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Ausgabe:

1992

Spalte:

551-552

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Handbuch der Ostkirchenkunde 1992

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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Seite 1

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551

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 7

552

Nyssen, Wilhelm. Schulz Hans-Joachim, u. Paul Wiertz[Hg.]:
Handbuch der Ostkirchenkunde, I u. II. 2., völlig neu bcarb.
Aufl. Düsseldorf: Patmos 1984/89. XXXIV, 392 S. u. XX, 273
S. m. Abb. gr.8 . Lw. DM je 49,80.

Bereits das im Jahre 1971 von E. v. Ivänka (gest. 1974), J. Ty-
ciak (gest. 1973) und P. Wiertz herausgegebene „Handbuch der
Ostkirchenkunde" hatte sachkundig fundierte Kenntnisse über
die Ostkirchen vermittelt. Die von W. Nyssen, H.-J. Schulz und
P. Wiertz besorgte Neuausgabe setzte sich darüber hinaus zum
Ziel, die Ergebnisse des 1979 begonnenen katholisch-orthodoxen
Dialogs fruchtbar werden zu lassen. Und so stellt aus orthodoxer
Sicht Metropolit Damaskinos Papandreou in seinem Geleitwort
zum I. Band mit Genugtuung fest, daß in beachtlichem Maße
„gängige westliche Klischeevorstcllungen in den einst kontroversen
Fragen überwunden" worden sind.

Schon die Beiträge des I. Bandes wurden gänzlich neu verfaßt
oder wesentlich überarbeitet. Im I. Teil, „Einführung und Übersichten
" (3-46), bieten H.-J. Schulz und P. Wiertz nach einer
Einführung über „Die Ostkirchen: Begriff und Überlicfcrungsgc-
schichtliche Bedeutung" Übersichten über die Orthodoxe Kirche
, die Altorientalischen Kirchen ostsyrischer, westsyrischer
und alexandrinischer Überlieferung sowie die mit Rom unierten
Kirchen. Dem Abschnitt über die orthodoxe Kirche sind Ausführungen
über deren Aufbau. Recht und Verfassung vorangestellt.
Es wäre zu ergänzen, daß nicht alle orthodoxen Kirchen von
einem Partriarchen oder Erzbischof geleitet werden, sondern
einige von einem Metropoliten (10). Außerdem ist die traditionelle
Abtsbezeichnung Igümcn im Russischen zu einem Ehrentitel
innerhalb des Mönchsklerus geworden (II).

Den Schwerpunkt des I. Bandes bildet der „2. Teil: „Die geschichtliche
Entwicklung der Ostkirchen" (49-286). Hierin behandelt
H.-J. Schulz „Die Ausformung der Orthodoxie im byzantinischen
Reich" (49-132) mit Übernahme des Exkurses von
E. V. Ivänka über die Sakralität des Kaisertums und die Konkretisierung
der Idee des Gottesvolkcs. Schulz betrachtet kritisch die
spätere katholische Theologie, die die Lchrautorität der ökumenischen
Konzile durch die päpstliche Autorität autorisiert sah. -
P. Plank skizziert die geschichtliche Entwicklung der orthodoxen
Kirchen im Südosten (133-150) und Osten (150-208) Europas
einschließlich eines Exkurses über die orthodoxe Kirche Georgiens
. - W. de Vries charakterisiert „Die Altorientalischcn Kirchen
" (209-225) in ihrer jeweiligen Eigentradition und Sonderentwicklung
, danach „Die unierten Patriarchate des Nahen
Osten und das Uniatenproblem" (226-248). P. Wiertz behandelt
„Die Thomaschristen Indiens" (249-268). - Schließlich schildert
M. Lacko die „ Unionsbewegungen im slavischcn Raum und
in Rumänien" (269-286). - Natürlich waren beim Darlegen der
geschichtlichen Entwicklung die heutigen rasanten Wandlungen
noch nicht vorhersehbar. Doch lernt der Leser wichtige Voraussetzungen
kennen.

Der 3. Teil behandelt „ Dogma und Theologie" (298-392). Für
das von E. v. Ivänka stammende Kapitel über „Das Dogma der
Orthodoxen Kirche im Spiegel der wichtigsten Glaubensurkunden
" (289-320) hat Schulz eine neue Einführung geschrieben.
Den 3.Teil abschließend behandelt B.Schulze „Hauptthema der
neueren russischen Theologie" (321-392): die ckklcsiologischcn
Anschauungen Chomjakovs und Afanas'cvs. den Einfluß des Palamismus
, die Sophia-Lehre sowie drei Fragenkreise aus der
Christologie. nämlich die Lehre über Christus, über Maria und
über das Werk der Erlösung.

