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Ausgabe:

1992

Spalte:

403-408

Autor/Hrsg.:

Zahrnt, Heinz

Titel/Untertitel:

Gottes Heil oder Gottes Rache? 1992

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403

Theologische Litcraturzeitung I 1 7. Jahrgang 1992 Nr. 6

404

Heinz Zahrnt

Gottes Heil oder Gottes Rache?

Im letzten Herbst sind fast gleichzeitig zwei Bücher erschienen1
, die einander wie zwei verschieden geschliffene Linsen entsprechen
. Das eine stammt von dem holländischen Dominikanertheologen
Edward Schillebeeckx und trägt den Titel
„Menschen. Die Geschichte von Gott". Es liefert sozusagen den
„Text": Gottes Heil für alle Menschen. Das andere Buch stammt
von dem französischen Islamologen und Soziologen Gilles Kcpcl
und bietet sozusagen den „Kontext" dazu: „Die Rache Gottes.
Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch".

Es lohnt sich, beide Bücher wie Text und Kontext zu lesen.

Nach „Jesus - die Geschichte von einem Lebenden" (1974)
und „Christus und die Christen" (1977) hat Edward Schillebeeckx
mit seinem Buch „Menschen. Die Geschichte von Gott"
endlich den lange erwarteten dritten Band der geplanten Trilogie
vorgelegt. Die große Pause zwischen der Mitte der siebziger und
dem Beginn der neunziger Jahre erklärt Schillebeeckx selbst mit
dem gegenwärtigen Zustand der römischen Kirche: Nachdem
der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, der der Heilige
Geist war, erloschen sei und die Hierarchen eine unkontrollierte
Macht über unmündig gemachte Menschen Gottes ausübten, erschien
es ihm unmöglich, zu diesem Zeitpunkt ausgerechnet ein
Buch über die Kirche zu schreiben. Statt dessen ist es ein Buch
über die „christliche Kernbotschaft" geworden, an der ohnehin
alle Kirchenlehre zu messen ist.

Von Anfang bis Ende handelt Schillebeeckx' Buch von der universalen
Menschlichkeit Gottes, und es weht darum durch seine
Seiten der Geist der Freiheit, der der Geist Jesu aus Nazareth ist.
Auf diese Weise hat der holländische Dominikanertheologe das
abendländische Gegenstück zur südamerikanischen Theologie
der Befreiung geschaffen.

Es holt uns heraus aus der Resignation, die uns Christen - Katholiken
wie Protestanten - angesichts der Vergeblichkeit aller
unserer Proteste und Manifeste gegen den regierenden Papst und
seinesgleichen zu ergreifen droht, und es ermutigt uns, denselben
Weg weiterzugehen, den Schillebeeckx als Fazit seiner eigenen
Lebensarbeit so beschreibt: „das Glaubenszeugnis eines Theologen
, der sein ganzes Leben lang nichts anderes getan hat, als
tastend und stammelnd danach zu suchen, was Gott für Menschen
bedeuten kann". Und er fügt ausdrücklich hinzu: „Es ist
das christliche Glaubenszeugnis eines konsequent rational arbeitenden
Theologen."

Schillebeeckx hat seinem Buch zwei Moti vorangestellt, die es
charakterisieren. Das erste stammt von Heinrich Boll und lautet:
„Der Mensch ist der Beweis, daß Gott existiert." Dem entspricht
gleich der erste Satz des Vorworts, angeblich der Ausspruch eines
kleinen Jungen: „Menschen sind die Worte, mit denen Gott seine
Geschichte erzählt." Damit ist das Thema des Buches angesprochen
und zugleich sein überraschender Titel erläutert.

Das andere Motto stammt vom Propheten Arnos: „Wohl habe
ich Israel aus Ägypten heraufgeführt, aber ebenso die Philister
aus Kaphtor und die Aramäer aus Kir." Dem entspricht in der
Einleitung die Umwandlung des alten Lehrsatzes „Außerhalb
der Kirche kein Heil" in den neuen „Außerhalb der Welt kein
Heil."

' Schillebeeckx, Edward: Menschen. Die Geschichte von Gott. Aus dem
Niedcrländ. von H. Zulauf. Frciburg-Bascl-Wien: Herder 1990. 326 S.
gr.8°. Lw. DM 69.-.

