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Ausgabe:

1992

Spalte:

519-522

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Junghans, Reinhard

Titel/Untertitel:

Thomas-Müntzer-Rezeption während des "Dritten Reiches" 1992

Rezensent:

Fauth, Dieter

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519

Theologische Litcraturzcitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 7

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(1488-1523) und Willibald Pirckheimer(1470-1530); abgerundet
wird das farbenreiche Bild durch Thomas Müntzer (1490-
1525), Sebastian Brant (1457/58-1521). Thomas Murncr (ca.
1475-1537), Jakob Locher (1471-1528). Johannes Camcrarius
(1500-1574), Eobanus Hessus (1488-1540), Konrad Celtis
(1459-1508), Jakob Wimpfeling (1450-1528), Petrus Lotichius
Secundus (1528-1560), den Maler Albrccht Dürer (1471 -1528),
der immerhin eine „ Befestigungslehre" schrieb, und manche andere
.

Etwas unglücklich gewählt scheint die Überschrift des nächsten
Kapitels, das chronologisch nachträgt und zugleich auf weitere
Entwicklungen hinweist: „Die Italiener und Sonstige". Die
Nachträge gelten zunächst dem italienischen Humanismus (oder
spricht man hier besser von Hochrenaissance?), verkörpert in
Leonardo da Vinci (1452-1519), Michelangelo Buonarotti
(1475-1564), Niccolö Machiavelli (1459-1527). Francesco
Guicciardini (1483-1540). Unter den „Sonstigen" aber brilliert
der Engländer Thomas Morus (1478-1535), der große Utopist,
von dem Francis Bacon und Tommaso Guicciardini nicht zu
trennen sind, die schon aufkommende Entwicklungen hinweisen
und die darum der Autor berechtigt aus seiner Betrachtung ausschließt
.

Es ist, wie bemerkt, ein denkbar farbiges Bild einer vielgestaltigen
Epoche, das Diesner vor seinem Leser erstehen läßt. Die
große Thematik, der er sich widmet, wird auf ihre Wurzeln zurückverfolgt
(im einleitenden Kapitel „Auftakt") und in ihren
vielfältigen ökonomischen, politischen, religiösen, philosophischen
, wissenschaftlichen und künstlerischen Beziehungen dargestellt
unter Berücksichtigung des gültigen Fachschrifttums und
der durch dieses vermittelten Standpunkte und Kontroversen, in
einer Form, die der Fülle des Stoffes niemals unterliegt, sondern
stets die Lesbarkeit wahrt. Und bei aller Fülle des vorgelegten
Materials ergeben sich doch deutlich gemeinsame Grundlinien,
vor allem die Hochschätzung des Friedens gegenüber dem Kriege
in einer Zeit, die Kriege und Kriegsnötc aus alltäglicher Erfahrung
kannte, die einerseits den Krieg zu kommerzialisieren begann
, die Kriegstechnik in ungeahnter Weise entwickelte, das
Söldnerwesen neu entfaltete und Militärtheorien herausbildete
und die doch andererseits Frieden postulierte - durch eine pragmatische
Politik, in juristischen Traktaten und darauf sich gründenden
Bündnissen und Rechtssatzungen, unter Berufung auf
die Religion und nicht zuletzt in Zukunftserwartungen bergenden
Utopien. Ein wahrhaft historischer Beitrag zur modernen
Friedensforschung!

Berlin Johannes Irmschcr

Kirchengeschichte: Neuzeit

Junghans, Reinhard: Thomas-Müntzer-Rezeption während des
„Dritten Reiches". Eine Fallstudic zur populär(wissenschaftli-
ch)en und wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Frankfurt
/M.-Bern-New York-Paris: Lang 1990. IV, 606 S. 8 =
Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und
ihre Hilfswissenschaften, 451. Kart. DM 127,-.

Die vorzustellende Arbeit entstand als Dissertation an der Sektion
Theologie der ehemaligen Karl-Marx-Univcrsität Leipzig
(1989). Im folgenden wird (I) ihre Anlage, (2) ihr rezeptionstheoretischer
Ansatz sowie (3) ihr inhaltlicher Ertrag hinsichtlich der
auf den Nationalsozialismus (= NS) bezogenen Müntzerrezeption
besprochen.

