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Ausgabe:

1992

Spalte:

593-594

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Younger, K. Lawson

Titel/Untertitel:

Ancient conquest accounts 1992

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 8

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Vounger, K. Lawson: Ancient Conquest Accounts. A Study in An- in chapters 10 and 11, the over-all transmission code in chapters
cient Near Eastern and Biblical History Writing. Sheffield: 9-12 is very similar to what we have witnessed already in the
JSOT Press 1990. 392 S. 8 - Journal for the Study of the Old ancient Near East." (199) Die Beobachtung dieses "ancient
Testament, Suppl. Series 98. Lw. £ 35,-. Near Eastern transmission code" (220 u.ö.) oder auch nur wichtiger
Teile davon in Jos 9-12 ist für den Vf. das entscheidende
Die Untersuchung setzt sich zum Ziel, die literarischen Techni- Kriterium für die Beurteilung der Texte. Mit Verweis auf diesen
der einschlägigen Berichte zu erheben und damit eine "new sen Befund begründet er die originäre Stellung von Jos9 im
dose reading" (11) des biblischen Textes zu verbinden. Sie setzt, gegenwärtigen Kontext und die Zuordnung des Kap.s zur Ge-
wie oft in derartigen Arbeiten, mit dcfinitorischen Klärungen Schichtsschreibung, erklärt er die Wunder von Jos 10,11-15,wi-
e'n, die mit vielen Referenzen zu theoretischer Literatur und mit derspricht er dem angenommenen ätiologischen Charakter von
zahlreichen Zitaten aus dieser angereichert sind. Zum Phänomen Jos 10,16-27 sowie der redaktionellen Herkunft von Jos 12. Auf
«Geschichtsschreibung" bemerkt der Vf., daß diese von ihrer re- der „ideologischen" Ebene ergeben sich augenfällige Analoga
'•giösen und kulturellen Einbettung bestimmt, nicht objektiv, zwischen den israelitischen und den altvorderorientalischen Besondern
immer "figurative" (45, ein Lieblingswort der Arbeit) richten; ähnlich sind die Perhorreszierung der Feinde, die „Ideo-
sei und nicht in streng chronologischer Weise dargeboten sein logie des Terrors" (bzw. der "calculated frightfulness", 233) und
muß. Nicht nur Israel, sondern auch die anderen altvorderorien- die Betonung der Rache.

'alischen Kulturen hätten eine wirkliche Geschichtsschreibung Ein letzter Hauptteil ("Synthesis") greift im Horizont dieser

gekannt und geübt, so daß ein Vergleich der entsprechenden Erkenntnisse einige grundsätzliche Probleme auf. So behauptet

Texte sinnvoll und notwendig sei. So ergibt sich der Aufbau des der Vf., daß Jos 9-12 eine erzählerische Einheit, keineswegs eine

Buches: Vergleich der altvorderorientalischen Eroberungsbe- Komposition aus mehreren unabhängigen Traditionen, sei. Jos

richte miteinander, dann Betrachtung des Komplexes Jos 9-12 9-12 zeichne keineswegs im Gegensatz zu Ri 1 das Bild einer

■m Lichte der gewonnenen Ergebnisse. Als Methode wird der se- vollständigen Landeseroberung. Die in diese Richtung verwei-

miotische Zugang gewählt. senden Ausdrücke („das ganz Land" u.a.) seien hyperbolisch ge-

Die assyrischen Berichte ordnet der Vf. (mit M. Liverani)dem meint. Jos 9-12 und Ri 1 seien jeweils selektive Bereiche. In ähn-

„imperialistischen Typ" zu. Auch die religiösen Züge dienten licher Weise sei „ganz Israel" in Jos 9-12 nicht als Argument für

dem ideologischen Zweck. Sodann werden die einschlägigen Be- eine „gesamtisraelitische Redaktion" zu gebrauchen, sondern als

richte und verwandte Texte (von Tiglat-Pileser I. bis Sanherib) Synekdoche zu interpretieren. Ebensowenig verwiesen Summa-

vorgeführt und einer syntagmatischen Analyse (mit zahlreichen rien auf redaktionelle Arbeit, da sie sich auch im Vergleichsmate-

Ubersichten und Tabellen) unterzogen. Dabei ergibt sich, daß die rial aus der Umwelt fänden. Die Widerspiegelung der „imperiali-

