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Ausgabe:

1992

Spalte:

531-532

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Koopmans, Joop

Titel/Untertitel:

Das Leben umarmen 1992

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 7

532

1 Z. B. S. 77f die "poctry of grammar and grammar of poctry" in Form
der Verwendung finitcr Verben und parti/ipalei Strukturen, oder, vorher.
S.66f die kleine Exkursion über „pravda" und ,. istina". oder S. 328. Anm.
14 über die Schwierigkeit, vor die sich ein moderner Leser angesichts der
christlichen Gehalte im Werk des Dichters sieht, insofern "our agc has a
'different volume of cultural niemory'".

- Erwähnt wird dieser allerdings nur als "patron saint of Franec" (131).
was etwas verwundert, da Analogien zum Pseudo-Areopagiten mit Händen
zu greifen sind.

-1 Vfn. bezieht sich dabei auf J.Bortncs. Visions of Glory, dazu die Rcz.
in dieser Zeitschrift 115. 1990. 364-366.
4 Pol. Sobr. Soc. 30. 1988. 122.

Systematische Theologie: Allgemeines

Koopmans. Jopp: Das Leben umarmen. Befrciungstheologic in
der Praxis. Hg. und redigiert von U. Bolius u. M. Bubik. Möd-
ling: St. Gabriel; Wien: Südwind-Verlag 1990. 223 S. 8 . Kart.
ÖS 189,-.

Wenn die Theologie der Befreiung von der Option für die
Armen ausgeht, bedarf es konkreter Solidargemeinschaft mit den
Armen durch solche, die von Hause aus als Theologen in anderer
Situation gelebt haben. Koopmans tut das wie viele andere Europäer
als langjähriger Pfarrer einer lateinamerikanischen Basisgemeinde
und nachher als Mitarbeiter eines Zentrums für die Verteidigung
der Menschenrechte im Amazonasgebict. Wenn die
Theologie der Befreiung einen praxeologischen Grundsatz hat.
kann sie nur in engster Verknüpfung mit Biographien und Erfahrungen
gelebt und gedacht werden. Der hier vorzustellende Band
ist ein Beispiel dafür. Er will kein theologisches Buch sein. Aber
er vermag mitzuteilen, wie Theologie entsteht. In der Mitte (75-
111) sind Tagebuchnotizen und Rundbriefausschnittc des Vf.s
abgedruckt, die den Alltag der Solidargemeinschaft schildern.
Er besteht aus Verfolgungen der Armen durch die UDR (Uniao
Democratica Ruralista), eine Organisation der Großgrundbesitzer
, die jeden Ansatz von Freiheitswillen der Landarbeiter, der
Landlosen oder der Fawela-Bewohncr unterdrücken will, aus
Foltergeschichten, Angst, aber auch aus Enttäuschungen über
kirchliches Paktieren mit den Mächtigen. Der Dienst des Autors
will Unrecht öffentlich machen, trösten, heilen, Gemeinschaft
und Hilfe schaffen. Das nennt er „das Leben umarmen". Erst
durch diesen biographischen Abschnitt wird verstchbar. daß die
bibeltheologischen Kapitel so stark situationsbezogen sein müssen
. Vorgeschaltet ist auch noch ein kenntnisreiches Kapitel über
die ökonomische und politische Situation in Brasilien. Weniger
durch allgemeine Feststellungen als durch konkrete Zahlen und
Vergleich werden die Auswirkungen des kapitalistischen Systems
dargestellt. Die Dependenz-Theoric als Kernstück der situatio-
nellen Begründung für die Theologie der Befreiung seit Guticrrcz
(1969) ist aktueller denn je.

Drei Kapitel Bibelstudium wollen die Befreiungstheorie in der
Praxis schildern. In einer gelungenen Folge von eigener Darstellung
und Bericht aus der Praxis der Basisgemeinde werden die
Fragen behandelt: Was bedeutet es, an den Gott der Bibel zu
glauben? (62) Was heißt es. Prophet zu sein? (III) Wie verstand
Jesus seine Rolle als Prophet? (156) Die Texte werden auf ihre
Bedeutung in und für die ökonomische, die politische, die soziale
und die kulturell-ideologische Situation hin gelesen und ausgelegt
. Manchmal scheint das Schema nicht ganz zu passen. Aber
wer will dem Praktiker in der lebenbedrohenden Situation einer
Basisgemeinschaft daraus einen Vorwurf machen, wenn ihr Problem
immer wieder zur Sprache kommt?

