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Ausgabe:

1992

Spalte:

407-417

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Fontes Christiani und Sources Chrétiennes 1992

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Theologische Litcraturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 6

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die drastische Trennung von den Halbherzigen und Ungläubigen
und in all dem, als Frucht dieser Reue, die Rückgewinnung der
verlorenen Identität.

Das Fundament
Entgegen der Grundregel des Laizismus, daß die Religion eine
Privatangelegenheit sei und in der Öffentlichkeit nichts zu suchen
habe, werden die jeweiligen heiligen Texte - Bibel, Thora
und Koran - zum verbindlichen Fundament des gesamten Lebens
erklärt, nicht nur gültig im Kreis der Ehe und Familie, sondern
auch in der Öffentlichkeit des Staates und der Gesellschaft,
vor allem der Schulen und Universitäten.

Versöhnung zwischen Wissenschaft und Glaube
Die menschliche Vernunft hat sich dem Glauben an Gott strikt
zu unterwerfen. Dabei empfindet man keinen Widerspruch zwischen
der Vertrautheit mit den modernsten wissenschaftlichtechnischen
Methoden und der Treue zu den Lehren und Geboten
der überlieferten Religion. Zwar bedient man sich der
Errungenschaften der säkularen Wissenschaft und Technik, koppelt
sie aber los von den Werten und Normen der säkularen Umwelt
. Auf diese Weise läßt man Wissenschaft und Glauben sich
nicht gegenseitig ins Gehege kommen.

Vernetzung

Der Weg der Erneuerung Führt „von unten nach oben", durch
die Änderung der Individuen zur Veränderung der Gesellschaft.
Ein ganzes flächendeckendes Netz von Zellen und Waben, von
kleinen und großen Zentren wird über die Gesellschaft gebreitet:
Oasen des Gebets und „geistige Sauerstoffzelte", Kultstätten
und fromme Vereinigungen, Schulen und Universitäten, Sozialstationen
und Selbsthilfeorganisationen, Fernsehen und Schrifttum
, Kinderbetreuung, Ausflüge und Ferienlager. All dies soll
der allmählichen religiösen Durchdringung der Lebensweisen
und Funktionsmechanismen dienen, bis die Strukturen der Gesellschaft
verändert sind und man zu den Toren der politischen
Macht aufbrechen kann.

Rückeroberung

Vor den Toren der politischen Macht scheiden sich die Geister.
Das trennende Moment bildet vornehmlich die verschiedene
Einstellung zur Demokratie. Moslems und auch Juden hängen
letztlich einem monistischen Modell an. Die Schari'a bzw. die
Halacha sollen zum alleinigen Gesetzeskodex der gesellschaftlichen
Odnung werden. Das aber bedeutet, daß die Demokratie
nur eine Übergangserscheinung darstellt. Radikalen Moslems
wie orthodoxen Juden gilt auch sie als ein Erzeugnis der gottlosen
Aufklärung.

Anders im Christentum. Zu ihm gehört die Freiheit von seinem
Ursprung her, und aus ihr ergibt sich die Dualität von Kirche
und Staat. Nur wo diese Dualität aufrechterhalten bleibt,
wird die Freiheit bewahrt. Aus diesem Grund setzt der Rcchri-
stianisicrung in Europa und den Vereinigten Staaten der Zwang
zur Demokratie eine heilsame Grenze: hier behalten die demokratischen
Überzeugungen ihre Priorität. Eine Symmetrie zwischen
Staat und Kirche ist daher unmöglich, die Trennung zwischen
beiden nicht rückgängig zu machen. Höchstens kann dem
Christentum innerhalb der säkularen und weltanschaulich neutralen
Gesellschaft der Status des öffentlichen Rechts zugebilligt
werden - jedoch nicht mehr als anderen ,. Religionsgemeinschaften
" auch, sofern diese dem Grundgesetz entsprechen.