Die Neuausgabe wurde für zwei Bände angelegt. Im Vorwort
von Band II heißt es, daß sich damit die im Band I bekundete
„ Konzeption der im Geist der Ökumene gehaltenen Neuausgabc
des Werkes" verwirklicht: die „Bedeutung, die dem liturgischen
Leben der orientalischen Kirchen für ein ganzheitliches Verständnis
ihres Wesens zukommt, verlangt gegenüber der Erstausgabe
des Handbuchs von 1971 eine so weitgehende Neudarstellung
und Entfaltung, daß diesem Hauptteil ein eigener Band zu
widmen war... Auch unter ökumenischem Aspekt erschließt sich
die liturgische Überlieferung der Alten Kirche und der Ostkirchen
- bei all ihrer Vielfalt - immer mehr als Ausformung eines
die Identität der Kirche Christi wesenhaft mittragenden apostolischen
Erbes" (IX).

Gegenüber der Erstausgabe wurde ein neuer Beitrag von H.-J.
Schulz über „Die ältesten liturgischen Überlieferungen des
Ostens" (3-29) aufgenommen. Dabei geht der Vf. von seiner
Feststellung aus. daß für das jeweilige Kirchentum des Ostens die
eigene liturgische Überlieferung noch vorder Epoche der ökumenischen
Konzilien deutlich in Erscheinung tritt (4). Während es
in der von Chalkedon geprägten Reichskirche zur im 14. Jh. abgeschlossenen
Vereinheitlichung kam. führte die „alexandri-
nisch-ephcsinischc" Ausprägung der „monophysitischen" Kirchen
zur Entfaltung des jeweiligen Ritus als Ausdruck des
betreffenden Kirchcntums. Ebenso wie bei diesen Kirchen tritt
in der Liturgie der in deraltantiochenischen Tradition stehenden
„Ncstoriancr". als deren wirkliche Glaubenszeugen Theodor
von Mopsucstia und Diodor von Tarsus zu sehen sind, „der authentische
und durchaus rechtgläubige, wenngleich archaische
Ausdruck ihres Glaubens und ihrer Frömmigkeit" zutage (130-

Einige aus der Erstausgabe übernommene Kapitel wurden von
Schulz im Blick auf die Ergebnisse der neuesten Forschung überarbeitet
. Das gilt für das von Schulz selbst verfaßte Kapitel zur
Gottesdienstordnung des byzantinischen Ritus (30-100). das
von l.-H. Dalmais stammende Kapitel über „Die nicht-
byzantinischen orientalischen Liturgien" (101-140) und das
ebenfalls von Dalmais geschriebene Kapitel über „ Die Mysterien
(Sakramente) im orthodoxen und altorientalischen Christentum
" (141-181). das mit einer historischen Einführung über die
erst seit dem 13. Jh. von den verschiedenen Ostkirchen übernommen
Siebenzahl der Sakramente beginnt.

Angesichts der heutigen Relevanz wurde ein Kapitel von P-
Plank über „Zeitrechnung und Festdatierung als ökumenisches
Problem" (182-191) aufgenommen, das auf die heutige unterschiedliche
Praxis hinweist. Ergänzt werden könnte hierein Hinweis
auf das Praktizieren verschiedener Traditionen in Polen und
der Tschechoslowakei.

I. Totzkc behandelt unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten
„Die Musik der altorientalischcn Kirche" (192-
210) und anschließend, ebenfalls die Praxis der einzelnen Kirchen
unterscheidend. „Die Musik der Orthodoxen Kirche"
(211-235). - Im Bezug zum gottesdienstlichen Geschehen ergänzte
W. Nyssen sein Kapitel „Zur Theologie der Ikone" (236'
245) um den Beitrag „Das Bildprogramm des byzantinischen
Kirchenraums" (246-273). das durch die Abbildung und Erläuterung
von sieben Ikonen veranschaulicht wird.

Füreinen zusätzlich vorgesehenen III. Band mit den Themenkreisen
Spiritualität. Kirchenrecht und Ökumene wurden namhafte
orthodoxe Theologen zur Mitarbeit gewonnen.

Generell — nicht nur für dieses Handbuch - wäre anzufragen-
ob anstelle der in der Forschung üblichen Unterscheidung von
„orthodoxen" und „altorientalischcn" Kirchen für letztere <M*
im ORK eingeführte und ihrem Selbst Verständnis entsprechend*
Kennzeichnung als „orientalische orthodoxe Kirchen" benM*"
werden sollte. Bei aller sich durch die verschiedenen Vf. ergebenden
Unterschiedlichkeit, läßt sich die Neuausgabe des Handbuchs
der Ostkirchenkunde als ein Standardwerk bezeichnen-
das nicht nur umfassende Kenntnisse vermittelt, sondern durch
die reichhaltigen bibliographischen Angaben jedem Leser die
Möglichkeit zur eigenen Weiterarbeit bietet.

Berlin Han*-Dictcr Döpmann