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Ausgabe:

1992

Spalte:

596-598

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ohnesorge, Stefan

Titel/Untertitel:

Jahwe gestaltet sein Volk neu 1992

Rezensent:

Osswald, Eva

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

596

Altes Testament

Brueggemann, Walther: Interpretation and Obedience. From
Faithful Reading to Faithful Living. Minneapolis: Fortress
Press 1991.X, 325 S. 8°.

Das Buch ist einerseits eine Kollektion von verschiedenen Vorträgen
und Aufsätzen, fast alle aufgrund von besonderen Einladungen
entstanden. Dennoch ist andererseits der Titel keine
Floskel, sondern Ausdruck des Programms des Autors. Interpretation
und Gehorsam benötigen und bedingen einander. Jede Interpretation
, die das Wort zum Leben bringen will, muß ein Gehorsamsakt
sein; ebenso muß der Gehorsam, der die Intention
der Bibel befragen will, ein Interpretationsakt sein. B. stellt diese
hermeneutische Regel zudem sogleich in eine besondere Perspektive
: „Gehorsame Interpretation im sozialen Kontext der westlichen
Kirche heißt erkennen, wie die Bibel eine Welt autorisiert,
hervorruft und gestaltet, die eine Alternative zur tödlichen Welt
unseres vorherrschenden Wertesystems ist". Das Buch ist also erklärtermaßen
zugleich auch kirchen-, kultur-, zivilisations-, ge-
sellschafts- und zeitkritsch. B. fühlt sich besonders zwei Autoren
verpflichtet: Paul Ricceur „in seinen Studien der emanzipatori-
schen Kraft biblischer Texte" und Michael Walzer in seiner kritischen
, subversiven Reflektion unseres Moralsystems. Mit beiden
stellt er die Zehn Gebote ins Zentrum der Ausführungen.

B. teilt sein Buch in vier unterschiedlich lange Abschnitte:

I. Interpretation als Gehorsamsakt (9-142), sechs Aufsätze),
II. Interpretation und Gehorsam (145-158, ein Beitrag zum Dekalog
), III. Gehorsam als Interpretationsakt (161-310), wieder
sechs Aufsätze), IV. Ein kosmischer Kontext für Interpretation
und Gehorsam (313-321, ein Beitrag zu Jer 4,23-28; Jes 45,18-
22; Luk 6,21-31 mit dem Titel „Kosmische Verletzung - persönliche
Möglichkeit"), insgesamt also 14 Nummern. Den Schluß
bildet ein Bibelstellenverzeichnis (322-325).

B., Alttestamentler am Columbia Theological Seminary, Atlanta
, befaßt sich erwartungsgemäß vorwiegend mit atl. Texten.
In der Regel geht er von einem Aspekt heutigen Weltverstehens in
Verbindung mit verschiedenen Wissenschaftszweigen aus und
beleuchtet ihn von bestimmten Texten und Themen der Bibel
her. So untersucht er in Aufsatz 1 aus der Perspektive von Hiob
und DtJes „Gesundheit jenseits von Realismus und Autismus",
in 2 das Verstehensproblem („Traditionen der Gewißheit") aus
der Sicht der „subversiven, transformativen" Elisa-Erzählun-
gen; in 3 aufgrund von 2 Kön 18-19 u.a. Texten die Legitimität
einer Insider-Sprache, von der aus man erst mit der dominierenden
Außenwelt ins Gespräch treten kann. In Aufsatz 4 geht es um
„das transformative Potential einer öffentlichen Metapher"
nach Jes 37, 21-29, nämlich um den „Bund" im Sinn des souveränen
Regiments Gottes. Beitrag 5 stellt gegenüber: „Die falschen
Götter (Ägyptens) werden durch falsche soziale Arrangements
von Macht und Gütern geschaffen und unterstützt -
der wahre Gott (Jahwe, Geber von Gerechtigkeit und Freiheit)
fördert soziale Arrangements von Mitgefühl und Fürsorge", das
erfolgt anhand des Deuteronomiums als „re-reading" des
„Skripts" der Exoduserzählungen. Aufsatz 6 behandelt „Kanonisierung
und Kontextualisierung"; „Kanon" ist keine „settled
truth", sondern ein andauerndes Gespräch, das soziologisch im
Kontext des Widerstreits zwischen „Grenze/Grenzbereich" und
„selbstgefälligem Zentrum" anzusiedeln ist. Aufsatz 7 (über den
Dekalog) wendet sich an Prediger und betont „die entscheidende
Relation zwischen Exodus und Sinai, zwischen Befreiung und
Bindung". Aufsätze 8-9 sind an Seelsorger gerichtet und befassen
sich mit „Gesundheit" im christlich-sozialen Kontext bzw.
mit dem Problem der durch Institutionen monopolisierten Wirklichkeitskonstruktion
. In Beitrag 10 (aber auch sonst) betont B.
die Wichtigkeit einer Liturgie, hier der Freiheit in der