Lassen sich die religiösen Erncucrungsbcwegungcn. ob im
christlichen, muslimischen oder jüdischen Kulturkrcis. zu sehr
auf das politische Spiel ein, müssen sie sich den Spielregeln der
Politik unterwerfen und verlieren darüber ihr eigenes Wesen und
Profil.

Das müssen sich auch jene kirchlichen Hierarchien gesagt
sein lassen, die heute mit „groß Macht und viel List*' zur „zweiten
Missionicrung" Europas antreten. Welcher Christ wünschte
sich nicht ein christliches Europa? Nur - wir können nicht hinter
die Aufklärung zurück, und diese hat der von der Kirche verwalteten
Rache Gottes ein für allemal ein Ende gesetzt. Gottes Heil
verträgt sich nicht mit Macht und List. Mit dem heiligen Geist
läßt sich nicht „powern": „Nicht mit Macht und Gewalt, sondern
mit meinem Geist soll es geschehen, spricht der Herr."

Gert Haendier

Fontes Christiani und Sources Chretiennes

Deutschsprachige Kirchenhistoriker werden gelegentlich ihre
Fachkollegen im französischen Sprachraum beneiden: Dort gibt
es die Reihe »Sources Chretiennes« mit ihren zweisprachigen
Bänden, die eine schnelle Information ermöglichen. Diese Reihe
wird wohl bald nach ihrem 50jährigen Jubiläum 1992 ihren 400.
Band vorlegen können. Demgegenüber gibt es zweisprachige
Ausgaben mit deutscher Übersetzung seltener, zum Beispiel Rudolf
Nolls Ausgabe der Vita Severini des Eugippius (Linz 1947;
Berlin 1963). Normalerweise ist man bei der Suche nach altkirchlichen
Texten immer noch auf die deutschen Übersetzungen in
der Bibliothek der Kirchenväter angewiesen, die am Ende des 19.
Jahrhunderts zu erscheinen begann. Bände dieser Reihe sind
heute kaum noch zu bekommen, die Übersetzungen wirken heute
mitunter etwas altmodisch, - was freilich zugleich auch einen
gewissen Reiz jener Bände ausmachen kann. Für das Mittelalter
liegen die Dinge etwas günstiger: In den Fünfziger Jahren begann
die Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, die schon sehr bald
u. a. Werke der Bischöfe Gregor von Tours, Winfrid-Bonifatius,
Thietmar von Merseburg und Otto von Freising in zweisprachigen
Bänden zugänglich machte. Die Mehrheit der Übersetzungen

findet man freilich immer noch in der Reihe „Geschichtsschreiber
der deutschen Vorzeit", die ebenfalls teilweise noch aus dem
vorigen Jahrhundert stammen. Bei dieser Sachlage ist es wirklich
eine frohe Kunde, daß der Hcrdcrvcrlagcine zweisprachige Ausgabe
kirchengeschichtlicher Werke für den deutschen Sprachraum
begonnen hat. deren erste 3 Bände vorliegen.

I) Fontes Christiani
Die Herausgeber der neuen Reihe erinnern im Vorwort daran-
daß das Übersetzen „gerade in der Kirche eine lange Tradition
hat, die bis auf die Evangelien zurückgeht (7). „Die Reihe Fontes
Christiani stellt sich bewußt in diese Übersetzungstradition der
Kirche" (8). Geplant sind 35 Bände von jeweils 200-300 Seiten
Überwiegend werden alte Kirchenväter genannt, u.a. Irenaus-
Tertullian, Origenes. Euscb. Ambrosius. Chrysostomos. AugU'
stin. Aber auch mittelalterliche Autoren werden angekündigt
Johannes Scotus Eriugcna. Anselm von Cantcrbury. Richard von
St. Viktor und Bonaventura. Über die Kriterien der Auswahl wird
leider kaum etwas gesagt; es sollen „klassische Texte" und auch
„weniger bekannte Werke" sein, dazu auch solche, die ,.crstnia's