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Ausgabe:

1992

Spalte:

20-21

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gerechtigkeit, Friede

Titel/Untertitel:

Bewahrung der Schöpfung 1992

Rezensent:

Ziemer, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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Würdigung des Exegeten und Theologen Lohmeyer wurde dem
Neutestamentier Dieter Lührmann übertragen (53-87), der jene
Aspekte im Lebenswerk benennt, die fortwirken (Herausarbeitung
hymnischer Strukturen, Galiläa-Jerusalem, Gleichnistheorie
), aber auch die Problemzonen nicht ausspart: die Konfrontation
mit H. Lietzmann um die sprachliche Gestalt seiner Beiträge
, in der es letztlich nicht nur um Stil-, sondern um (herme-
neutische) Sachfragen ging; die Prägung durch den gleichzeitig in
Breslau wirkenden Postkantianer Richard Hönigswald; die frühe
Kontroverse mit Rudolf Bultmann, beleuchtet an gegenseitigen
Rezensionen. Ob die bleibende Differenz zwischen beiden damit
angemessen bezeichnet ist, daß es bei Lohmeyer anders als bei
Bultmann keine Trennung von systematisch-theologischen und
exegetischen Arbeiten gab? Hier wäre doch zu fragen, warum sie
für ihn (aber auch für A. Schlatter und J. Schniewind) nicht möglich
war.

Die Gedenkvorlesung Günter Haufes, des heutigen Inhabers
von Lohmeyers Greifswalder Lehrstuhl „Theologische Exegese
aus dem Geist des philosophischen Idealismus" (88-97) ist nur
auszugsweise veröffentlicht. Sie bringt über den im Thema angezeigten
Aspekt hinaus wichtige Einzelheiten aus Lohmeyers letzter
Lebenszeit. - Glanzstück des Bandes ist der andere Beitrag
eines Theologen aus dem Osten Deutschlands, des emeritierten
Jenaer Systematikers Horst Beintker, der als Vortrag bei der
Gedenkfeier im westfälischen Herford, der Heimat der Familie
Lohmeyer gehalten wurde (98-134). Weit über das engere Thema
„Ernst Lohmeyers Stellung zum Judentum" hinaus erinnert sich
hier einer, der selbst Studentenvertreter während der kurzen
Rektoratszeit Lohmeyers war, an Persönlichkeit und Schicksal
des Mannes, den sein Kollege Otto Haendler den „genialsten
Theologen seiner Zeit" (127) nannte. Da ist die persönlich-
lebensgeschichtliche Seite: die frühe Begegnung mit dem jüdischen
Leben im Ravensberger Land; es folgt die Breslauer Zeit,
in derer wie kaum ein anderer Theologe seiner Generation durch
ein Geflecht freundschaftlicher Beziehungen mit bedeutenden
jüdischen Gelehrten verbunden war, mit den Philosophen Hönigswald
und Eugen Rosenstock-Huessy, dem Philo-Forscher
Isaak Heinemann, dem Juristen E. J. Cohn und dem Historiker
R. Koebner. Erschütternd ist der Bericht über die erfolglosen
Versuche seiner jüdischen Freunde, den Inhaftierten zu retten.
Da ist aber auch die sachliche Einsicht, die ihn lange vor 1933 das
Ringen um eine neue Qualität im Verhältnissis von Christen und
Juden als Aufgabe erfassen ließ. Lohmeyers Grundüberzeugung,
„daß der jüdische Glaube im Herzen des christlichen sein muß,
sofern der Christ wirklich Christ sein will" (113) wird als bislang
kaum wahrgenommener Grundton seiner Synoptikerdeutung
aufgewiesen. Die Einheit von Theologie und Existenz wird in den
abschließenden Ausführungen zum Gedanken des Martyriums
in Lohmeyers Lebenswerk deutlich.

Wolfgang Otto, Schwiegersohn Lohmeyers, geht Spuren konvergenter
Lebens- und Geisteslinien im Werk Jochen Kleppers
nach (135-180). Biographisch ist es die Breslauer Studienzeit, in
der Lohmeyer (nächst Rudolf Herrmann) der wichtigste Lehrer
war, der ihn wegen seiner künstlerischen Sensibilität anzog; inhaltlich
ist es die beiden gemeinsame Weltsicht, „ nach der in Bild
und Gleichnis die göttliche Wahrheit aufleuchtet" (146). Kaum
bekannt war die bis in die Heidelberger Privatdozentenzeit Lohmeyers
zurückreichende Beziehung zum Verehrerkreis Stefan
Georges (154ff), die freilich in einer gewissen Spannung zu Kleppers
Absage an ein autonomes Dichtertum steht. In welcher
Weise die Kontakte bis zu Kleppers Tod 1942 anhielten, wird
noch einmal belegt. Daß beide, der Dichter und der Theologe, je
auf ihre Weise zu glaubender Bewährung im Abgrund der Zeit gefordert
wurden, läßt Lebenswerk und Lebensschicksal noch nach
einem halben Jahrhundert als einzigartiges Zeugnis erscheinen.
Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Weder, Hans [Hg.]: Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung der Schöpfung
. Theologische Überlegungen. Zürich: TVZ 1990. 181 S. 8'.
Kart. SFr28,-.

