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Ausgabe:

1992

Spalte:

432-433

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Myllykoski, Matti

Titel/Untertitel:

Die letzten Tage Jesu 1992

Rezensent:

Vogler, Werner

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 6

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Uninformiertsein über neuere papyrologische Funde wird nach
H. die Synoptikerexegese noch immer von der Auffassung bestimmt
, daß der „Zöllner" im antiken Judentum ein Zolleinnch-
mer und als solcher ein Angestellter der römischen Steuerpachtgesellschaft
war, der religiös wie sozial im Abseits stand. Mit
diesem „Zöllner"-Verständnis zu brechen und damit den - es
längst widerlegt habenden - Arbeiten von M. I. Rostovtzeff, U.
Wilckens, H. C. Youtie u. a. zum Durchbruch zu verhelfen, ist das
Hauptanliegen dieser überarbeiteten Fassung einer (1980) der
Tübinger Theologischen Fakultät vorgelegenen Dissertation.

Schon die (in Abschnitt 2 vorgenommene) „Beschreibung des
Wortfeldes von TeAcüvr)c, " läßt nach H. erkennen: Der „Zöllner"
ist nicht in das römische Steuerpachtsystem einzuordnen, sondern
er gehört in den Zusammenhang der griechischen Rechtsvorstellung
. Als „hellenistischer Kleinpächter" (Rostovtzeff) war
er „kein (Staats-)Beamter, sondern (freiwilliger) Pächter" (23).
Als „beliehener Unternehmer" (P. Handrock) aber konnte er -
unabhängig von der römischen Großsteuerpacht - die mannigfachsten
Abgaben einfordern. Ist TEXcövriq darum nicht mit „Zöllner
", sondern mit „Abgabenpächter" zu übersetzen (37), so wird
dieses xeX(bvrq -Verständnis von H. in den folgenden Passagen
dann noch erhärtet. Gestützt auf die Publikationen von Rostovtzeff
und Youtie, aber auch auf die von J. Hasebroek u.a. findet
der Leser hier eine reichhaltige Textsammlung über die genannte
Verwendung von tsA.u>vt|c; in Griechenland und in Ägypten sowie
über „die römischen Steuerpächter" vor.

In Abschnitt 6 - „Abgaben und Abgabenpächter in Palästina"
- wird zunächst erneut herausgestellt: Der „Zöllner" im Judentum
zur Zeit Jesu war kein (im Dienste Roms stehender) Grenzbeamter
o.ä., sondern ein privater Unternehmer, der (namentlich
im Landesinneren) die veschiedensten Abgaben einholte. Im
Anschluß daran macht H. dann geltend: Der „Abgabenpächter"
genoß - schon infolge seiner sozialen Stellung - allgemein hohes
Ansehen. Der hellenistische Kleinpächter war reich. Er gehörte -
wenn nicht der Oberschicht, so doch - der gehobeneren Mittelschicht
an. Zudem wurde „Abgabenpächter" nur, „wer bei der
jährlichen Versteigerung der lokalen Abgaben am höchsten bot"
(226). Der „Zöllner" stand jedoch auch religiös nicht im Abseits.
Sein Beruf ließ ein an derThora orientiertes und ihn dadurch als
gläubigen Juden ausweisendes Leben ohne weiteres zu.

Weist der - durch diese Feststellungen sich auszeichnende -
historische Teil von H.s Untersuchung auch keine neuen Erkenntnisse
auf, so besticht er doch durch die vom Vf. mit
Umsicht zusammengestellte und ausgewertete - umfangreiche -
Materialsammlung. Sofern durch die von H. inzwischen veröffentlichten
Aufsätze „Wer waren die .Zöllner".'" (ZNW 1981.
178-194) und „Zum Vorwurf der Kollaboration des Zöllners mit
Rom" (ZNW 1987, 186-199) noch nicht geschehen, korrigiert
das in ihm Ausgeführte - endgültig - das bisher verbreitete „ Zöllner
-Verständnis im antiken Judentum. Für H. selbst stellt es die
Voraussetzung Tür seine (in Abschnitt 7 dargelegte) Analyse von
„xek(hvr]c, in der synoptischen Überlieferung" dar.

In diesem Teil seiner Arbeit geht H. stärker eigene Wege. Hier
untersucht er - der Reihe nach - alle synoptischen Stellen, in
denen das Nomen TeXä>vrq vorkommt, insbesondere auf die
Frage hin, welche Bedeutung den „Abgabenpächtern" im Umgang
mit Jesus zukommt. Dabei kommt er zu folgenden Erkenntnissen
: Das in den drei ersten Evangelien bezeugte negative
„Zöllner"-Bild ist in dem „schriftgelchrt-pharisäischcn Legitimationsbestreben
" begründet, das im 1. Jahrhundert n.Chr.
„mit heftigen innerjüdischen Kämpfen um religiöse Kompetenz
" verbunden war (234). War das Urteil über die „Zöllner" in
pharisäischen Kreisen auch nicht einheitlich, so gibt doch die
negative Bewertung der „Zöllner" in der synoptischen Tradition
allein die Sicht von jenen „Pharisäern wieder, die die teXwvcu /
mokhsin religiös und moralisch ablehnen" (267). Im Gegensatz

