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Ausgabe:

1992

Spalte:

505-508

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gielen, Marlis

Titel/Untertitel:

Tradition und Theologie neutestamentlicher Haustafelethik 1992

Rezensent:

März, Claus-Peter

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Theologische Literaturzeitung I 17. Jahrgang 1992 Nr. 7

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Konzils hat, von außerhalb der katholischen Kirche kommende theologischen Stellungnahme bezüglich der gesellschaftskriti-
Anregungen aufnehmend, den Begriff der Anrede ins Zentrum sehen Kraft des Evangeliums heraus. Es ist deshalb zu begrüßen,
ihrer Neubesinnung auf Grund und Gestalt der Heilsökonomic daß die bei H. Merklein gearbeitete Bonner Dissertation von M.
gestellt (Kap. 9). Von hieraus lassen sich Brücken zum Verstand- Gielcn sich gerade dieser Texte annimmt und in einer weit aus-
nisjüdischen Betens schlagen. Im Zusammenhang damit geht die greifenden detaillierten Untersuchung weiterer Klärung zufüh-
Autorin besonders auf „Gebet und Offenbarung im Sprachdcn- ren will. Dabei sieht die Vfn. sehr deutlich, daß eine Gefahr darin
ken F. Rosenzweigs" (307ff) und „Gebet und Wortgeschchcn in liegt. Texte wie die HT einseitig vom Blickpunkt heutiger Theoloder
Theologie G. Ebelings" (321 f0 ein, und sie findet bei beiden gic her zu beurteilen und damit doch letztlich unkritisch zu rezi-
ihren heuristischen Ansatz, jüdische Gcbctssprachc als „Theo- picren. Sie orientiert ihre Arbeit deshalb sehr bewußt auf die Er-
'ogie in der Anrede" zu beschreiben, bestätigt. Er besagt, „daß foschung der religionsgcschichtlichen Wurzeln der HTT wie ihrer
die Sprache des Gebets in besonderem Maße geeignet ist. zu Verankerung in der sozialen Wirklichkeit der urchristlichen Gc-
einem (biblisch fundierten, jüdisch-christlichen) Verständnis meinden und stellt in diesem Sinne einleitend heraus:,. Kann auf
von Offenbarung anzuleiten, für das die Situation der Anrede diese Weise festgestellt werden, inwieweit die HT-Tradition des
den hermeneutischen Schlüssel bildet". Es zeigt sich dabei „die NT als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen
fundamentale strukturelle Übereinstimmung von jüdischem und Norm Vorstellungen zu werten ist .... so wird es die primäre Auf-
ehristlichem Offenbarungsverständnis, von der aus Eigenart und gäbe der Analyse der genannten Texte sein. ... zu fragen, ob das
'nhaltlicher Widerstreit beider erst angemessen in den Blick vom Christusercignis geprägte Menschenbild der Gcmeindeglie-
kommen" (348). der die HTT beeinflußt hat. Erst auf der Basis dieser Untcrsu-
Die gewonnenen Ergebnisse nötigen (Kap. 10) „zur rclecturc chung kann dann die ntl. HT-Ethik ... sachgerecht im Rahmen
christlichen Offenbarungsverständnisses" angesichts des jüdi- des Urchristentums und in ihrer Relevanz als Modell für eine
sehen Zeugnisses. Übereinstimmung und Differenz im Verhält- christliche Auseinandersetzung mit Normen der gcscllschaftli-
n's christlicher Theologie zu jüdischer Theo-Iogic lassen sich am chcn Umwelt heute beurteilt werden." (2f).
besten zeigen, wenn Grundsätze christologisch-trinitarischcn Die Vfn. widmet das I. Kap. der Studie einer kurzen lünßili-
Glaubens als Strukturen einer spezifisch christlichen Thco-Iogie rttnt (S. I-23). in der sie die Zielsetzung der Untersuchungen
"i der Anrede entfaltet werden. klärt, deren Beschränkung auf Kol 3.18-4.1: Eph 5.21-6.9 und
Das Literatur- und Qucllcnvcrzcichnis ist recht umfangreich i petr 2.11 f. 13-3.7 erläutert und die Tür die Untersuchung wich-
(369-410). Bei der Menge der herangezogenen Literatur ist es tigen Einlcitungsfragcn der entsprechenden Briefe verdeutlicht.
J'erzeihlich, wenn dem Rez. ein Buch von H.-F. Weiß zugeschric- Schon an dieser Stelle wird eine wichtige formkritischc Unteren
und ihm ein anderer Vorname gegeben wird. Im Pcrsonenrc- Scheidung getroffen: „Das Schema der HT ist dadurch gekenn-
8'ster wird dann J. G. Weiss von H.-F. Weiß vereinnahmt. Das zeichnet, daßdic Adressatengruppen jeweils paarweise angespro-
mögen nicht die einzigen Ungcnauigkcitcn sein. chcn werden, wobei auffällt, daß das Verhältnis zwischen den
Nachdem Personenregister folgt ein ausgedehnter Anhang. Er jeweiligen Gruppen durch die Pole Unter- und Überordnung
"mfaßt neben Umschrifttabcllc und Abkürzungen den Konzils- bestimmt ist." (3) Das 2. Kap. - „Die rengiommchichtltche Her-
beschluß Nostra actate art. 4 auf Lateinisch und Deutsch, jüdi- iiunß neutestamentlicher Haustafelethik" (24-67) - unternimmt
fehe Gebetstexte. Versionen der Tefilla-Bcncdiktioncn und rab- den „Versuch einer Einordnung" der HTT „anhand einer kriti-

