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Ausgabe:

1992

Spalte:

18-19

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Freiheit in der Gebundenheit 1992

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

IX

endet gesehen (die Bearbeitung der weiteren Bände liegt, wie die
Drucklegung des ersten, bei Herbert Donner, Kiel).

Diese letzten Publikationen vergegenwärtigen noch einmal die
beiden Schwerpunkte der wissenschaftlichen Lebensarbeit Rudolf
Meyers (vgl. die Bibliographien in ThLZ 1969, 1974, 1979,
zuletzt 1989, 7020: die hebräische Philologie (eine Sammlung
wichtiger Aufsätze zu diesem Gebiet wird von W. Bernhardt vorbereitet
) und die Erforschung der Geschichte und Theologie des
Judentums in der „zwischentestamentlichen", spätantiken Epoche
- wobei ihm seit seiner nach wie vor bedeutsamen Disserta-
t'on „Hellenistisches in der rabbinischen Anthropologie" (1935,
gedruckt 1937) die rabbinische Überlieferung ebenso vertraut
war wie, sehr bald nach ihrer Entdeckung, die Texte aus Qumran.

Bis zu seiner Berufung nach Jena (1947) war R. Meyer, unter
anderem ein Schüler von Johannes Leipoldt, vorrangigauf neute-
stamentlichem Gebiet tätig gewesen; an G. Kittels „Theologischem
Wörterbuch zum NT" arbeitete er von dessen drittem
Bande (1938) an bis zum Band 9 (1973) ständig mit. Seine aus
Vorarbeiten zum Artikel 7tpo(prjTT|<; entstandene Untersuchung
..Der Prophet aus Galiläa" (Leipzig 1940; Neudruck Darmstadt
1970) wollte seinerzeit zweierlei bewußt machen: daß eine alte
Schicht der vorsynoptischen Jesustradition Jesus als Propheten
schilderte, und daß das rabbinische, bis in unser Jahrhundert hinein
weithin als gültig angesehene Dogma von der „prophetenlosen
" Zeit des Judentums nach der Rückkehr aus dem Exil bzw.
nach Alexander dem Großen mit der geschichtlichen Wirklichkeit
dieser Epoche des Judentums nicht übereinstimmt. Die oben
genannte letzte Arbeit Meyers nimmt dieses Thema noch einmal
auf und bietet die Zeugnisse von und über das Charismatiker-
und Prophetentum in der Qumrangemeinde (vor allem der Moresedek
- dazu s. unten), in der jüdisch-alexandrinischen Theolo-
g'e (auch Philon zeigt nach M. echte charismatische Züge) und -
vor allem nach Josephus - für vielfaltiges Auftreten von Sehern
und Propheten bis hin zu Messiasprätendenten in vor- und urchristlicher
Zeit dar.

Auch an dem Abbau eines anderen „Dogmas" hat R. Meyer
m'tgearbeitet. In dem Aufsatz „Die Figurendarstellung in der
Kunst des späthellnistischen Judentums" (1949, im vorl. Band
S. 21-39) bespricht er angesichts der inzwischen bekanntgewordenen
Bildfunde aus Synagogen (insbesondere von Dura Euro-
Pos) die Äußerungen sowohl des Josephus wie auch der Rabbinen
zu den Fragen um Verbot und tatsächliche Ausführung figürlicher
Darstellungen, wobei sich ergibt, daß die Vorstellung von
der absoluten Bilderfeindlichkeit des (spätantiken) Judentums
zwar einige rabbinische Autoritäten für sich hat, aber ansonsten
^ne Abstraktion ist. (Die 1949 von W. G. Kümmel besorgten
'^beigaben müssen aus technischen Gründen fehlen; sie sind
aber für das Hauptanliegen des Aufsatzes nicht entscheidend
wichtig, und sie wären auch angesichts mancher weit besserer
ledergaben in neueren Bildbänden nicht mehr „konkurrenzfähig
" gewesen.)