Der vorliegende Band dokumentiert eine Vorlesungsreihe der
Züricher Theologischen Fakultät aus dem Wintersemester 1989/
90. Angestoßen durch die Europäische Versammlung im Sommer
1989 in Basel hatte sich dort ein Arbeitskreis gebildet,
zu dessen Projekten auch dieses interdisziplinäre Unternehmen
gehörte. Dabei handelt es sich nicht um eine Ringvorlesung üblichen
Stils, vielmehr hat sich jeder der Referenten im Rahmen seiner
turnusmäßigen Semesterveranstaltung zum Themenkreis
„Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung" geäußert
. Auf diese Weise ergaben sich ungewohnte Fragestellungen
und interessante Perspektiven. Die Argumentationsweise der
Beiträge ist fachtheologisch, ohne deshalb exklusiv zu sein.

H. Spieckermann handelt über „Gerechtigkeit und Friede in
der Prophetie" (13-37).

In eindrucksvoller Weise legt er dar, wie es in der prophetischen Verkündigung
„primär um Unrecht und Unfriede geht" (15); immer sei diese
mehr als eine „Funktion der Empirie", immer gehe es um das „zu jeder
Zeit unerwartete Wort Gottes" (17)- als Ankündigung des Gottesgerichts
„unerwartet hart in scheinbar guter Zeit" (Arnos, Jesaja). als Ankündigung
der Rettung: „scheinbar unpassend verheißungsvoll in dürftiger Zeit"
(Deutcrojesaja). In allem Unterschiedlichen bleibe prophetischem Denken
gemeinsam der Glaube, daß Grundlegendes nur einer schaffen kann, nämlich
„Gott selbst" (35).

In sinnvoller Ergänzung dazu befaßt sich O. H. Steck mit dem
Naturverständnis des AT: „Bewahrung der Schöpfung. Alttesta-
mentliche Sinnperspektive für eine Theologie der Natur"
(39-62).

Israel nehme „in existenzbezogener Betroffenheit die natürliche Welt
unter Einschluß des Menschen wahr als Geschehen von Schöpfung" (48).
Die so verstandene natürliche Welt sei nicht „sinnfreier, neutraler Bereich
", sondern: „Gabe des Lebens und Ausstattung für Leben" (52).
damit also Verantwortungsbereich für den Menschen: „Weil der Mensch
aber dasjenige Lebendige ist, das vom Schöpfer weiss", ist er zur „herrscherlichen
Wahrung ... der Schöpfungsqualität der Welt zugunsten allen
Lebens bestimmt" (55). In der „einfachen, elementaren Sicht" des AT
erkennt Steck „kritischen Wert und nachdenkenswerte Impulse" (56) für
heutiges Handeln. Dazu gehöre die Einsicht, daß der Mensch nur dann
seine Schöpfungsverantwortung erfülle, wenn er neben der „Ermächtigung
" auch die „Grenze" wahrnehme, die ihn daran hindern sollte, sich
Welt und Leben totalitär zu unterwerfen.

„Bessere Gerechtigkeit als Prinzip menschlichen Verhaltens" überschreibt
der Hg. H. Weder seinen Beitrag (63-79). Die „bessere Gerechtigkeit
" (Mt5,20) sei nicht nur quantitativ „mehr" Gerechtigkeit, sondern
bezeichne ein „qualitativ anderes Niveau" (64).

Sie frage nicht nach dem Spielraum, den der einzelne in seinem Tun
habe, sondern radikal nach dem „Anspruch, den das Leben auf mich hat"
(66). Und das wiederum bedeute: „das Tun des Guten ist grenzenlos geboten
" (67). Die „bessere Gerechtigkeit" ist letztlich die „Güte", die nicht
erzwungen werden kann, sondern die durch „Arbeit am menschlichen
Herzen" (78), wie es Jesus tat, hervorkomme. Hier liege auch heute die besondere
Aufgabe der Kirchen im Engagement für die Gerechtigkeit.

Diezweite ntl. Vorlesung stammt von E. Lohse. Unter dem Titel „Neuer
Himmel und neue Erde - Hoffnung für die Welt" (81-98) geht er auf Offenbarung
21 und 22 ein. Als das Besondere an der johanncischen Apokalypse
hebt Lohse hervor, daß hier eben nicht in diastatischcr Weise von „dieser"
(vergehenden) und „jener" (zukünftigen) Welt geredet werde.

Vielmehr „bleibt auch die bedrohte Welt für ihn Gottes Schöpfung"
(98). Daraus erneuere sich die Hoffnung für die Welt, die in „Umkehr"
und „tätigem Dienst" in der Gegenwart praktisch werden kann.

Zu den exegetisch orientierten Beiträgen kann man wohl auch den letzten
des Bandes von F. Stolz zählen: „ Polytheistische, monotheistische und
moderne Konzepte von Friede, Gerechtigkeit und Schöpfung" (165-181).
Für Stolz ergibt sich, daß Gerechtigkeit, Friede und Schöpfung ohne weiteres
auch „Programm eines Hindu, eines Atheisten oder eines Uno-
Funktionärs" (180) sein können.

Das christliche Reden davon müsse „zunächst das Sehen. Aufdecken.
Erwarten und Erhoffen dieser Dinge ermuntern und schulen, und darauf