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Ausgabe: | 1992 |
Spalte: | 503-505 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Kirchberg, Julie |
Titel/Untertitel: | Theo-logie in der Anrede als Weg zur Verständigung zwischen Juden und Christen 1992 |
Rezensent: | Wächter, Ludwig |
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Theologische Literaturzeitung 11 7. Jahrgang 1992 Nr. 7
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tel der deutschen Übersetzung des Talmud Yerushalmi vor, die
1975 zu erscheinen begann. Es handelt sich dabei um eine Pionierleistung
, denn anders als beim längst übertragenen Babylonischen
Talmud gab es bislang keine deutsche Übersetzung.1 Fro-
wald G. Hüttenmeister war für diese Aufgabe bestens zugerüstet.
Er hat bereits in dergleichen Edition den Traktat Megilla bearbeitet2
und sich mit der Präsentation des Toseftatraktats Schckalim
wissenschaftlich eingeführt.3
Basis des Traktats bzw. der ihr zugrundeliegenden Mischna
sind die Ausführungen über die an den Tempel zu entrichtende
Schekelsteuer Ex 30,11-16. Bereits die Rekonstruktion des talmudischen
Textes bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Es fehlt
noch immer eine kritische Ausgabe des Jcrusalemer Talmuds, obwohl
mit der Edition der Leidener Handschrift4 Tcxtgestalt und
Textgeschichte besser überschaubar sind. Es kommt hinzu, daß
Schekalim der einzige Traktat des Seder Moed ist, zu dem keine
babylonische Gemara existiert, so daß sich in Babli-Ausgaben
statt ihrer die palästinensische findet.
Für die Gestaltung gibt es seit dem ersten Band erprobte
Grundsätze.5 Dem jeweiligen Mischnavers ist abschnittsweise
die Gemara zugeordnet. Vor jedem Stück sind die Parallclübcr-
lieferungen aus der rabbinischen Traditionsliteratur ausgewiesen
. Die Übertragung des schwierigen und an vielen Stellen
verderbten Textes stellt eine philologische und interpretatorische
Leistung dar, die jedem mit diesem Schrifttum befaßten Achtung
abfordert.
Ausgangsbasis sind Bestimmungen über die an den Jcrusalemer
Tempel zu leistende Steuer, die zur Zeit der disputierenden
Rabbinen nur noch von theologischer Bedeutung waren (nicht
anders wie viele in der Traditionslitcratur behandelte Gegenstände
), an denen sich jedoch das Distinktionsvcrmögcn der
Schriftgelehrten erproben konnte. So erfahren wir etwas über die
Aufgabenbereiche der verschiedenen Tcmpelbeamten, die Tore
des Tempelbezirks und den Umgang mit im Tempelbereich unrein
gewordenen Gegenständen. Die assoziative Struktur führt
dazu, daß auch aktuelle Probleme der Halacha zur Diskussion
kommen: durch den Ablieferungstermin I. Adar Fragen des mit
der Einschaltung eines 2. Adar verbundenen Schaltjahres, die Lesung
der Estherrolle, das Kennzeichnen von Gräbern. Textfragen
, Übertragungsproblemc und Querverbindungen zu anderen
rabbinischen Schriften werden in insgesamt 1669 Anmerkungen
behandelt. Bleibt es beim bisherigen Arbeitsrhythmus und der
vorzüglichen Qualität, so wird die deutsche judaistischc Forschung
mit dieser Talmudausgabe im kommenden Jahrhundert
ein einzigartiges Hilfsmittel zur Verfügung haben.
Halle (Saale) Wolfgang Wiefel
1 Die ein Jahrhundert alte französische Übersetzung wird (wohl zu
Recht) als „weitschweifig und problematisch" (VII) charakterisiert.
2 ÜTY 11,10. Tübingen 1987.
-1 Der Toscftatraktat Schckalim. Text. Übersetzung. Kommentar, phil.
Diss. Saarbrücken 1970.
4 Saul Liebcrman. The Palcstinian Talmud. Leiden Ms. Cod. Seal. 3, Jerusalem
1970.
5 Von dem verstorbenen Mitbegründer des Übersetzungswerks Ocrd A.
Wewers in Avoda Zara, ÜTY IV.7. Tübingen 1980. X-Xll formuliert.
Kirchberg, Julie: Theo-Iogie in der Anrede als Weg zur Verständigung
zwischen Juden und Christen. Innsbruck-Wien: Tyrolia
1991. 568 S. 8 - Innsbrucker theologische Studien, 31. Kart.
ÖS 340,-.
