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Ausgabe:

1992

Spalte:

542-545

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Weß, Paul

Titel/Untertitel:

Gemeindekirche - Ort des Glaubens 1992

Rezensent:

Hübner, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung I 1 7. Jahrgang 1992 Nr. 7

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Verkündigung genutzt werden könne. Es geht ihm also nicht um
die Präsenz der Kirche in den Massenmedien Hörfunk und Fernsehen
, sondern um die Kommunikationsstruktur kirchlicher Verkündigung
. Verkündigung ist für Pctkcwitz ein ganzheitlicher
Prozeß gemeindlicher Kommunikation, der Predigt, Gottesdienst
, Seelsorge und Diakonic integrierend umfaßt. Kann die
elektronisch vermittelte Kommunikation eher eine Ergänzung
sein oder sogar die personale Kommunikation in der Verkündigung
ersetzen?

P. kritisiert, daß in der Mcdicnpolitik der EKD diese Frage
nicht entschieden ist, weil die NIKT überwiegend als Fortsetzung
der Massenmedien verstanden werden. Ihre neue, andere Qualität
und ihre technische Bedeutung auf dem Weg zur Informationsgesellschaft
ist nicht erkannt. Ausnahme ist die EDK-Studie
(1985) „Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken
", die aber auch noch unvollständig ist. Ihr Mangel liegt jedoch
an dem ungenügenden Stand der Tcchnologicfolgcfor-
schung. Diese betrachtet z. Zt. isoliert einzelne Techniken und
fragt weniger, wie sich die Gesamtheit der NIKT auf die sozialen
Bezüge, die Erfahrungsräumc, die Lernworte, auf die kommunikative
Kompetenz des Einzelnen und seine Idcntitätsbildung
und -vergewisscrung auswirkt. NIKT sind universal verfügbar
Und universell einsetzbar, damit bleiben sie nicht auf die Arbeitswelt
begrenzt. Die technischen Rationalisierungsmöglichkeiten
ersetzen auch viele beiläufige Kommunikationsprozesse im All-
tag. die sog. lästige Routine. Die entscheidende Frage, ob das ein
Gewinn ist oder ein endgültiger Verlust menschlicher Erfahrungsräume
wird je nach dem anthropologischen Menschenbild
der Forscher unterschiedlich beantwortet.

Hier fragt Pctkcwitz nach. Bleibt es folgenlos, wenn ein Teilbereich
der personalen Interaktion (zwischenmenschlichen Beziehungen
) wie die täglichen Routinen ersetzt wird? Die Kom-
ruunikationstheorie weiß, daß die Routinen zur subjektiven
^irklichkeitssicherung, zur Vergewisscrung des Alltagswissens
Und zur Identitätsbestätigung dienen. Diese individuelle Bcdcu-
tUng gilt genau für die Gesellschaft: Gewohnheiten werden durch
^ersprachlichung anonymisiert und wandern in den kollektiven
^issensbestand ein. Diese beibehaltenen Handlungsmuster werden
im Rahmen der personalen Interaktion von Generation zu
Generation weitergegeben. Alle Formen der Kommunikation
^rauchen also die Bestätigung durch Routine. Die Ersetzung der
alltäglichen Prozesse hat negative Auswirkungen auf alle Kom-
tT|unikationsformcn. Elektronisch vermittelte Kommunikation
kann nicht ersetzen, was die personale Interaktion und die All-
ta8skomm unikation leisten.

Auch die Inhalte der christlichen Identität brauchen die Bcstä-
llgung in der Alltagswclt. Erfährt der Christ keine Bestätigung
durch andere, so verflüchtigt sich seine lebendige Wirklichkeit.
«Religion braucht religiöse Gemeinschaft, und Leben in der religiösen
Welt braucht Zugehörigkeit zur religiösen Gemeinde."
(Berger/Luckmann). Deshalb ist für Pctkcwitz die Gemeinde der
entscheidcnde Ort der Idcntitätsvcrgewisscrung der Christen.
Außerdem werden hier durch das alltägliche Miteinander die
christlichen Symbole bestätigt. Nur die personale Kommunikation
kann die christliche Identität bestätigen. Die verkündigende
Gemeinde muß der Ort personaler Begegnung sein und
b|eiben.

