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Ausgabe:

1992

Spalte:

611-613

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch ; 58 (1991) 1992

Rezensent:

Koch, Ernst

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611

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

612

Eugippe: Vie de Saint Severin. Introduktion, texte latin, traduc-
tion, noteset index par P. Regerat. Paris: Cerf 1991.326 S. 8° -
Sources Chr&iennes, 374. FF 148,-.

Über die Fortschritte der Reihe „Sources Chrdtiennes" hat
ThLZ 117(1992) berichtet. Die Vita Severini beginnt mit Attilas
Tod 451 und bringt interessante Einblicke in die Völkerwanderung
, wie sie im Raum Passau in der 2. Hälfte des 5. Jh.s erlebbar
war. Geschrieben wurde die Quelle im Jahre 511 von Eugippius,
dem Abt des Klosters Lucullanum bei Neapel. Dem deutschsprachigen
Leser liegt diese Quelle in mehreren zweisprachigen Ausgaben
vor; die wichtigste war die von Rudolf Noll (Linz, 1947, erweiterte
Fassung Ostberlin 1963, nachgedruckt Passau 1981).

Es ist zu begrüßen, daß nun auch die französische Quellenreihe
diese Heiligenvita aufgenommen hat, obwohl im französischen
Sprachraum solche Heiligenviten reichlich vorhanden sind. Die
Einleitung geht auch auf die Deutung von Friedrich Lotter ein,
der im heiligen Severin einen ehemaligen römischen General vermutet
hatte (ThLZ 102,1977, 889-893). Dieser Ansicht wird mit
einiger Skepsis begegnet (96-102). Die Reihe der Editionen der
Vita Severini begann mit der von M. Welser, Augsburg 1595,
dem die Bollandisten und auch noch Migne folgen (MPL 62).
Mommsens Schulausgabe (Berlin 1898) wurde 1978 nochmals
gedruckt. Über die Textgeschichte, Manuskripte und Editionen
wird gründlich informiert (45-54), eine Bibliographie reicht bis
1982 (141-144). Danach erschien noch das Reclamheft 8285
(Stuttgart, 1986), das eine neue deutsche Übersetzung von Theodor
Nüsslein neben dem lateinischen Text der Vita Severini bietet
(ThLZ 112, 1987, 280).

GH.

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung. Im
Auftrag der Luther-Gesellschaft hg. von H. Junghans. 58. Jg.
1991. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. 210 S. 8°.
Pp. DM 44,-.

Die 7 thematischen Beiträge dieses Jahrgangs wenden sich
einer breiten Palette von Gegenständen zu:

Martin Kessler untersucht „Genealogische Beziehungen Martin
Luthers zu seinem Mansfelder Freundeskreis" (7-12) und
versucht, der Identifizierung von Personen näher zu kommen,
die in Luthers Korrespondenz als „Schwager" bzw. „affinis" auftauchen
. Dem dient eine Erörterung der Verwandtschaftsverhältnisse
dreier Namengruppen: der Meme-Gruppe, der Reinicke-
Gruppe und der Heidelberg-Gruppe. Als Ergebnis wird die
Verwandtschaft Luthers mit Wilhelm Reiffenstein, Nikolaus
Oemler und Hans Stelwagen über die Ehefrau von Jakob Luther
(Martin Luthers Bruder) und die Ehen von deren Schwestern erschlossen
, ferner die Verwandtschaft mit Hans Reinicke über
eine von Nikolaus Oemler vor 1517 geschlossene Ehe mit einer
Schwester von Hans Reinicke (und damit auch die Verwandtschaft
mit Philipp Drachstedt). Vermutet wird, daß Luthers Verschwägerung
mit Johann Rühel und Matthäus Ratzebergers Frau
über Peter Heidelberg und die zweite Ehe seiner Witwe gelaufen
ist, vielleicht durch eine frühe verwandtschaftliche Bindung mit
den Lindemanns, den mütterlichen Vorfahren Luthers.

Unter dem Titel „ Luther and the Opposition to Roman Law in
Germany" setzt sich Gottfried G. Krodel ausführlich mit dem
Buch von Gerald Strauss „ Law, resistance, and the State: the Opposition
to Roman law in Reformation Germany", Princeton
1986, auseinander (13-42). Die Hauptpunkte seiner Kritik an
Strauss bestehen in dessen Überzeugung davon, daß im Selbstverständnis
des Menschen des 16. Jh.s die religiöse Dimension
nicht existiert habe, und in der Vernachlässigung von Luthers

Voraussetzungen durch die Bestimmung der Beziehung von Gesetz
und Evangelium und der Zwei-Regimenten-Lehre durch
Strauss. So mißversteht Strauss Luther als sozialen Agitator.
Krodel analysiert zur Stütze für seine Kritik Luthers Begriff von
„Amtmann" im Gegenüber zum Umgang mit dem zugehörigen
Begriffsfeld in der Tradition.

