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Ausgabe:

1992

Spalte:

603-604

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerald

Titel/Untertitel:

Johann Leonhard Hug 1992

Rezensent:

März, Claus-Peter

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Seite 1

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603

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

604

noch zur Zeit der Abfassung der Briefe einen gewissen Einfluß
ausüben. Aber um hier weiterzukommen, müßten wir sehr viel
mehr über die verschiedenen theologischen Strömungen und
Kräfte innerhalb der Paulusschule wissen.

Erlangen Jürgen Roloff

Müller, Gerald: Johann Leonhard Hug (1765-1846). Seine Zeit,
sein Leben und seine Bedeutung für die neutestamentliche
Wissenschaft. Erlangen: Palm & Enke 1990. XIII, 292 S., 1 Taf.
8 = Erlangen Studien, 85. Kart. DM 46,-.

J. L. Hug darf ohne Zweifel als der bedeutendste Vertreter der
katholischen Bibelwissenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jh.s
angesehen werden. Seine von 1808 bis 1847 in vier Auflagen verlegte
und ins Französische und Englische übersetzte „Einleitung
in die Schriften des Neuen Testamentes" galt lange Zeit als Standardwerk
der katholischen Exegese und wurde auch von Vertretern
der historischen Kritik mit hohem Lob bedacht; seine Untersuchungen
zum Alter des Codex Vaticanus (erschienen 1810)
trugen entscheidend dazu bei, dieser Handschrift den ihr gebührenden
Platz in der biblischen Textkritik zu sichern; seine Streitschriften
gegen H.E.G. Paulus und D. F. Strauß weisen ihn als
weit über den Raum der katholischen Kirche hinaus wirksamen
kenntnisreichen Apologeten kirchlicher Positionen aus. In ihm
vereinigten sich hohe Gelehrsamkeit, aufgeklärte wissenschaftliche
Grundhaltung und Bindung an die kirchliche Tradition zu
einer Forscherpersönlichkeit, die in der katholische Exegese ihrer
Zeit ohne Vergleich war und die in ihrer nicht voll ausgeglichenen
inneren Spannung manches vorwegnahm, was erst in späterer
Zeit voll zum Tragen kam. Um so erstaunlicher ist es, daß Hugs
Name zwar bis in die neueste Zeit in allen einschlägigen Einleitungen
und Nachschlagewerken vermerkt ist, sein Lebenswerk
aber bislang noch keine monographische Bearbeitung gefunden
hat. Die hier anzuzeigende, bei O. Merk gearbeitete Erlangener
Dissertation von G. Müller füllt somit schon vom Thema her
eine für die Erforschung der katholischen Exegese des 19. Jh.s
durchaus schmerzlich empfundene Lücke.

Der Vf. nähert sich dabei verständlicherweise der Person Hugs
zunächst auf der biographischen Ebene (1-53): Er umreißt den
zeitgeschichtlichen Hintergrund seines Lebens, skizziert die
wichtigsten Stationen seiner Entwicklung und sucht anhand der
Freunde Hugs auch seinen geistigen Lebensraum näher zu erfassen
.

Die zweite Annäherung an Hug geschieht in einer ausführlichen
Darstellung seiner exegetischen Positionsbestimmungen
im Meinungsstreit der damaligen Bibelwissenschaft (54-137).
Der Vf. folgt dabei im wesentlichen der Gedankenfolge der
bereits erwähnten „ Einführung in die Schriften des Neuen Testament
" und akzentuiert völlig zu Recht Hugs Beitrag zur neutesta-
mentlichen Textforschung und seine Einschätzung des synoptischen
Problems. Es wird deutlich, daß Hug neben seiner
herausragenden Bedeutung als Erforscher des Codex Vaticanus
sich auch durch die Zuordnung einzelner Texte zu bestimmten
Textgruppen und die Herausbildung einer klaren Methodik im
Bereich der Textkritik einen Namen gemacht hat. Seine textgeschichtliche
Hypothese wirkte bis ins 20. Jh. nach und liegt im
Ansatz noch der von B. H. Streeter (The four Gospels, London
1926) vorgetragenen Theorie von den verschiedenen „lokalen
Texten" zugrunde. In der Synoptikerforschung setzte sich Hug
„als erster römisch-katholischer Bibelwissenschaftler kritisch
mit der zeitgenössischen protestantischen Forschung auseinander
" (78) und sucht seinerseits eine der kanonischen Aufreihung
entsprechende entstehungsgeschichtliche Zuordnung der Evangelien
zu begründen: Dabei erscheint Markus als „Revisor" des
Matthäus und Lukas als „Revisor" von Matthäus und Markus;