Prophetscin wird am Beispiel des Elia beschrieben. „Die Propheten
verteidigen den Plan Gottes: das Projekt des Lebens,
gegen die Ausbeuter, die Unterdrückung, die Präpotenz und den

Plan der Machthaber." (114) Jesus ist Prophet und Messias in
einem. Sein Titel Rabbi, der vielleicht noch etwas anderes assoziieren
könnte, ist in der Theologie der Befreiung nicht wichtig.
„Jesus ist der Prophet, der uns lehrt, wie wir das Leben umarmen
sollen, nicht nur mit Worten, sondern durch Taten." (1 57) Denn
„das Leben des Menschen Jesus ist das einzige Bild Gottes, das
wir haben." (152)

Von Anfang an habe ich mich gefragt, wer wohl der eigentliche
Adressat dieses Buches ist. Ein bewegender Brief des Hg.s Uwe
Bolius anstelle eines Nachwortes macht es deutlich: „Wie wirkt
sich die Ausbeutung der Dritten in der Ersten Welt aus? Welche
Folgen hat die Unterdrückung des Südens für die Menschen des
Nordens? Was bewirkt die Verarmung, ja Ausbeutung der Entwicklungsländer
in einem Österreicher/Europäer?" (211) Das
sind die heimlichen Fragen, die der Leser beantworten soll. Die
stellvertretenden Antworten des Briefschreibers sind deprimierend
: Verdrängung - Vergreisung - Vereinsamung - Verwüstung.
Trotzdem will er optimistisch sein.

Berlin Johannes Althausen

Rentorff, Trutz: Theologie in der Moderne. Über Religion im
Prozeß der Aufklärung. Gütersloh: Mohn 1991. 340 S. 8 -
Trocltsch-Studicn. 5. Kart. DM 78.-.

Nicht eine eigene, neue Epoche, welche moderne Zeiten hinter
sich läßt, sondern eine Periode mittlerweile reflexiv gewordener
Moderne bezeichnet nach dem Urteil des Philosophen Wolfgang
Welsch der Begriff der Postmodcrnc. sofern er mehr und anderes
bedeutet als eine feuilletonistische Mode (Unsere postmoderne
Moderne. Wcinhcim 1991'). Radikale Pluralität gilt nach Welsch
als das entscheidende und signifikanteste Charakteristikum der
Postmodcrnc. In ihr ist zwar mit dem Prinzipiellen überhaupt
auch jenem prinzipiellen Modernismus der Abschied gegeben,
wie er die Neuzeit in ihrem Gegensatz zum Althergebrachten ursprünglich
und in generalisierender Weise bestimmt; doch führt
das Ende einer prinzipienorientierten, auf Totalisierung angelegten
Neuzeit nach Welsch keineswegs zum Untergang der Moderne
, es ermöglicht dieser vielmehr eine evolutionäre Transformation
, die den postmodernen Pluralismus als entwickelte
Fortschrittsgcstalt einer ihrer obsessiven Einheitszwänge entledigten
Moderne herausführt. Die Postmodcrnc und ihr extensiver
und intensiver Pluralismus verändern sonach wohl die Moderne
, aber sie beenden sie nicht und verkehren sie nicht in eine
Antimodernc.

Daß die skizzierte reflexive Modernität der Postmoderne untrennbar
mit dem Vorzug der Selbsthistorisicrung der Moderne
verbunden ist. darauf hat R. in der Einleitung des angezeigten
Sammclbandes unter Berufung auf Welsch nachdrücklich aufmerksam
gemacht. R. verbindet diesen Hinweis mit der These,
„daß Historisicrung der Moderne eine Art Fortsetzung der Histo-
risicrung von Theologie und Religion darstellt. Der Gcltungsan-
spruch der Moderne", so wird gesagt, „der sich an Begriffen der
Vernunft und der Wissenschaft gebildet hat. ist analogen Widersprüchen
ausgesetzt, die das neuzeitliche Bewußtsein einst gegen
die kirchlich-dogmatisch bestimmte vormodeme Kultur geltend
gemacht hat. Einsprüche in der Form von Autoritätskritik an den
Dogmen der Moderne, ihren Rationalitätsstandards und Urtcils-
instanzen werden mit den Mitteln historischer Rclativierung
vorgebracht und erfolgreich in Konzepte der Differenzierung der
Weitsicht gekleidet, die nicht mehr auf eine alles beherrschende
Formel gebracht werden kann." (24) R. macht sich diese Entwicklungstendenz
insofern zu eigen, als er für eine Modernisierung
der Moderne im Sinne ihrer fortschreitenden Historisierung
plädiert, worin er eine neue Stufe der Individualisierung wahrnimmt
, welche im Unterschied zur beginnenden Neuzeit nicht