In der Patristik setzt Helmut Felds Untersuchung „Jakob der
Lügner. Zur Auslegung von Gn 25,31 und 27,19.24 im 16. Jahrhundert
" an, die er über das Mittelalter bis zu Wendelin Steinbach
, Luther und Calvin weiterführt (43-63) und in der er darauf
aufmerksam macht, daß der Auslegungstradition dieser Texte gemeinsam
ist, daß sie sie in das Bezugsfeld von Glaube und Heil
stellt. In einem Ausblick stellt er fest, daß das Verhältnis von historisch
-kritischer und kirchlicher Exegese in der Neuzeit nicht
hinreichend durchdacht worden ist, was sich im Blick auf kritische
Themen (wie z. B. die Simonie) neutralisierend auswirkt.

Helmar Junghans schreibt über „ Die Wiedergabe diakritischer
Zeichen über dem ,u' in der Weimarer Lutherausgabe" (64-70).
Das Problem ergibt sich u. a. aus Luthers Autographen, aber auch
aus dem Umgang der Drucker des 16. Jh.s mit ihren handschriftlichen
Vorlagen und der Wiedergabe der Texte in WA. Die Folgerungen
für die Benutzer der WA-Texte werden übersichtlich zusammengestellt
.

Uwe Czubatynski geht in seinem Beitrag „Vier ,apokryphe'
Lutherworte und ihre Überlieferung" (71-74) Berichten und
Aufzeichnungen nach, die auf Mag. Bartholomäus Rieseberg jun.
zurückgehen und u.a. Aussagen Luthers referiert haben, die in
den Tischredensammlungen nicht enthalten sind.

„Reich Gottes und Apokalyptik bei Thomas Müntzer" ist
der Titel eines ursprünglich für den von S. Bräuer und H. Junghans
herausgegebenen Sammelband „Der Theologe Thomas
Müntzer" (Berlin/Göttingen 1989) vorgesehenen Beitrags von
Gottfried Seebaß (75-99). Er versucht, unter Aufnahme der Forschungsgeschichte
dem Zusammenhang von individueller Heilserfahrung
und umfassender Heilserwartung bei Müntzer, seinem
Verständnis der eigenen Gegenwart und seiner Zukunftserwartung
nachzugehen. „Man darf... im Sinne Müntzers den Prozeß
der Neuwerdung und Veränderung des einzelnen durchaus dem
der Neuwerdung der Christenheit und der Welt parallelisieren"
(83). Beides gehört spätestens seit dem Prager Manifest eng zusammen
, was auch der Grund dafür ist, daß sich bei Müntzer
keine Aussagen über den Zustand der Welt und des einzelnen
nach der Erneuerung finden. Sein Interesse wird verlassen,
„wenn wir nach dem fragen, was dieser Scheidung folgt" (84).
Apokalyptisch gedeutete Schrift und geschichtliche Erfahrung
bestätigen sich für ihn gegenseitig. Die „chiliastisch gedachte
Herrschaft Christi" vollzieht sich - von G. Seebaß in vier Komplexen
dargestellt - in der von Adam aufgehobenen und von
Christus wiederhergestellten und erneuerten Schöpfungsordnung
unter Voraussetzung der Erfüllung mit dem Geist. Diese
Konzeption vom Reich Gottes war es, die Müntzer gegen die
Wittenberger verteidigte.

Martin Brecht analysiert „ Die Predigt des Simon Haferitz zum
Fest der heiligen drei Könige 1524 in Allstedt" (100-112) als ein
Dokument dafür, wie in Allstedt unter Müntzers Einfluß gepredigt
worden ist. Es fehlt in der Predigt ein politisches oder soziales
Programm. Im Mittelpunkt steht der Appell an eine andere
Kirche und eine andere Verkündigung.

Im Blick auf den Rezensionsteil ist besonders auf die kritische
Besprechung des Registers zur WA durch H. Junghans aufmerksam
zu machen (121-124).

Die Lutherbibliographie hat mit 68 Druckseiten etwa den gleichen
Anteil am Gesamtumfang des Jahrbuchs wie in den letzten
Jahren. Hingewiesen sei auf den Vermerk (202), daß sich an der
Theologischen Fakultät Leipzig ein Katalog aller Titel der Lutherbibliographie
seit dem Jahrgang 24 (1957) befindet, der als