Johannes wiederum hat alle drei Synoptiker vor Augen. Bemerkenswert
ist, daß Hug dabei ein bereits auf die redaktionsgeschichtliche
Fragestellung vorausweisendes Interesse an den Intentionen
der einzelnen Evangelisten erkennen läßt. Bei der
Einschätzung der Paulusbriefe, der katholischen Briefe und der
Apokalypse sucht er im wesentlichen die traditionellen kirchlichen
Positionen zu begründen, was der Vf. eindrücklich durch
die Darstellung der Kontroverse zwischen Hug, Schleiermacher
und Eichhorn über die Echtheit der Pastoralbriefe illustriert.

Eine dritte Annäherung an Hug versucht der Vf. schließlich anhand
der Streitschriften gegen H.E.G. Paulus und D.F. Strauß.
Hier arbeitet er in besonderer Weise jene Spannung in der theologischen
Position Hugs heraus, in der er „die Grundproblematik"
seiner „gesamten exegetischen Arbeit" sieht: „Immer wieder
zeigt sich die Spannung zwischen einer streng historischkritischen
Arbeitsweise und einer der kirchlichen Lehrtradition
verpflichteten Apologetik". (180) Bedeutsam sind in diesem
Sinne auch die abschließenden Überlegungen zu den „Möglichkeiten
und Grenzen römisch-katholischer Exegese aus der Sicht
Hugs ".(181 -186) Er hält fest: „ Für Hug steht fest: Eine wertfreie
Bibelkritik kann und darf es nicht geben... Historische Kritik
hat... da ihre Grenze, wo die Substanz christlichen Glaubens auf
dem Spiel steht. Es ist deshalb nicht leicht, ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen christlichem Verantwortungsbewußtsein und
kritischem Forschungsgeist zu finden."

Zu erwähnen ist das im Anhang gebotene vollständige Schriftenverzeichnis
Hugs einschließlich der zahlreichen Nachlaßmanuskripte
(259-267).

Die vorliegende Studie stellt ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag
zum Werk J. L. Hugs dar. Die von ihm vertretenen Positionen
sind eingehend dargestellt, die zeitgenössiche Einschätzung
seiner Arbeiten weitreichend dokumentiert und ihre Auswirkungen
auf die neuere Exegese im einzelnen herausgearbeitet. Darüber
hinaus bietet die Studie einen wichtigen Einblick in die Probleme
der katholischen Bibelwissenschaft in der ersten Hälfte des
19. Jh.s. Weiter ausgreifende theologiegeschischtliche Überlegungen
hätten dabei vielleicht die Bedeutung Hugs im Hinblick
auf die weitere Entwicklung der Bibelwissenschaften in der katholischen
Kirche noch schärfer profilieren können. Denn was
bei Hug noch als Spannung zwischen wissenschaftlicher Methodik
und Bindung an kirchliche Lehrvorgaben zutage tritt, verdichtete
sich später zum reflektierten Bemühen um den nur instrumentalen
Gebrauch der historisch-kritischen Methode und
ihre hermeneutische Integration in den übergreifenden Rahmen
kirchlicher Schriftauslegung. Diese Hinweise wollen freilich den
Wert der Studie nicht schmälern, sondern auf ihre Weise anzeigen
, daß der Vf. einen Mann in Erinnerung gebracht hat, dessen
Lebenswerk in besonderer Weise nach dem hermeneutischen
Horizont der Schriftauslegung fragen läßt.

Erfurt Claus-Peter März

Murphy-O'Connor, Jerome: The ficole Biblique and the New Testament
: A Century of Scholars ship (1890-1990). With a Con-
tribution by J. Taylor. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag;
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990. VIII, 199 S., 6 Taf-
gr.8° - Novum Testamentum et Orbis Antiquus, 13. Lw. SFr
29,-.

Die Ecole Biblique, die älteste unter den im Heiligen Land errichteten
bibelwissenschaftlichen Lehrstätten konnte im Herbst
1990 ihr hundertjähriges Bestehen feiern. Sie ist Gründung der
französischen Dominikaner, noch vorder Modernismuskrise installiert
und von ihnen mit Geschick durch die Fährnisse zweier
Weltkriege und des Nahostkonflikts geleitet. So war guter Anlaß
gegeben, nicht nur mit einem Festakt, sondern auch mit einer ü-