Texte eine Fülle von Funktionen und stereotypen Syntagmen stischen Ideologie" des Alten Vorderen Orients in den atl. Texten

aufweisen, die zusammen den „figurativen" Charakter der Be- bereitet schließlich Schwierigkeiten für die "peasant revolt"-

nchte ausmachen. "The patterning of syntagms produces an 'ite- Theorie und das Bild eines egalitären, bäuerlichen Israel. In die-

rative scheme' which, in turn, produces a 'high-redundance mes- sem Zusammenhang kritisiert der Vf. mit Recht, daß bei diesem

sage' expressing the ideology of the inscriptions." (123) Dadurch und anderen Modellen subjektive archäologische Rekonstruktio-

S°H ausgedrückt werden: Der assyrische Großkönig führt den nen dominieren, während dem biblischen Text nur noch sekun-

^eldzug, um die Ordnung wiederherzustellen, die der Feind ge- däre Bedeutung zukommt. Freilich räumt er auch ein, daß eine

s,ört hat. Die Unterwerfung des Gegners bzw. der Gegner ist Datierung der betreffenden biblischen Texte von seinen Beob-

daher der entscheidende Moment im Bericht. achtungen her nicht möglich sei, da der altvorderorientalische

Ein ähnliches Bild erbringen die hethitischen Berichte, die "transmission code" der Eroberungsberichte die Zeit von ca.

erjenso auf ihren „ideologischen" Gehalt und ihre literarischen 1300-600 v.Chr. abdeckt.

Strukturen untersucht werden. Sie zeigen zwar weniger die assy- Besonders in der Interpretation der atl. Texte wird fühlbar, daß

nsche „Ideologie des Terrors", weisen aber in dem stereotypi- der Vf. seinen Interpretationsrahmen weit überzieht und die

s,erten Gebrauch der Syntagmen im wesentlichen dieselben Phä- Tragweite seiner Erkenntnisse erheblich überschätzt. Wie er al-

nornene des „literative scheme and high-redundance message" lein von den Vergleichsdata her zu seinen negativen literarkriti-

('63) auf. sehen bzw. redaktionsgeschichtlichen Folgerungen kommen

Die ägyptischen Berichte werden in drei Hauptkategorien ein- kann, bleibt uneinsichtig und muß wohl auf eine in den eigenen

geteilt: in/M'.nt'-Texte, relativ kurze Berichte von Feldzügen, bei Voraussetzungen befangene Betrachtungsweise zurückgeführt

denen der Pharao nicht selbst die Armee führte, die /j/f/ivTexte, werden.

die auf Kriegstagebüchern von Schreibern beruhen, sowie die Den Eindruck methodischer Einseitigkeit vermitteln auch die

''^/ii'-Texte, die rein literarischen Charakter tragen. Es sind - wie Ergebnisse des Vergleichs der biblischen mit den altvorderorien-

kaurn anders zu erwarten - „figurative accounts" (189), die als talischen Texten: Die Übereinstimmungen werden stark hervor-

ehikel für die ägyptische „Ideologie" dienen. Letztere war ein gehoben, die Unterschiede aber (die nicht nur im Gebrauch der

b,näres und imperialistisches System. Der Pharao als Schützer wörtlichen Rede und der Person Jahwes bestehen) treten unge-

des Landes war der Garant der Ordnung, die der schlimme, seine bührlich zurück. Der gewählte methodische Zugang (syntegmati-

nferiorität überheblich verkennende Feind in Chaos zu verwan- sehe Analyse in Verbindung mit Ideologiekritik) bietet offen-

deln suchte. Die Feldzüge des Pharao hatten den Status quo wie- sichtlich ein zu grobes Raster für eine angemessene Behandlung

"^herzustellen. Die Texte benutzen rhetorische Stilmittel wie der Thematik. Sicher ist der vom Vf. geleistete Vergleich der ein-

d'e Hyperbel und die Metonymie. schlägigen Texte an sich dankenswert, und manch einer seiner

Der israelitische "conquest aecount" in Jos. 9-12 unterschei- Hinweise, z. B. auf die Verflochtenheit der israelitischen mit den

det sich von den altvorderorientalischen Seitenstücken vor allem altorientalischen Kriegsvorstellungen oder auf die unterschätzte

^arin, daß er unvergleichlich mehr direkte Rede aufweist. Anson- Rolle der Hyperbel im AT, ist wohl am Platze, aber insgesamt

jten kann als Ergebnis das gelten, was der Vf. der eigentlichen vermag die - wahrscheinlich zu breitflächig angelegte - Untersu-

..ritersuchung der Jos-Texte (die in einem Anhang in Text und chung nicht zu befriedigen, und die Anwendung ihrer Erkennt-

"ersetzung sowie mit syntagmatischer Bezeichnung und mit nisse auf das AT muß als verfehlt bezeichnet werden,
^'kritischen Anmerkungen geboten werden) vorausschickt:

while the syntagmic iterative scheme is encountered primarily Marburg (Lahn) Winfried Thiel