Die umfangreiche Arbeit, die einen Beitrag zur jüdischchristlichen
Verständigung leisten will, ist 1988 von der Katholisch
-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als
Dissertation angenommen worden, betreut von den Professoren
J. Pottmeyer und R. Schacffler. Wesentliche Anregungen sind,
wie das Vorwort hervorhebt, auch von Prof. M. Brocke als judai-
stischem Mentor gekommen, dazu auch von anderen in der Begegnung
von Kirche und Judentum tätigen Wissenschaftlern wie
den Professoren Heinz Krcmcrs und Schalom ben Chorin. Auf
diese Weise konnte katholische Theologie und Judaistik in gleicher
Weise zur Geltung gebracht werden.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil behandelt in
vier Kapiteln „Ansätze zur .Wiedcrcntdcckung des Judentums"
auf dem Vaticanum II". Der zweite Teil wendet sich den jüdischen
Gebeten zu (Kap. 5-7): „ZurThco-logicjüdischcr Stammgebete
". Der dritte Teil (Kap. 8-10) sucht die Folgerungen zu ziehen
: „Ansätze zu christlich-jüdischer Verständigung über die
.Sache' des Gebets".
Kap. 1 setzt bei der „Judenerklärung" des Zweiten Vatikanischen
Konzils, Nostra aetatc 4, ein. die auf Initiative von Papst
Johannes XXIII. und durch den unermüdlichen Einsatz von Kardinal
Bca zustandegekommen ist und ein Umdenken der Katholischen
Kirche gegenüber dem Judentum ausgelöst hat. Es wird
auf die Entstehung des Konzilstcxtes eingegangen, auf Reden zur
Judenfragc während des Exils und auf die Rezeption der Judenerklärung
in den Jahren 1965 bis 1985. Behandelt wird auch die
Karfreitagsfürbittc für die Juden, deren radikale Neufassung
durch Johannes XXIII., die ab 1966 allgemein in Geltung trat,
ganz entscheidend zur kirchlichen Neubesinnung über das Verhältnis
zum Judentum beigetragen hat.
Kap. 2 erörtert die Problematik des christlich-jüdischen Dialogs
, Kap. 3 den „offenbarungsgcschichtlichen Neuansatz", wie
er auf dem Konzil gewonnen worden sei. von dem aus sich die
Möglichkeit eröffnet, „daß Juden und Christen sich selbst und
einander als der Anrede Gottes auf je spezifische Weise verantwortlich
verstehen" (99). Kap. 4 „Auf der Suche nach einem Weg
theologischer Verständigung" führt das weiter aus. Was E.
Schlink in der Praxis interkonfessioneller Begegnungen erfahren
hat, „daß in der Gestalt des Gebetes und der Verkündigung weithin
von denselben Inhalten... gemeinsam geredet werden kann,
überdic gemeinsame dogmatische Aussagen entweder nicht oder
doch in viel geringerem Maße möglich erscheinen" (106). trilH
nach der Autorin erst recht in der Begegnung von Kirche und Judentum
zu, zumal im Judentum „eine systematische Theologie
im Sinne einer dogmatischen scientia conclusionem nicht ausgebildet
" worden ist (103). Wohl aber hat sich in ihm eine Glau-
benssprachc im liturgischen Gebet entfaltet - J. Kirchberg bezeichnet
diese durchgängig als Theo-Iogie -. und in diesem
Bereich lassen sich gemeinsame Grundzügcjüdischcn und christlichen
Glaubenslcbcns erkennen.
Der zweite Teil des Buches „Zur Theo-Iogie jüdischer Staninv
gebetc" mit den Kapiteln 5-17 stellt seinen Kern und seine Mitte
dar, und gerade von ihm dürfte ein Impuls für künftige jüdisch-
christliche Begegnungen ausgehen, wird doch christlichen Lesern
in engagierter Weise jüdisches Glaubcnslcbcn nahegebracht, die
auch auf jüdische Leser ihren Eindruck nicht verfehlen dürfte.
Kap. 5 behandelt die „Theo-Iogie der Barukh-Formcl" und
vermittelt so einen Einstieg in Form und Charakter jüdischer Gebete
. Kap. 6 „Zur Theo-Iogie der Shma'-Bcncdiktioncn" und
Kap. 7 „Zur Theo-Iogie der Tefilla". d. h. des Achtzchnbitten-
Gebetcs, bringen eingehende und den Aussagcgchalt treffend erfassende
Auslegungen dieser Gebete, die im Lichte rabbinischcr
Traditionen aus Targum, Talmud und Midrasch interpretier'
werden.
Der dritte Teil der Arbeit „Ansätze zu christlich-jüdischer Verständigung
über die .Sache' des Gebets" bringt die anhand dei
jüdischen Stammgcbctc gewonnenen Erkenntnisse in einen systematischen
Zusammenhang. Ihre Struktur ist die einer „Theologie
in der Anrede" (Kap. 8). Die Offenbarungskonstitution des