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Ausgabe:

1992

Spalte:

625-627

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Karwoche, Osterzeit

Titel/Untertitel:

Pfingsten, Trinitatis 1992

Rezensent:

Ziemer, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

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wissenschaftstheoretische Konsequenzen zu ziehen, vgl. 295ff,
bes. 3120-

Der Hg. verweist auf das Entwicklungsdenken, das allerdings
•n der (kaum berücksichtigten) strukturalistischen Forschung der
Universalien suchenden Synchronie gewichen ist. Die vielfältige
evolutionäre Sicht, als Fortschritt, als Wachstum, als Komplex
von Geschichten, deren Takt und Richtung zum Teil gegeneinan-
derlaufen, kommt häufig zur Sprache (bei A. E. Berg zu Herder in
Entsprechung zu Lebensstadien - 57ff; bei D. Heintze zu Forster
im Sinne der Perfektibilität - 79; bei B. Ganzer zu Morgan - 98f;
bei K.-H. Kohl zu Malinowski in der Verbindung mit dem Funktionalismus
- 239; bei J. W. Raum zu Steward - 270 usw.), allerdings
ohne daß Radcliffe-Brown behandelt würde, der in angelsächsischen
Manualen eine bedeutende Rolle spielt. Welche Art
von geschichtlicher Sicht, welche Interpretation des Evolutions-
Paradigmas waltet hier vor und wie verbindet sie sich mit der
Perspektive, in der das ethnologische „Material" sich präsentiert
?

Die Arbeit der hier vorgestellten Kulturanthropologen ist voll
von Anstößen zu einer differenzierten Theorie, die allerdings in
einem Sammelband nicht hinreichend entfaltet werden kann. Sie
reichen bis in die Bereiche der Soziologie hinein (die gerade in
'hren Anfängen gern auf sog. primitive Ethnien geblickt hat, wie
etwa Dürkheim es tat). Deshalb ist es zu bedauern, wenn der Zusammenhang
beispielsweise einer pantheistisch humanistischen
Einstellung mit einer naturwissenschaftlichen Auffassung der
Ethnologie wenig durchsichtig wird (vgl. 114 und 131 zu A. Bastian
) oder der „Paideuma"-Begriff des Frobenius in etwa mit
Herders Volksbegriff gleichgesetzt wird (vgl. 165). Die Chance
der Vernetzung der Anstöße bleibt fast allein dem Leser.

Was ist nun Kulturanthropologie? Ein buntes Mosaik im Werden
, das noch auf seine Mitte und damit seine endgültige Struktur
wartet? Wenn M. Erdheim mit der Kontroverse um Las Casas
einsetzt und die normative Frage der Gleichheit einschärft, um
danach die eurozentrische Sicht durch das Konstrukt des „glücklichen
Wilden" in Frage zu stellen, sind normative Fragen aufgeworfen
, die heute in der propagierten „einen" Welt und der öko-
'°gischen Krise von großer Bedeutung sind. Die meisten Beiträge
(u- a. zu Morgan, Bastian, Frobenius, Mauss, Sapir, Whorff, Ma-
•'nowski, Steward, White, Mead) erwecken jedoch den Eindruck,
a's sei die empirische Hinsicht und allenfalls durch sie die Frage
nach der kulturellen Evolution entscheidend geworden.

Der Sammelband ist ein interessantes Nachschlage- und Infor-
mationswerk, aber er hält seine theoretischen Implikationen und
damit auch seine Gesprächsangebote an Nachbardisziplinen
eher verborgen. Hätten die verschiedenen Autoren vielleicht vor
der Abfassung ihrer Beiträge eine Anzahl von Fragestellungen gebraucht
, die eine umfassendere gemeinsame Perspektive hätte
entwickeln helfen können? Verweise und Personenregister bewei-
Sen darüber hinaus, daß Lücken entstanden sind (z. B. im Blick
auf die Behandlung von Franz Boas und Ruth Benedict).

Seit die „Soziobiologie" mit ihrer Evolutionsauffassung auf
d'e Kulturgeschichte und besonders auf die Ethik übergreift,
"fauchen die historischen Wissenschaften und auch die Theologe
eine genaue und kritische Einschätzung des Gegenstandes der
ethnologisch orientierten Kulturanthropologie. In dieser Hin-
S|eht hat der Rez. mehr von dem Sammelband erwartet.

Bochum Christofer Frey

Praktische Theologie: Homiletik

Jörns, Klaus-Peter [Hg.]: Karwoche, Osterzeit, Pfingsten, Trinita-
t's. Predigtmeditationen zu Textreihen aus Johannes und der
Apostelgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
l99l. 191 S. 8°. Kart. DM 35,-.

