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Ausgabe:

1992

Spalte:

536-538

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Pawlas, Andreas

Titel/Untertitel:

Freiheit - Erfolgsprogramm oder Illusion der Neuzeit? 1992

Rezensent:

Graf, Friedrich Wilhelm

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Theologische Litcraturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 7

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(61 ff). Die in der Krankheit erfahrbare Gebrochenheit und Einschränkung
des Menschen, die der Kranke wie der Arzt bewußt
wahrnehmen sollen (63). ließe sich doch auch ohne den belasteten
und mißverständlichen Gedankengang einer Zuordnung und
eines „Zusammenhangs" von Krankheit und Schuld aufzeigen. -

3. B.s Buch beleuchtet kritisch den Sachverhalt, daß das
Thema der Todesstrafe sich heute leider immer noch nicht vergangenen
Moral- und Rechtsauffassungen zuordnen läßt. Näherhin
wird die mangelnde Tragfähigkeit strafrechtsthcologischcr
Gesichtspunkte (General-. Spezialprävention, Abschreckung.
Vergeltung usw.) im Blick auf die Todesstrafe herausgearbeitet
(141 ff)- Zu beachten ist, daß zudem das von Barth vertretene
christologisch-versöhnungstheologischc Argument gegen die Todesstrafe
aufgegriffen und unterstrichen wird (1440- -

4. Einleitend beschäftigt sich das Buch mit der heutigen
Grundlagenkrise der Moral und spricht, K. O. Apcl folgend, die
Verlegenheit an, daß gegenwärtig dem allgemeinen Bedürfnis
nach Ethik die Aporien einer rationalen Ethikbegründung entgegenstehen
(14). Eine Überdehnung neuzeitlicher ethischer Prinzipien
, z. B. der Autonomie, wird in den materialethischcn Teilen
des Buches kritisch diskutiert: So wird eine „Verabsolutierung
der Selbstbestimmung des Patienten" (101), die die freie Verfügung
über den eigenen Tod einschließt und in der Schweizer Exit-
Bewegung sogar zur Bejahung aktiver Euthanasie führte (104),
mit Recht in kritischer Form zur Sprache gebracht. Zugleich wird
aber der derzeit von katholischen Amtsträgern vertretenen pauschalen
Ablehnung der Moderne als Autonomismus und Sittcn-
zerfall nachhaltig widersprochen. Schon in dem ursprünglich
1982 publizierten, einleitenden Beitrag beklagt B. den unrealistisch
überzogenen Anspruch eines klcrikal-ncokonscrvativcn
Strebens nach einer erneuten „christlichen Zivilisation" (24f;
vgl. 190- Solchen Bemerkungen, die dazu anleiten, zwischen dem
problematischen Leitbild einer kirchlich legitimierten Zivilrcli-
gion einerseits und einem sachgerechten, normativ-kritischen
Urteil kirchlicher und theologischer Ethik andererseits pointiert
zu unterscheiden, kommt inzwischen, angesichts weiterer problematischer
Voten der kath. Amtskirche, eine nochmals größere
Bedeutung zu.

Wachtberg Hartmut Krcß

Linke, Detlef Bernhard: In Würde altern und sterben. Zur Ethik
der Medizin. Gütersloh: Mohn 1991. 126 S. 8 . Kart. DM
34,-.

Der Autor legt eine aggressive, aber wissenschaftlich wohl fundierte
Anklageschrift gegen „eine biologisch perfektionierte Gesellschaft
" vor, ausgehend von einer Auseinandersetzung mit
dem australischen Ethiker Peter Singer, der Sclbstbczogcnhcit als
das Wesen von Personalität sieht und den vernunftgläubigen
Menschen in den Mittelpunkt setzt. Nur ein solcher - so Peter
Singer - vermag den Menschen die Lebensgesetze zu diktieren.
„Der geistig Behinderte, der Schwache und Kranke findet in
solch einer Philosophie keine oder keine ausreichende Berücksichtigung
". (19). Die Auffassung des Vf.s äußert sich in folgendem
Satz: „Während in früheren Zeiten Denker von Gott sich so
erfüllen ließen, daß er ganz die Stelle ihres Ich eingenommen
hatte, wurde in dem Denken der Neuzeit... Gott als böse Spiegelung
des Menschen aufgefaßt. "(19) Dem in der psychologischen
Gerontologie vertretenen Grundsatz, den altcrsbedingten Verlust
im zerebralen Bereich zu kompensieren, wird vom Vf. eine
Fokussierung als Positiv-Modell des Alterns gegenübergestellt.
Für den Vf. ist das Vergessen nicht per sc eine negative Tätigkeit,
sondern „dient der Vereinheitlichung der Pcrsönlichkcitsmerk-
male" (29). Der gängigen Verlustkompensation, die heute weitgehend
als Modell dergerontologischcn Betreuung praktiziert wird.

