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Ausgabe:

1992

Spalte:

39-41

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hampel, Volker

Titel/Untertitel:

Menschensohn und historischer Jesus 1992

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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Interpretation, UTB 104, 1972. Unausgesprochen ist das die Voraussetzung
fast aller neueren Bibelkommentare.

" Manfred Frank, Das individuelle Allgemeine 351.

12 Interpretative Hypothesen sind stets motiviert oder motivierbar und
können anders weder Geltung beanspruchen noch kommunikativ sich
durchsetzen (wie sie es doch von Tag zu Tag tun). Ist die Aufgabe des Ver-
stehens, wie Schleiermacher sagt, nicht mechanisierbar', so bleibt sie
doch, wie jede vernünftige Hypothese im Bereich der exakt genannten Wissenschaften
, einerseits begründbar, andererseits rechenschaftsfähig."
(M. Frank, NeoStrukturalismus 567).

Hampel, Volker: Menschensohn und historischer Jesus. Ein Rätselwort
als Schlüssel zum messianischen Selbstverständnis
Jesu. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1990. XIV,
418 S. gr. 8!Lw. DM 68,-.

Das hier anzuzeigende Buch ist das Ergebnis jahrelanger, aus
existentieller Betroffenheit erwachsener Bemühungen um das
messianische Selbstverständnis Jesu. 1982 legte der Autor eine
von Otto Betz/Tübingen betreute Dissertation „Menschensohn
und historischer Jesus " vor, deren erhebliche Weiterführung nun
im Druck erschienen ist. Die Grundthese des Buches läßt sich so
zusammenfassen: Jesus gebrauchte „Menschensohn" (bar ana-
scha) bewußt als ein Rätselwort, das ihn als den zunächst verborgenen
, weithin unerkannten Messias designatus bezeichnete, der
seiner Herrlichkeitsoffenbarung (Inthronisation) als Messias in
Macht entgegensah, wobei erst in der zweiten Periode seines Wirkens
- nach der Erfahrung weitgehender Ablehnung - die persönliche
Leidensgewißheit in sein Bewußtsein trat. Daß Jesu Messia-
nität eine futurische war, hatte bereits 1901 Albert Schweitzer zu
zeigen versucht, dessen Schrift „Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis
" freilich nicht einmal im Literaturverzeichnis erwähnt
wird. Zwischen Designation und Inthronisation des Messias
unterschied ganz ähnlich schon Martin Dibelius in seinem
Jesus-Buch (Göschen Bd. 1130, 2. Aufl. 1949, 85). Die Grundthese
ist also nicht ganz neu, erfährt aber nun bei H. eine so bisher
nicht vorliegende ausführliche Darlegung und Begründung.
Dabei spielen detaillierte literarkritische Untersuchungen zu
Echtheit bzw. Unechtheit und zur Urgestalt einzelner Jesuslo-
gien sowie immer neue Exkurse eine erhebliche Rolle. Vor dem
Leser ersteht ein scharfsinnig aufgeführtes Hypothesengebäude,
das die Rekonstruktion des historischen Selbstverständnisses
Jesu zum Inhalt hat. Aufgabe dieser Rezension kann es nicht
sein, den einzelnen literarkritischen Operationen nachzugehen.
Es muß genügen, die Struktur der Rekonstruktion deutlich zu
machen.

H. beginnt sachgemäß mit der Untersuchung der alttestament-
lich-jüdischen Menschensohnüberlieferung(7-48). Das Bildwort
„wie ein Menschensohn" Dan 7,13 erweist sich als Kollektivbegriff
für das eschatologische Israel, als originale Schöpfung des
aramäischen Daniel, ohne traditionsgeschichtliche Vorstufe. Erst
die Bilderreden des Henochbuches machen daraus eine individuelle
Richtergestalt, indem sie den „Erwählten" und damit den
Messias als Menschensohn bezeichnen. Jesu Rede vom Menschensohn
hat weder mit der Daniel- noch mit der Henochtradi-
tion etwas zu tun, wie es denn eine explizite Menschensohndog-
matik in der jüdischen Theologie überhaupt nicht gegeben hat.

Innerhalb der synoptischen Menschensohnüberlieferung wendet
sich H. mit Bedacht zuerst den „Logien von der zukünftigen
Hoheit des Menschensohns" zu (49-187). Hier fallen wesentliche
Sachentscheidungen. Als authentisch jesuanisch erweisen
sich zunächst die gemeinsamen Q-Vorlagen von Lk 17,24/
Mt24,27 („wie der Blitz, so wird der Menschensohn sein") und
von Lk 17,26/Mt24,37 („wie die Tage Noahs, so wird der Menschensohn
sein"). Die beiden parallel formulierten Worte zielen
weder auf Kreuz noch Auferstehung noch Parusie, sondern auf