"iische Kon-Texte, die mit den ausgelegten Gebeten in einem schcn Darstellung der neueren Forschungsgcschichtc" (24) und

engeren oder loseren Zusammenhang stehen. bespricht eingehend die Deutungen von K. Wcidingcr. K. H.

Die Autorin hat mit großem Fleiß eine Fülle von Material zu- Rcngstorf. D. Schrocder. J. E. Crouch. D. Lührmann. K.

animcngctragcn und ausgewertet. Die Aussagekraft des Buches jhraedc. K. Müller und K. Bcrgcr. Dabei arbeitet die Vfn. mit

atte freilich durch eine straffende Kürzung noch gewonnen. Von gutcn Argumenten heraus, daß unter den verschiedenen Versüßen
Gebeten und ihrcrStruktur her Anknüpfungspunkte fürcinc chcn dic rcligionsgcschichtliche Herkunft der HTT zu klären.

erständigung zwischen Juden und Christen zu suchen, ist ein am chcstcn dic von D Lührmann. K. Thracdc und K. Müller ver-

suter Weg: denn er führt zu einem gegenseitigen Ernstnehmen trctetu. Verbindung mit der vor- und außerchristlichen Oikono-

es Glaubensanlicgen des anderen und verhindert, daß vornan- mik|itcratur cinc durch Vcrglcichstextc erwiesene Berechtigung

ne Unterschiede verwischt werden. hat sic malkicrt freilich auch entscheidende Unterschiede, dic

a ,. ... die ntl. HT als eigen geprägte Tcxtgruppc ausweisen, in der „der

Bcrlm Ludwig Wächter . . „ ., * ....... , ,. V-,

in der Gesellschaft des römischen Imperiums im I. Jh. n. Chr.

unter mehreren bcrcitliegcndc Ansätze der Oikonomik" von den
ntl. Gemeinden „nicht unkritisch oder gar gedankenlos über-

Neues Testament nommen wurde, sondern sich vielmehr einer bewußten Wahl verdankt
und in modifizierter Weise zur Geltung kam" (67).

Gie|en, Marlis: Tradition und Theologie neutestamentlicher Auggehend von dieser Option fragt das 3. Kap. - „Der.soziologi-

Haustafelethik. Ein Beitrag zur Frage einer christlichen Aus- scHt'Hintergrundneute«tamentJich(frlifliistqfeh'thik"((>&-lQ3)-

emandersetzung mit gesellschaftlichen Normen. Frankfurt/ nun direkt nach der Verbindung der Haustafeltradition mit der

^} '- Hain 1990. XV. 600 D. gr.8 = Athenäum Monograficn: konkreten Lebenswirklichkeit der urchristlichen Gemeinden.

Geologie. Bonner Biblische Beiträge 75. geb. DM 138.-. Anknüpfend an dic Bedeutung des Oikos als „grundlegender So-

rv zialcinheit der antiken Gesellschaft" (68) skizziert die Vfn. die

>e neutestamentlichen „ Haustafeln" (= HT) sind ,n der neu- kaum ^ übcrschatzendc Bedeutung christlicher Häuser und

selt!n^8e,ISChen D,skuss,on häur,ß bcsProchcn und dabci mcht Hausbesitzer für den Aufbau und das Leben der urchristlichen

^ lc" als Ausdruck einer sich allzu schnell an dic Vorgaben der Gemeinden-

•"weit anpassenden frühchristlichen Ethik bewertet worden. _. . ' . ...... . .. . ,.

Alst-, . . ..Ohne UinMionstuehtigc Hauswesen hallen... christliche Gemeinden

der £ schre,bung patriarchalischer Strukturen auch im Raum wcdcr cntstehcn noch bcslchcn könncn ..< 102) Da so abcr da, Lebcn ,n

stie hc- als E'nschärtung einer ungerechte Strukturen vertc- dcn Häusern in hohem Maße die Ordnung der Cicnieindcbcriilirle. ist auch

hegenden Unterordnungsethik und als auf die Sicherung beste- cin besonderes Interesse der Gemeinde an einer spe/ilisehen. die Belange

rad VernäHnisse ausgerichtete Paräncsc kritisiert, fordert gc- der Gemeinde berücksichtigenden und am Glauben an Jesus Christus

c die Haustafeltradition (= HTT) den Exegctcn zu einer orientierten Ordnung der Häuser vorauszusetzen. Aus diesem Interesse