(l)Mit dem Haupttitel soll vor allem die Begrenzung des untersuchten
Zeitraumes (1933-1945) und der Autoren (Deutschsprachige
) angezeigt werden. Er beinhaltet keine thematische Festlegung
auf die Frage nach der Verwertung von Thomas Müntzer
(vor 1491-1525) (= M.) für oder gegen die NS-Idcologie und Gesellschaft
. Freilich spielt dieser Gesichtspunkt eine wichtige
Rolle. Es werden also auch Autoren untersucht, deren Arbeiten
über M. kein Spiegel der Auseinandersetzung mit der NS-
Ideologic sind. Die nicht auf die NS-M.-Rezeption bezogenen
Stoffe sind lediglich vor allem formal zusammengehörig, insofern
sie von deutschsprachigen Autoren 1933-1945 produziert
wurden. Inhaltlich begegnen die verschiedensten in der M.Rezeption
relevanten Themen, was sich bei Junghans in einer
weitgehend additiven Aneinanderreihung von Einzclbcobach-
tungen niederschlägt. Der Autor kommt hinsichtlich seiner
Hauptfrage nach der Rezeption M.s von 1933-1945 kaum zu
analytischen Bemerkungen. Besonders empfindet der Leser dies
bei der Lektüre der Zusammenfassungen, die zudem wiederholt
inhaltlich nicht kongruent sind mit vorausgegangenen Ausführungen
. Auch den Schlußthesen (597-606) mangelt es an systematischer
Urteilskraft. Der Autor hätte (in einem erheblich
dünneren Buch) lediglich die weltanschaulich relevanten M.Rezeptionen
darstellen und die Masse der diesbezüglich unergiebigen
Stoffe weglassen sollen.

Hinsichtlich der Anlage der Arbeit ist auch fraglich, ob die
Darstellung des NS-Machtapparatcs im allgemeinen (35-60)
hätte aufgenommen werden sollen. Einzelne NS-Institutionen
sind dargestellt, doch nicht in ihren Beziehungen zueinander.
Ungeklärt bleibt, wie die Institutionen zusammengearbeitet
haben bzw. wer über wen dominiert hat. Der Autor hat die Vielfalt
der heutigen einschlägigen Herrschaftsstrukturforschung
nicht aufgenommen. Möglicherweise hätte differenziertere Arbeit
auf diesem Gebiet auch Bedeutung gehabt für die im folgenden
vorzustellende Rczcptionsthcoric von .lunghans.

(2) Im Zentrum des rezcptionsthcoretischcn Ansatzes der Arbeit
steht die Unterscheidung zwischen einem werk- sowie einem
rezeptionsanalytischen Erkenntnisintcrcsse des Rczipicnten.
Jenes ist geprägt von Leben und Werk der zu untersuchenden historischen
Person, dieses von den gegenwärtigen Lebensbedingungen
des Rczipicnten. Bevor auf die Verschränkung beider Bereiche
eingegangen wird, soll das Hauptdefizit jedes einzelnen
Bereiches benannt werden. Vor allem im werkanalytischen Teil
(61-1 72) empfindet es der Leser als Mangel, keinerlei Aufschluß
darüber zu erhalten, wie sich die verschiedenen M.darstellungcn
zum Stand der damaligen historischen M.-Forschung verhalten,
um die Abweichungen dann auch ideologiekritisch reflektieren
zu können. Im rezeptionsanalytischen Teil der Arbeit (I 73-412)
wird untersucht, wie die gegenwartsbezogene M.-Rezeption im
Kontext verschiedener Themen (z.B. Bauernkrieg. Täutertuin
und Spiritualismus, ...) bzw. Litcraturgattungcn sowie NS-
Körpcrschaftcn erfolgte. Der Autor begründet diese Gliederung
rczcptionstheorctisch damit, daß die Art und Weise der Rezeption
M.s maßgeblich von den genannten Kontexten abhinge.
Doch es können kaum themen- bzw. literaturgattungsspczifischc
Aspekte der NS-M.-Rezeption benannt werden (s. unten).

Junghans will insbesondere das dialektische Verhältnis zwischen
dem Lebenswerk einer historischen Person und dem Rczipicnten
(24). zwischen werk- und rezeptionsanalytischem Erkenntnisintcrcsse
(33) erheben. Die Gliederung des
Durchführungstcils u.a. in zwei entsprechend isolierte Kapitel
steht zu diesem rezeptionstheoretischen Ansatz in Widerspruch.
Die postulierte Dialektik bleibt auch insofern Theorie, als der
Durchfuhrungsteil belegt, daß es für das Beispiel M. eine solche
gerade nicht gibt. Vielmehrgilt für die NS-Geschichtsschreibung-
daß sie M. in den seltenen Fällen, in denen sie ihn rezipierte, in
undialektischcr Weise ihrer Ideologie dienstbar machte. D»
nicht vom NS geprägten deutschen M.-Rczipicnten zwischen
1933 und 1945 gingen ebenfalls undialcktisch mit M. um. inso-