Exilssituation (Jer 29-33; Jes 40-55; Ps 33 u.a.). Aufsatz 11 ist
überschrieben mit „Land: Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit",
auch als „Sexualität und Wirtschaft" interpretiert; beide modernen
Probleme - die Relation der Geschlechter zueinander und
die Beziehung zum Boden/Ackerland - bedürfen der gemeinsamen
Lösung. Auch Nr. 12 befaßt sich mit der Land-Krise, diesmal
in Relation zum „Urbanen Appetit". Beitrag 13 schließlich
(zu Nr. 14 s.o.) behandelt „das Willkommen für den Fremden".

Es gelingt B. vorzüglich, Bibel und Moderne, Text und heutige
Situation, die atl./ntl. Botschaft und zeitgenössische Wirklichkeitserfassung
miteinander ins Gespräch zu bringen. Sein Anliegen
ist ständig erkenntnistheoretisch geprägt: Wie nehmen wir
die Welt wahr, wie verstehen wir sie, was leitet bzw. behindert
uns dabei, was erfolgt aus unserer Interpretation bzw. was nicht?
Den biblischen Texten werden dabei überraschende Aspekte abgewonnen
(z.B. im Aufsatz 3 über die „Insider- Sprache". Bei
dem allen macht B. seinen eigenen Verstehenskontext sehr deutlich
, nämlich die heutige gesellschaftliche und kirchliche Situation
in Nordamerika. Sie wird ihm oft gerade zum „Ägypten" für
einen/den Exodus. Der genannten „Welt" stellt B. unter Berufung
auf die Bibel eine bessere, humanere gegenüber. Nicht
immer freilich wird deutlich, wie ersieh einen „Exodus" konkret
vorstellt. Eine Verbindung zwischen Zeitkritik und Bibelauslegung
kann bekanntlich leicht auch in Probleme geraten, nämlich
welcher der beiden Faktoren letztlich das überwiegende leitende
Interesse des Autors bestimmt. Das ist auch hier der Fall. Ein
Empfinden des u. U. Plakativen und Schematischen bei der Zeitkritik
kann sich beim Leser einstellen; ähnliches kennt man von
ökumenischen u.ä. Konferenzen. Natürlich ist solche Kritik am
Autor leicht, evtl. gar allzu leicht geschrieben; und doch sei sie
nicht verschwiegen, und zwar der Überzeugungskraft wegen. Erkenntnistheoretisch
sei die Rückfrage erlaubt, ob B.s Unbehagen
an bestehenden Zuständen für seinen eigenen Ansatz genügend
kritisch gewogen wurde. Das alles mindert nicht die Verdienste
des Buches: Die Legitimität der angerissenen Fragen, ihre Einbettung
in ein breites Spektrum philosophischer Wirklichkeitsfassung
, die Entdeckerfreude beim Achten auf die biblischen
Texte und den erklärten Willen zur praktischen Konsequenz.

Hamburg Wiard Popkes

Ohnesorge, Stefan: Jahwe gestaltet sein Volk neu. Zur Sicht der
Zukunft Israels nach Ez 11,14-21; 20,1-44; 36,16-38; 37,1-
14. 15-28. Würzburg: Echter 1991. XII, 457 S. gr.8° - Forschung
zur Bibel, 64. Kart. DM 56,-.

Bei dieser Publikation, die einem theologisch bedeutsamen
Thema, nämlich der Frage, wie es mit Israel als Gottesvolk nach
der Katastrophe von 587 v.Chr. weitergehen soll, gewidmet ist.
handelt es sich um die Dissertation des Vf.s, die von Prof. Df-
Josef Schreiner betreut und von der Katholisch-theologischen
Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Som-
mersemester 1990 angenommen wurde.

Wie der Vf. in der Einleitung ausführt, stellt er sich in einem ersten
Arbeitsschritt die Aufgabe, die „Wachstumsgeschichte vor
der Aufspaltung des hebräischen Gesamttextes des Buches Ezechiel
in mehrere Stränge aufzuspüren. Dazu werden die Texte,
nach ihrer Abgrenzung, daraufhin befragt, welche ihrer Teile i"
einem syntaktischen, sprachlichen, gedanklichen Duktus blc
ben, wo dieser aufgehalten, unterbrochen, verlassen wird, sich
ein neues Thema, eine andere Begrifflichkeit zeigt" (2). Bei dC
Untersuchung der Einheitlichkeit der Texte werden frühere Fof-
schungsergebnisse, vor allem von Zimmerli, Simian, Hossfeld
und Levin (vgl. das Literaturverzeichnis) herangezogen. Art*
Schluß wird versucht, eine relative Chronologie der Schichtungen
aufzustellen.