hafte ein Streben nach einem Leistungsprinzip an. das vor allem
im Hinblick auf die Erfahrung des nahen Todes die abklärende
Reifung des alten Menschen verhindern kann. Es ist zu fragen, ob
zwischen Fokussierung und Vcrlustkompcnsation als gerontolo-
gische Hilfen wirklich ein so entscheidender Gegensatz besteht,
wie ihn der Verfasser aufzeigt. Die in acht Punkten aufgezeichneten
Formen von Todeserfahrungen, die alle ausschließlich positiv
geschildert werden, sollen die These des Verfassers bestätigen.
Euthanasie in jeder Form, auch bei Eingriffen in den Fötus, wenn
feststeht, daß das Kind ohne Gehirn geboren werden wird, lehnt
der Verfasser ab. Auch für den Geisteskranken stellt er die fliese
auf, daß man solchem Menschen die Perspektive genommen
habe, an seiner Beziehung zu Gott zu arbeiten, um seine Seele gesundwerden
zu lassen. Schuldzuweisungen und Tabuisierung des
Sündenbegriffs stellen für ihn unerlaubte Fluchtmittcl dar. Dabei
werden insonderheit der Psychoanalyse, abcrauch der Psychologie
im allgemeinen pauschale Vorwürfe gemacht, die heute kaum
mehr so zu halten sind. Bei der Vielzahl der ticfenpsychologi-
schen Methoden wird man nicht mehr sagen können, daß die
„ Psychoanalyse dem Tod gegenüber hilflos dasteht". (75) Ich jedenfalls
kenne keinen ernstzunehmenden Psychoanalytiker oder
Psychologen, der „dem Schuldbcgriff den Garaus" machen
möchte (75). Faszinierend ist besonders der Schluß des Buches.
Die trinitarischc Seele wird gefordert, wobei „das Geheimnis des
Trinitarischcn gerade darin liegt, daß die Drei Eines sind, ohne
daß ein Tcilmoment der Bestimmung ihrer Ganzheit herangezogen
werden könnte, wie man es bei einer leeren Identitätsrelation
so gerne tut." Ob man allerdings soweit gehen kann, daß „der
Bruch mit Gott den Menschen in die Tierwelt fallen" läßt, wage
ich angesichts der großen Zahl agnostischer Ethiker zu bezweifeln
.

Die Lektüre dieses Buches wird insonderheit dem Mediziner
und dem philosophisch interessierten Theologen Gewinn bringen
. Schade, daß der aggressive Ton des Buches das Gespräch mit
dem Autor gelegentlich erschwert.

Lüheck Hans-Joachim Thilo

Pawlas, Andreas: Freiheit - Erfolgsprogramm oder Illusion der
Neuzeit? Ein sozialethischer Überblick über die neuzeitliche
Frciheitsgcschichte. Bielefeld: Luther 1991. IV. 262 S. 8 .
Kart. DM 36.-.

Pawlas „Arbeitsbuch", das aus seiner Lehrtätigkeit an der
Hamburger Bundeswehr-Universität und der Führungsakadc-
mic der Bundeswehr hervorgegangen ist. soll neben „gcistigc(r)
Klarheit" auch „geistlichen Gewinn" bringen (9). Dazu reduziert
er die gleichermaßen komplexe wie widersprüchliche neuzeitliche
Freiheitsdebatte auf einige klassische Positionen, die er
jeweils am „Maßstab" (18 u.ö.) von Luthers libcrtas christiana
mißt. In der Einleitung rechtfertigt er die „kleine Auswahl... der
unterschiedlichen Freiheitskonzeptionen (11) und weist auf die
hohe Gcgcnwartsrclevanz eines religiösen Freiheitsverständnis'
ses hin. das im Gegensatz zu verabsolutierter Emanzipation und
modernem „Subjektivismus" (13) an der konstitutiven Gebundenheit
des Menschen orientiert sei. Dem folgt eine Darstellung
des reformatorischen Frcihcitsvcrständnisscs (18-31). die ihrerseits
durch eine Skizze der normativen Grundlage christlicher
Freiheitserfahrung im Alten und Neuen Testament vorbereitet
wird. Die vom Reformator proklamierte „geistliche Freiheit
grenzt von „frommc(r) Selbstzufriedenheit" (27) einerseits und
philosophischer bzw. natürlich-theologischer Freiheit andererseits
ab. welche den Menschen zu einem prinzipiell „unabhängigen
, ungebundenen ... Gegenüber zu Gott" (29) erkläre. Dann'
ist eine Perspektive auf die weitere Geschichte der Freiheitsdebatte
eröffnet, in der viele spezifisch moderne Positionen primär