Kepel. Gilles: Die Rache Gottes. Radikale Moslems. Christen und Juden
auf dem Vormarsch. Aus dem Franz. von T. Schmidt. München-Zürich:
Piper 1991. 3I6S. 8".

Beide Zitate zusammen zeigen die universale Tendenz des Buches
an: die Behauptung der absoluten HeiIsgcgenwart Gottes in
der Wirklichkeit der ganzen Welt, in der profanen Geschichte
ebenso wie im Leben der Menschen untereinander - unabhängig
vom menschlichen, auch gläubigen Bewußtsein, noch vor aller
Artikulation und Deutung als göttliche Offenbarung, auch außerhalb
aller Religiosität.

„Gibt es wohl universaleren .Humanismus' als die Menschenliebe
Gottes: eines auf Menschlichkeit bedachten Gottes, der
.Menschen Gottes' will, die selbst auch auf Menschlichkeit bedacht
sind?", fragt Schillebeeckx und thematisiert mit dieser
Frage die „christliche Kernbotschaft", an der sich alle theologische
Theorie und kirchliche Praxis zu orientieren hat. Sic erweist
den von Jesus aus Nazareth verkündigten Gott als den
Deus humanus der Rcligionsgcschichte.

Wo die Menschlichkeit Gottes zum Fundament des Glaubens
und die Menschlichkeit des Menschen zum Motiv des Handelns
wird, dort herrscht Gottes Heil, dort ist kein Raum für Gottes
Rache. Und so wird Schillebeeckx' Buch unausgesprochen zu
einem Einspruch gegen den heute weltweit aufkommenden -
auch christlichen, sowohl katholischen wie evangclikalcn - Fun-
damcntalismus. An zwei zentralen Punkten wird diese Kritik besonders
deutlich: Keine Absolutheit des Christentums und keine
Symmetrie zwischen Himmel und Hölle!

Am Verhältnis des Christentums zu den anderen Religionen
erweist sich, wie ernst die Christen ihr eigenes Glaubensfundament
nehmen.

Tatsache ist. daß alle Religionen Antwort auf eine fundamentale
Lebensfrage geben, daß das Christentum nur eine Religion
unter vielen ist. daß es mehr Andersgläubige als Christen in der
Welt gibt und daß diese nicht alle blinde, verlorene Seelen sind.

Angesichts dieses unleugbaren Tatbestandes stellt sich die
Frage, wie das Christentum seine Eigenart und Einzigartigkeit
bewahren und dennoch zugleich der Verschiedenheit der Religio"
nen gerecht werden und ihnen einen positiven Wert beimessen
kann.

Die Antwort auf diese Frage liegt für Schillebeeckx im Fundament
des Christentums selbst beschlossen. Jesu Botschaft und
Praxis des Reiches Gottes enthält beides: Universalität und Par'
tikularität - Universalität, insofern Jesu Verkündigung des Rei"
ches Gottes eine vorbehaltlose Einladung an alle beinhaltet: Paf'
tikularität, insofern Jesu Aufrctcn. sein Verkündigen und
Verhalten, ein historisch und sogar geographisch begrenztes
Ereignis darstellt. Das Besondere des Christentums gegenüb?'
anderen Religionen besteht mithin darin, daß Gottes Heil hieran
ein einmaliges personales und damit notwendig begrenztes Ercig'
nis gebunden ist. Aber weil Jesus die Offenheit Gottes verkündet
und selbst gelebt hat. kann das Christentum sich auch gegenüber
anderen Religionen öffnen, ohne daß es darüber seine Eigenai'
verliert.

So ist die Vielzahl der Religionen ein Zeichen des Reichtums
und kein zu beseitigendes Übel. In allen zusammen ist tneW
Wahrheit enthalten als in einer einzigen, auch mehr als im C hn-
stentum. Es gibt authentische religiöse Erfahrungen, die im Chi I-
stentum keinen Platz gefunden haben, aufgrund seiner Eigena'1
auch nicht finden konnten.

Auch Gottes Offenbarung in Jesus Christus schließt die Reh-
gionsgcschichtc nicht ab. So wahr keine einzelne Religion je die
ganze Fülle der Gottheit Gottes zu fassen vermag, werden auch
künftig neue Religionen entstehen und wieder vergehen. Gott V"
lein ist absolut, aber keine einzelne Religion.