Unter den Bedingungen einer Informationsgcscllschaft. also
e|ner mediatisierten Gesellschaft, die zunehmend die Lernorte
Personaler Interaktion und Orte der Idcntitätsvcrgewisscrung
ernichtct, muß die Frage nach dem Gcmcindcaufbau im Mittel-
Punkt der Auseinandersetzung mit dem Verkündigungsbegriff
^tchcn. Das ist seine Schlußfolgerung: „Verkündigung in der ,ln-
Ormationsgcscllschaft' kann ... nur integrale und personale Ver-
undigung ... sein. Verkündigung in der .Informationsgcscll-
Schaft' heißt Predigt. Gottesdienst. Seelsorge und Diakonic als

Elemente eines identitätsstiftenden. ganzheitlichen Kommuni-
kationsgeschchens zu verstehen. Eine Erweiterung in Richtung
neue Informations- und Kommunikationstechniken stellt dieses
Kommunikationsgcschehcn in Frage, sie ergänzt es nicht."
Daher sollten NIKT nicht als Medien der Verkündigung verwendet
werden und auch nicht ihre Nutzung in der Kirche mit dem
Auftrag zu Verkündigung legitimiert werden.

Pctkcwitz weiß natürlich, daß auch in der Kirche NIKT gebraucht
und genutzt werden. Ihre Verwendung möchte er aber
auf notwendige Vcrwaltungsvorgänge und auf die Öffentlichkeitsarbeit
beschränken mit klaren medienpolitischen Rahmcn-
richtlinicn.

Abgesehen von seinem merkwürdigen Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit
(„Vermittlung von sprachlich-diskursiven Informationen
mit Neuigkeitswert für den Rezipicntcn") und seiner
Zustimmung zum Titel: „Verkündigung in der Mediengcscll-
schaft" (statt richtigerweise „Informationsgcscllschaft") fällt
Kritik schwer. Im Gegenteil: Pctkcwitz gibt einen notwendigen
Impuls, in der Kirche ein Medienkonzept und in der praktischen
Theologie ein Verständnis von Verkündigung zu reflektieren, die
beide die Bedingungen der Informationsgcscllschaft berücksichtigen
.

Hannover Peter Kollmar

Weß, Paul: Gemeindekirche - Ort des Glaubens. Die Praxis als
Fundament und als Konsequenz der Theologie. Graz-Wien-
Köln: Styria 1989. 716 S. gr.8 . Lw. ÖS 630.-.

Titel und Untertitel weisen die Innsbrucker Habilitationsschrift
, die der Vf. „nach 27jährigcr Tätigkeit" als katholischer
Priester in einer Großstadtgemeinde vorlegt, als praktisch-
theologische Veröffentlichung aus. Ihren Umfang begründet er
„mit der Tiefe und Reichweite der Fragestellung" (5f).

Gleich zu Beginn der „ Einleitung", die in einen Teil „ A. Fragestellung
und Gliederung" übergeht, hebt der Vf. den Satz von W.
Fürst hervor. Dessen Satz: „Immer mehr wird sich die Theologie
(wieder) bewußt, daß die christliche Wahrheit als solche nicht
allein theoretisch ausgewiesen und rein argumentativ überzeugend
vermittelt werden kann, daß sie vielmehr zugleich ... der
praktischen Vcrfikation bedarf", kann „auch über dieser Arbeit
stehcn"(21). Einen Ansatz sieht er bei H. Pcukcrt. der „die Theorie
und damit auch die Theologie auf eine bestimmte Praxis zurückgeführt
(25). Seine eigene Arbeit „soll ein Versuch sein",
„diesen fundamentalen praktischen Ansatz weiterzuführen und
daraus die Konsequenzen zu ziehen" (28). Welche, zeigt die
These an. „daß ... die lebendige Praxis der Gemeinden in
der Kirche nicht nur eine Konsequenz des Glaubens, sondern
auch der wichtigste existentielle Zugang zu ihm ist" (43). Ein entsprechendes
Vorhaben läßt sich „nur im Rahmen der Gcsamt-
problematik heutiger Theologie", nur in der Verbindung der
„praktisch-theologischen Aufgabe" mit der fundamentalthcolo-
gischen" verwirklichen. Das versuchen die drei Hauptteile.

Der erste und umfangreichste: „B. Methodenfragen in Philosophie
und Theologie" (65-397) zeigt im Titel eine Vorentscheidung
an. In den „ Mcthodcnfragen" ist die Philosophie der Theologie
vorgeordnet. Die „wisscnschaftsthcorctischcn Probleme
sind philosophischer Natur". Der Philosophie, der es um die
„letzten Grundlagen aller Wirklichkeit" geht, entspricht eine
Theologie, in der es um „ein methodisch gesichertes Wissen von
(iott als dem letzten, die erfahrbarc Wirklichkeit noch übersteigenden
Grund aller Wirklichkeit" geht. Dann enthalten beide
Wissenschaften aber eine spezifische „methodologische Funda-
mentalaporic". die sich in der Theologie zuspitzt: „Wie soll