die von Jesus erwartete Inthronisation als Messias, womit indirekt
„ Menschensohn" als verhüllende Chiffre für Jesu messianischen
Sendungsauftrag erwiesen ist. Mit der jüdischen Vorstellung
von der Verborgenheit des Messias ist Jesus zeitgeschichtlich
zugleich die Erwartung des Messias designatus vorgegeben.
Gleichfalls auf die messianische Inthronisation Jesu, nämlich auf
seine weltweite Anerkennung, zielt die ursprüngliche Gestalt des
Wortes vom Jonazeichen (Lk 1 l,29par). Doch auch alte Logien
ohne den Menschensohnbegriff wie Mt8,llpar, Lk 13,31 und
Lk 22,28-30par, ebenso Ereignisse wie Jesu Einzug in Jerusalem,
die Tempelreinigung und selbst der Judasverrat wollen historisch
aus der Spannung von Designation und Inthronisation verstanden
sein. Als legitimer Messias designatus betont Jesus nicht von
sich aus seinen Messiasanspruch, sondern wartet auf die von
Gott festgelegte Stunde seiner Inthronisation auf dem Zion, mit
der die eschatologische Völkerwallfahrt verbunden sein wird. Als
rein futurische Größe erscheint der Menschensohn freilich - für
H.'s Konzeption unpassend - Lkl2,8. Hier hält H. das von
Mt 10,32f bevorzugte „ Ich" Jesu für ursprünglich. Der von Gott
inthronisierte Messias ist ja gerade nicht mehr Menschensohn.
Das sprachlich vieldeutige aramäische bar anascha bot sich Jesus
als Chiffre zur Umschreibung seines messianischen „ Ich" an, ein
Rätselwort für Außenstehende, das Jesu Sendungsgeheimnis andeutet
, aber noch nicht enthüllt. Die Rede vom „Kommen" des
Menschensohnes (Mk 13,26; Mkl4,62par) kann dann nur als
nachösterliche, von Dan7,13f beeinflußte Formulierung beurteilt
werden. Lediglich die Q-Form Lk 22,69 dürfte authentisch
sein. Erst die Urkirche spricht differenzierend von Auferstehung
und Parusie. Vielhauers Hinweis auf die Unverbundenheit von
Reich Gottes und Menschensohn in der Logientradition wird abgetan
mit dem Hinweis, daß es sich inhaltlich und strukturell um
„Parallelsymbole" handelt. „Menschensohn" meint schon bei
Jesus nicht einen anderen, sondern ihn selbst.

Nachdem H. so vier authentische Logien über die zukünftige
Hoheit des Menschensohns herausgearbeitet hat, fragt er weiter
nach ursprünglichen „Logien von der gegenwärtigen Hoheit des
Menschensohns" (188-211). Zu dieser Gruppe rechnet er
Mk 2,1 Opar und Lk 19,10. Mk 2,28 ist zwar jesuanisch, aber nicht
jesusbezogen gemeint. - An dritter Stelle untersucht H. die „Logien
von der gegenwärtigen Niedrigkeit des Menschensohns"
(212-245). Als jesuanisch diskutiert werden Mt 1 l,19par (in ursprünglicher
Einheit mit V. 16-18) und Mt8,20par. Beide Texte
kündigen schon das Scheitern der Sendung Jesu und damit das
Leiden des Menschensohns an, womit ein „Offenbarungsfortschritt
" in der Erwartung Jesu erreicht ist. Erwartete Jesus anfänglich
die Bekehrung von ganz Israel und den bruchlosen Übergang
von seiner verborgenen Wirksamkeit zu seiner Offenbarung
und Inthronisation als Messias Israels, so bestimmt ihn nun die
Einsicht, „daß Gottes Heil nur über den Tod seines Messias
führt" (241).

Logischerweise folgen als vierte Gruppe die „Logien vom Leiden
und von der Auferstehung des Menschensohns" (246-342).
Als gewiß gilt, daß Jesus jetzt mit seinem gewaltsamen Tod, aber
ebenso mit dem Kollektivleiden der Jünger rechnet. Sämtliche
Logien vom Leiden und von der Auferstehung des Menschensohns
entstammen freilich erst der hellenistischen Urkirche. Authentisch
ist nur Mk9,31b: „der Menschensohn wird in die
Hände der Menschen ausgeliefert" (Wortspiel!) und das Wort
vom Lösegeld Mk 10,45par, das als ursprüngliche Einheit älter ist
als die sekundäre Kurzform Lk 22,27, wobei (mit W. Grimm)
nicht Jes53,10, sondern Jes43,3-7 als alttestamentliche Grundlage
zu gelten hat. Jesus tritt an die Stelle der Heidenvölker, um
gerade so Israel zu retten. Das heißt: „der Tod Jesu ist ein stellvertretender
Sühnetod zugunsten derer, die seinen Ruf zur Umkehr
und sein Heilsangebot ablehnten" (341). Wie bewußt Jesus
über seinen Tod hinausblickte, lehrt schließlich der sog. eschato-