Nach „Markuspassion - Hiob - Jona" (1985) und „Advent,
Weihnachten, Epiphanias" (1987) widmet sich nun dieses 3. Beiheft
der GPM Textreihen aus dem Johannesevangelium und der
Apostelgeschichte. Gedacht ist - lt. Vorwort des Hg.s - noch an
ein Heft zu Gestalten der Bibel für die Trinitatiszeit. Dann
stünde ein kompletter Jahrgang mit einer alternativen Textreihe
zur Verfügung. Die meisten der in unserem Band behandelten
Texte kommen schon an verschiedenen Stellen in der OPT vor.
Der Reiz besteht hier darin, diese Texte einmal in ihrem biblischen
und in einem kirchenjahreszeitlichen Zusammenhang predigen
zu können.

Der erste Teil zu den Johannestexten wird vom Herausgeber
Klaus-Peter Jörns selbst eingeleitet. Anstelle einer exegetischen
Einführung wie in den früheren Bänden geht es Jörns hier um die
liturgische und kerygmatische Gestaltung der Karwoche (9ff).
Ausgehend von liturgiewissenschaftlichen Überlegungen unterbreitet
er einen „Plan" für die einzelnen Tage des „Kleinen Kirchenjahres
" von Palmarum bis Ostermontag. Jörns ist davon
überzeugt, daß „diejenigen, die das Triduum sacrum, ja mehr
noch: die eine liturgisch durchdachte Karwoche einschließlich
des Triduum miteinander feiern, in das Zentrum des Glaubens
geführt werden" (13).

Der Vorschlag entspricht durchaus spürbaren Bedürfnissen innerhalb
der Gemeinden. Er sollte ernsthaft geprüft werden -
auch wenn zunächst nur kleine und wechselnde Teilnehmerzahlen
, vor allem an den Wochentagen, zu erwarten sein werden.

Unter dem Titel „Vom Kirche-Werden und Kirche-Sein" führt
dann Karl-Heinrich Bieritz den zweiten Teil zu den Acta-Texten
ein (99ff). Gegenwärtig-hautnahe Erfahrungen mit der Kirche
und lukanischer Bericht vom Anfang werden in erregender Weise
in Beziehung zueinander gesetzt. Die ganze Problematik der
evangelischen Kirchen nach der Wende wird hier mit wenigen,
kräftigen Strichen dargestellt. Über dem „ Aufbau einer leistungs-
und konkurrenzfähigen Angebots- und Servicekirche" drohe die
jetzt anstehende eigentliche Aufgabe, nämlich die „Ekklesioge-
nese, das Kirche-Werden der gewordenen Kirche", versäumt zu
werden. Bieritz deutet an, in welche Richtung zu denken sei,
damit die lukanischen „Lesarten vom Ursprung der Gemeinde
... wirkkräftig bleiben" (110).

Die Meditationen zu den beiden Textreihen ordnen sich den
jeweiligen Einführungen auf lockere Weise zu. Ein Gesamtzusammenhang
ist erkennbar, ohne daß dadurch die persönliche
Handschrift eines jeden der 19 Autoren verloren ginge.

Als Rez. ist man gewiß ein untypischer Leser dieses Buches.
Man verschlingt in einem Zuge, was portionsweise genossen und
verarbeitet werden will. Aber man bekommt so einen guten Begriff
vom theologischen Gehalt und hermeneutischen Einfallsreichtum
. Wer zu predigen hat, wird das eine mal mehr, das andere
weniger angeregt sein, aber doch selten leer ausgehen, auch
wenn die homiletischen Hinweise ihn/sie nicht Uberzeugen.

Besonders beeindruckt hat mich Dieter Nestles Karfreitagsmeditation
zu Johannes 19, 1-22. Anstelle einer Predigthilfe gibt er
exegetisch-theologisch begründete Hinweise für das angemessene
gottesdienstliche Lesen dieses großen Textes. Es ist erstaunlich
, was einem dabei aufgehen kann.

Wenn ich noch einige Meditationen besonders hervorheben
soll, fällt die Wahl schwer: vielleicht Rolf Zerfaß' aus Liturgie-
und Religionsgeschichte gespeiste Karsamstagsmeditation (Des-
census ad inferos) oder Luise Schottroffs feministisch-sozialgeschichtliche
Auslegung von Apostelgeschichte 16, 14-40 (Komm
in mein Haus) oder Rudolf Bohrens pfingstbewegte Interpretation
der Areopagrede (Apostolischer Zorn). - Aber dies ist nun
wirklich eine beinahe zufällige Auswahl aus der Zahl der Autoren
mit so unterschiedlicher Prägung.

Dem Hg. gebührt Dank für Konsequenz und Phantasie, die
diese Hilfeleistung zur Predigt und Gottesdienstgestaltung er-