dazu hat Jesus dieses pharisäische Verständnis der „Zöllner" als
in besonderer Weise der Sünde Verfallene ausdrücklich abgewiesen
. Darum auch seine Hinwcndungzu ihnen. Ihr entspricht, daß
die „Abgabenpächter" bei den Synoptikern „eng mit der Sendung
Jesu zu ganz Israel verbunden" sind. Als „Exponenten" der
„Unmündigen" stehen die unter ihnen Umkehrbereiten „beispielhaft
für den religiösen Gegensatz Pharisäcr/Nichtpharisäcr"
(285f).

Auch mit dem in diesem Abschnitt Bemerkten hat H. zweifellos
Richtiges erkannt. Die Synoptikerforschung wird darum
nicht umhin können, die „Zöllner" künftig differenzierter zu betrachten
als in ihnen nur den Typus von „notorischen Sündern"
(J. Jeremias) zu sehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der -
namentlich im MtEv - negativ gezeichnete „Abgabenpächter"
nicht doch stärker die Meinung des einfachen jüdischen Volkes
widerspiegelt, als H. es wahrhaben will. Der Einfluß der Pharisäer
auf „die große Masse des Volkes" (Josephus. Antiqu. XIII.
298 vgl. 288.4010 läßt schwerlich den Schluß zu. daß das in pharisäischen
Kreisen vorhandene diffamierende „Zöllner-Verständnis
auf diese beschränkt blieb. Deren Einfluß auf breitere
Schichten des jüdischen Volkes dürfte in puncto „Zöllner" aber
um so leichter gewesen sein, als der einzelne Jude es schwer hatte,
den „Abgabenpächter" ohne Vorbehalte zu sehen, stand dieser
doch in seinen Augen für die - vielfältige - finanzielle Belastung
der Bevölkerung. Doch nicht nur das. Mußte der einfache Jude in
dem „Zöllner" - als einem Angehörigen der Oberschicht - nicht
sogar den Vertreter der (von ihm nur widerwillig ertragenen)
Führung seines Landes sehen? Legt das die Annahme nahe, daß
der „Abgabenpächter" bei seinen Landslcutcn weit weniger in
Ansehen stand, als H. es annimmt, so stellt sich endlich die Frage,
ob in der Ablehnung der „Zöllner" durch breitere jüdische Bevölkerungskreise
auch deren auffallend verunglimpfende Wertung
durch (den judcnchristlichcn) Matthäus begründet sein
könnte.

Leipzig Werner Vogler

Myllykoski, Matti: Die letzten Tage Jesu. Markus und Johannes,
ihre Traditionen und die historische Frage. Bd. 1. Helsinki:
Suomalainen Ticdeakatcmia 1991. 250 S. gr.8 - Suomalaiscn
Ticdcakatemian Toimituksia. Annalcs Acadcmiae Scicntia-
rum Fennicac. 256.

So unbestritten seit langem die (von R. Bultmann begründete)
Auffassung ist. daß bereits dem Passionsbericht des MkEvs ein
älterer Passionstext zugrundcliegt, so sehr hat sich inzwischen die
(von J. Jeremias vertretene) Anschauung durchgesetzt, daß dieser
- alte - Passionstext auch dem Verfasser des Johannes-
Evangeliums als Vorlage diente. Haben jedoch schon die allem
auf der Grundlage des MkEvs vorgenommenen Rckonstruk-
tionsversuche dieser frühen Quelle zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen
geführt, so ist das nun noch mehr der Fall, wenn zu dessen
Rekonstruktion außerdem der Passionsbericht des JoEv's
herangezogen wird. Das zeigt - nach der monographischen Bc'
handlung dieses Themas durch T. A. Mohr (Markus- und Johannespassion
. 1982) - auch die (zu ganz anderen Ergebnissen korn-
mende) Dissertation des finnischen Theologen M. Myllykoski-
deren erster Teil nun im Druck vorliegt.

Ähnlich Jeremias, der - im Blick auf die vorevangclischc l'as'
sionsüberlicfcrung - bereits zwischen einem älteren „Kurzbericht
" und einem jüngeren (dem Mk- und JoEv zugrundclicgcn'
den) „Langbericht" unterschieden hat. sucht M. nachzuweisen-
daß schon der Passionsbericht des MkEvs in drei Etappen entstanden
ist: Einem „alten Passionsbericht (PB)" folgte eine
weiterte Passionsgeschichtc (PG)" - sie stand auch Jo zur Verlegung
-, danach die von Mk vorgenommene Redaktion. 'n1
Unterschied zu Jeremias ist nach M.s Ansicht die „erweiten