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Ausgabe:

1992

Spalte:

433-434

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ulonska, Herbert

Titel/Untertitel:

Der geschenkte Augenblick 1992

Rezensent:

Sellin, Gerhard

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Seite 1

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Theologische Litcraturzcitung 11 7. Jahrgang 1992 Nr. 6

434

PG" jedoch nicht nur durch einen Vergleich des mk und jo Pas- Anwachsen der Texte in drei Stufen: (I) das Gleichnis Jesu bzw.
sionsberichtes zu gewinnen, sondern durch „voneinander unab- der Jesusbewegung. (2) das Gleichnis in der nachösterlichen Gehängige
literarkritische Analysen" (37). Bei diesen aber ist von meinde (einige sind erst hier entstanden) und (3) das Gleichnis in
Mk auszugehen, weil der Redaktor des JoEvs. der zwar „die syn- der zweiten Generation, vor allem in der Fassung der Evangelioptischen
Evangelien gekannt und aktiv als seine Quellen bc- sten. Allen drei Stufen wird ein je besonderes Zeitverständnis zunutzt
hat" (ebd), seine Vorlagen so stark redigierte, daß auch die geschrieben: Bei Jesus ist es die Erfahrung der erfüllten, gefüllten
für seinen Passionsbericht verwendete - wiewohl „klar erkenn- Zeit, die ein befreites und optimistisches Lcbensgcfühl bewirkt:
bar" - „nicht mehr nur mit literarkritischen Mitteln herausgelöst in der ersten nachösterlichen Gemeinde ist es die Naherwartung,
werden kann", sondern dazu auch „redaktionskritische Argu- in der zweiten Generation geht es um das Einrichten in der Gc-
mente heranzuziehen" sind (78). schichte auf längere Dauer. Ist dieses Schema an sich sehr sinn-
Von diesem Ansatz her hat M. es - nach einem Bericht über voll, so wird dadurch doch bei der Auslegung manchen der Texte
"Probleme der Forschung" (11-45) - dann unternommen, so- fürchterlich Gewalt angetan. Bei Lk 12.16-21 wird nicht nur
wohl den „alten PB" wie die „weitgehend gleichlautende V.21 als sekundär angefügt betrachtet, sondern auf der ältesten
Quelle" (36), die Mk und Jo für ihre Darstellung der Passion (der Jcsus-)Stufc habe das Gleichnis nur aus V. 16-19 bestanden.
Jesu benutzt haben, in (vorerst) drei Kapiteln zu eruieren: Die Pointe sei der lobenswerte Mut des Bauern, die Sorge hinter
Zunächst fragt er nach den „hinter dem Prozeß" vor den jüdi- sich zu lassen und das Leben zu genießen. Es handele sich also um
sehen Autoritäten stehenden Traditionen (47-92). Danach unter- eine positive Bcispiclgeschichtc. Dabei hat der Vf. durchaus
sucht er den „Kontext der Verurteilung Jesu" (93-142), und etwas Fragwürdiges an dieser weisheitlichen Erzählung als Gan-
schließlich analysiert er Texte über den „Anfang der Passion" zer erkannt, die man in der Tat kaum der frühesten Jcsusbewc-
(143-216). Zuletzt stellt er die auf diese Weise gewonnenen PB gung zutrauen kann. Aber er hat keinen Sinn fürdieganzheitliche
Und PG zusammen. Hiernach umfaßt der „alte PB" folgende narrative Form und ihre notwendige Pointe: den weisheitlichen
Verse bzw. Versteile: Mk 11,11.1 5ac.28a; 14,58; 14.1-2.10- Topos von der Fragwürdigkeit der materiell gesicherten Existenz.
' '• 17.26.43.45.46.47.50.53a.6 lb.62a.65ca; 15,1. Demgcgen- Ein noch eklatanteres Beispiel ist die Auslegung von Mt 25.1-10:
über setzt sich die „erweiterte PG" nach M. wie folgt zusammen: Die älteste Schicht (die nicht auf Jesus, sondern die erste Gcncra-
11,8-10.11.15.(28); 14,58; 14,1-2.3-9.10-11.17-21.27- tion nach Ostern zurückgeht) habe nur aus V.l.5-7 bestanden:
3l-33-35.41-42.43-53.54.60-62.65.66-72; 15,1. Dem ent- Alle Brautjungfern werden das Hochzeitsmahl feiern. Das so
sPricht im JoEv: 12,12-14; 2.14-15.18-19; 11,47-53; 12,1-8; vom Vf. postulierte Fragment kann aber nie ein Text gewesen

13.21- 30.36-38 ; 12,27; 12,23; 14,31; 18,1-14.15-18.19- sein. Ohne das antithetische Element (fünf kluge - fünf törichte

21.22- 24.25-27.28. Jungfern) fällt die narrative Struktur zusammen. Was bei solcher
M it diesem Ergebnis hat M. fraglos zwei - in sich stringente - Methode bei Mk 4.26-29 oder Mk 13.33-37 für die postulierte

