondern das
.eschatologische Recht' (28fT). Es gehe bei alledem nicht um
einen bestimmten Zeitpunkt, an dem .Gesetz' durch ,Recht' abgelöst
worden sei. Das eschatologische Recht „ist vielmehr als
Ausdruck des Reichs Gottes im Kommen begriffen, ein sich entfaltendes
Geschehen, das den Willen Gottes zu Freiheit, Gerechtigkeit
und Solidarität zur Geltung bringt. Es ist damit auch die
ständige Kritik und Infragestellung des Gesetzes als einer bloß
vorläufigen und sichernden Erhaltungsordnung" (36).

Diesen Kerngedanken seines gesamten Buches, Gesetz in dem
Umwandlungsprozeß zum (eschatologisch normierten) Recht zu
begreifen, findet der Vf. auch im zweiten Kapitel bei der „Auslegung
von Gesetz und Recht Gottes durch Paulus" (41-62) biblisch
-exegetisch bestätigt. Auch für Paulus sei der Gedanke eines
im Kommen begriffenen eschatologischen Rechts maßgebend gewesen
. Für seine Theologie gilt: das eschatologische Recht „ führt
zugleich zu einer Transformation des Gesetzes in eine neue, vom
Geist gewirkte Ordnung mit einem neuen Inhalt und einer neuen
Form, die vom letztgültigen Willen Gottes zu Freiheit, Gerechtigkeit
und Solidarität bestimmt ist" (57).

Die entscheidende Synthese des Vf.s ist die Verknüpfung jener
exegetischen Analyse mit der juristischen Diskussion um Recht
und Gesetz. Hierbei untersucht Nordsiek im dritten Kapitel
„ Die Anwendung auf das heutige Recht im allgemeinen" (63-93)
und im vierten „Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland
im besonderen" (95-160). Unter Verweis auf Artikel 20 III
des Grundgesetzes belegt er die juristisch gängige Differenzierung
zwischen „Recht" als dem überpositiv Aufgegebenen und
„Gesetz" als dem positiv Vorgegebenen (63). Dieses überpositive
Recht bringt der Vf. nun mit dem eschatologischen Recht in Verbindung
(85). Letzteres kann „sehr wohl als Grundlage sowie als
Orientierung zu einem dem entsprechenden überpositiven
Recht, ferner als dessen Zielvorstellung angesehen werden" (90).
In der Rechtsdiskussion wird damit die Antizipation an dem
Kommenden und nicht länger der Rückverweis auf das Naturrecht
als entscheidend angesehen. Die Verbindung zum reformierten
Topos einer „Königsherrschaft des Christus" wird dabei
ausdrücklich benannt (91).

Konkretisierend wird „Die Würde des Menschen als grundlegende
Zielvorstellung eschatologischen Rechts" (1080) ausgemacht
. Dieses wird an den klassischen Themen „Freiheit",
„körperliche Unversehrtheit", „Eigentum", „Ehe und Familie",
„Gleichheit" etc. durchbuchstabiert. Zusammenfassend verweist
Nordsieck darauf, daß beide, Gesetz und Recht, ihren Ausgangspunkt
in Gott als „ganzheitlicher Macht" haben und auf
Ordnung hin angelegt sind. Entscheidend bleibt, daß vom Gesetz
mit seinen „autoritär gesetzten Normen" zum Recht mit seinen
„sozialen Werten" ein „ständiger Umwandlungs- und Transformationsprozeß
vonstatten geht" (150).

In die theologische Diskussion um die beiden untersuchten Begriffe
trägt Nordsieck somit das Reich Gottes als Leitmotiv ein.
Eschatologisches Recht als Gegenmodell zum Naturrecht sei von
der Kirche in allgemeinen Diskussionen zur Geltung zu bringen.
Diese Leitidee sei bisher nur unzulänglich angedeutet worden
(W. Pannenberg, H. Simon, vgl. 72ff). Dem Gesetz wird dabei die
positive Eigenschaft zugebilligt, in sich Elemente jenes Rechts
aufzunehmen. Gleichzeitig ist jedoch die Vorläufigkeit des Gesetzes
mit Nachdruck zu betonen. Der Gesamtansatz ist insofern
gebrochen optimistisch, daß das Reich Gottes trotz aller Rückfälle
in Inhumanität doch eine Bezugsgröße bleibt, die in theologischer
, juristischer und auch philosophischer Perspektive nicht
vernachlässigt werden darf.

Die Aktualität dieser Studie wird gerade angesichts der Diskussion
um das Verhältnis des ,überpositiven Rechts' zum vormals
gültigen Recht in der ehemaligen DDR deutlich. Auch wenn
der Autor in seinem Vorwort diese Thematik andeutet, ist eine
Anwendung jenes Gedankens, das .überpositive' vom .eschatologischen
' Recht her zu verstehen, hier noch nicht geleistet. Vielleicht
kann der dynamische Charakter des Gesetzes als einer sich
im Prozeß befindlichen Größe bei den entsprechenden Diskussionen
weiterführende Impulse bieten. Hilfreich ist in diesem
Kontext sicherlich die These: „Es ist doch auch fraglich, ob alle
positiven Gesetze sowie die Gesamtheit der Vorschriften des
Grundgesetzes in der Bundesrepublik tatsächlich Recht sind
oder ob sie nicht auch jeweils der Überprüfung an dem Maßstab
des Rechts bedürfen" (10).

Insgesamt möchte Nordsieck einerseits eine einseitig positive
Funktionsbestimmung des Gesetzes vermeiden und andererseits
das als sich entfaltender Kern des Gesetzes in den Vordergrund
rücken, was in reformierter Perspektive die soziale Dimension
der Königsherrschaft Christi bestimmt: das Reich Gottes als
Hoffnung der Welt.

Mettmann RalfKoerrenz

Weber, Franz Xaver von: Der Rechtsanwalt im katholischen Kii"
chenrecht. Ausgewählte Fragen zum Anwaltsrecht nach dem
Codex Iuris Canonici 1983. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag
1990. XLVI, 209 S. 8° - Freiburger Veröffentlichungen
aus dem Gebiete von Kirche und Staat, 29.

„Advocatus vero ecclesiasticus est persona a competente auC"
toritate ecclesiastica approbata, quae in processibus canonic's
iura partium coram iudice ecclesiastico per deduetiones iuris et
facti scripto traditas vel viva voce prolatas tuetur." Diese prägnante
Kurzdefinition von F. X. Wernz/P. Vidal (Ius Canonicum
tom. VI, Romae 1949, 206) steht an der Spitze der anzugebenden
Freiburger juristischen Dissertation, die von Louis Carlen betreut
wurde. Sie widmet sich dem Anwaltsrecht des CIC 1983.
bietet aber keine geschlossene Darstellung, sondern beschränk'