Stufen einer vorevangclischen Passionsquclle rekonstruiert. älteste Tradition übrigbleibt, ist ein eingekochtes Kondensat, das

hierbei „bildete der alte PB ein fortlaufendes Erzählgcrüst, in nur noch aus einer amorphen Themaangabe besteht (41. 68). Der

das bei der Schaffung der erweiterten PG verschiedene Pcriko- Vf. hat nur wenig Verständnis für Formen. Gattungen. Sprache

Pen eingegliedert wurden" (192). Mit dieser Rekonstruktion aber und Stil. So verachtet er das metaphorische und parabolische Elc-

hat M. nicht nur die o.g. These von J. Jeremias erhärtet, sondern ment, aber auch die Funktion und Bedeutung der Allegorie (die

auch die Überzeugung, daß bereits dem Passionsbericht des Mk allegorisch auszulegen gerade nicht „wilde Exegese" ist: vgl.

eir|e Reihe von Aussagen erst sekundär zugewachsen sind. Das 78) und vernachlässigt Feinheiten der griechischen Sprache in

8'lt besonders von der (auch von M. als unhistorisch erwiesenen) seinen Übersetzungen (z. B. 22. 24). Gelegentlich sind assoziative

Synhcdriumsszcne. Bei all dem kann man in Einzelheiten natür- Einfalle (die ich durchaus für hermeneutisch wichtig halte) der

''cn ganz anderer Ansicht sein. So ist z. B. zu bezweifeln, daß der Grund für solche fragwürdigen Interpretationen: etwa wenn in-

s°g- Judaskuß - vom Vf. zu Recht als historisch unwahrschein- ncrhalb der Exegese von Mk 4.26-29 obstinat die Frage nach der

'ich erklärt - bereits dem „alten PB" zuzurechnen ist. Das gleiche Rolle von „Mutter Erde" (im Gegenüber zu „Gott-Vater") auf-

von dem Schwertstreich des Petrus sowie von Mk 14.1 Of. taucht. Es gibt in diesem Buch freilich auch gelungene Assozia-

^iese von M. abweichenden Urteile (sowie dessen verwegene Bc- tionen. die der Exegese auf die Sprünge helfen (wie ja überhaupt

hauptung, Jo habe die Synoptiker „aktiv" benutzt) schließen je- bibliodramatischcr Umgang mit den Texten, der allerdings auch

doch nicht aus. daß der Vf. die Evangelicnforschung durch einen Formgefühl erfordert. Gewinn auch für die Exegese abwirft): so

'nteressanten Beitrag bereichert hat. so daß der Leser auf den z.B. im Falle von Mk 13.28f die Beachtung der symbolischen

(schon angekündigten) zweiten Band gespannt sein darf, in dem Konnotationen des Bildes vom Feigenbaum. Diese Assoziatio-

c'er Prozeß Jesu vor Pilatus und die Grabcsgcschichtcn im Mit- nen müssen jedoch, damit sie plausible Kraft ausweisen können,

'elpunkt der Untersuchung stehen sollen. exegetisch kontrolliert werden. Im übrigen verführt die assozia-

Lcipzig Werner Vogler

tive Haltung, wenn sie nicht tiefer in den hcrmcncutischcn Prozeß
hineinführt, zu einer rein topischen (themaorientierten) Haltung
: Lk 11.5-8 handelt dann von der Freundschaft - und von
iii der Pcnctranz der Gott bedrängenden menschlichen Kreatur,

onska, Herbert: Der geschenkte Augenblick. Ein Gleichnis- dcm „unverschämten Geilen", kommt nichts mehr in den Blick,
buch. Stuttgart: Quell .991. 144 S. kl.8 .Kart. DM 14.80. Hierin sehe ich diegrößte Gefahr im Trend gegenwärtiger Gleich-

Dieses weder für Exegcten noch für anwendungsorientierte Di- nisrezeption innerhalb der Praktischen Theologie (sei sie nun
Taktiker, sondern für lernbereite Laien geschriebene Gleichnis- mehr sozialer oder mehr psychologischer Art): in der Aneignung
°üchlein behandelt zwölf synoptische Gleichnisse, die unter dem der bloßen Bildhälfte, ohne ihre sprengende, deszendierende -
S^sichtspunkt ihres Zeit-Verständnisses ausgewählt wurden. metaphorische! - Potenz noch in den Blick zu bekommen. Dies
abei fehlen die „Bestseller" unter den großen Erzählungen, und ist freilich kein Vorwurf mehr gegen den Vf.. dem solche
statt ihrer kommen endlich einmal einige der auf den ersten Blick „Sprünge" an vielen Stellen gelungen sind. Die Texte auch gegen
""scheinbar wirkenden Bildworte und Gleichnisse zu Ehren - den Strich zu lesen, kann ein die Exegese innovicrendes Verfah-
w'e z. B. die Gleichnisse vom Feigenbaum (Mk 13.280- vom Wa- ren sein.
^hen- (Mk 13,33-37) oder vom Schatz im Acker (Mt 13,44). Der
'■ rechnet grundsätzlich mit einem traditionsgcschichtlichcn Oldenburg Gerhard Sellin