Der älteste Aufsatz (von 1935), in einer Zeit geschrieben, da in
eutschland „das Judentum" unter anderem als arbeitsscheu
verunglimpft wurde, behandelt „Das Arbeitsethos in Palästina
Zur Zeit der werdenden Kirche" (11-20); ein weiterer (1947
erschienen) den „Am ha-Ares" Judäas und Galiläas in religionssoziologischer
Betrachtung (21-39). Eine kleinere Studie (von
19 und die gewichtige Akademie-Abhandlung von

°5 (13o_ 187) behandeln das Phänomen des Pharisäismus (die
Ergebnisse sind auch in den Artikel «Daptaatoq in ThWNT IX,
~36 eingegangen, zu dem R. Meyers Schüler Hans-Friedrich
eiß - wie zur genannten Akademie-Abhandlung - den Teil über
as pharisäerbild im Neuen Testament beisteuerte).
Zu den Qumran-Texten wurde die bahnbrechende Abhandung
über „Das Gebet des Nabonid" (1962) aufgenommen (71 -
' sowie der Aufsatz über „Melchisedek von Jerusalem und

Moresedek von Qumran" (1965; 188-195), in dem Meyer entgegen
der geläufigen Wiedergabe von Moresedek mit „Lehrer der
Gerechtigkeit" die Auffassung begründet, daß die „Genitiv"-
Verbindung im Sinne eines genitivus qualitatis zu verstehen, also
mit „rechter/wahrer Lehrer" wiederzugeben ist (ohne daß damit
alle Bedeutungsinhalte der Wendung erfaßt wären) - ein schönes
Beispiel der vom Ugaritischen bis zu den tiberischen Masoreten
ausgreifenden philologisch-interpretatorischen Gelehrsamkeit
Meyers. Den Band beschließen die „Bemerkungen zum literar-
geschichtlichen Hintergrund der Kanontheorie des Josefus"
(1974; 196-207), mit denen Meyer das Thema seines Beitrags
über „Kanonisch und apokryph im Judentum" von 1938
(ThWNTIII, 979-987) noch einmal aufgreift und dessen Ergebnisse
nun vor allem um die Erkenntnisse erweitert, die sich aus
den Qumranfunden ergeben haben und die die Kanontheorie des
Josephus geschichtlich in Frage stellen.

Man hätte gern noch weitere einschlägige Arbeiten Rudolf
Meyers wieder abgedruckt gesehen, so z. B. ergänzend zu dem
zuletzt genannten den Aufsatz über „Die Septuaginta-Fassung
von Psalm 151,1-5 als Ergebnis dogmatischer Korrektur" aus
der Festschrift für L. Rost (Berlin 1967) - aber mehr war unter
den zur Zeit der Herausgabe des Bandes noch begrenzten Umständen
nicht möglich. Der Hgn. ist jedenfalls herzlich zu danken
für diesen wertvollen Band, derein gewichtiges Stück der Lebensarbeit
Rudolf Meyers erneut zugänglich und damit auf weitere
Zeit wirksam macht.

Der Rez.. der die Freude hatte. Rudolf Meyer in seinen letzten Lebensjahren
noch persönlich kennenzulernen und manches gute Gespräch mit
ihm führen zu können, war verwundert, im Register, das den Band erfreulich
aufschließt (209-226), auf S. 218 den Toraauslcger Aristobulos als „ Ps-
Aristobul" annonciert zu finden. Für diesen kleinen Schönheitsfehler ist
weder R. Meyer selbst (204!) noch - wie sie mir mitteilte - die Hgn. verantwortlich
; es verbirgt sich dahinter jedenfalls keine inner-jenensische Kontroverse
, vielmehr wollte offenbar ein Verlagslektor diesen Aristobul von
dem zuvor aufgeführten gleichnamigen König irgendwie unterscheiden
(wobei auch nicht ersichtlich ist, warum Aristobul II. zum Teil - und gegen
den Text S. 44 - zu einem „Aristobul III." avancierte).

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Otto, Wolfgang [Hg.]: Freiheit in der Gebundenheit. Zur Erinnerung
an den Theologen Ernst Lohmeyer anläßlich seines
100. Geburtstages. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990.
191 S., I Taf. 8. Kart. DM 28,-.

Die 100. Wiederkehr des Geburtstages von Ernst Lohmeyer
(geb. 8.7.1890) fiel in eine Zeit, in der es möglich wurde, auch am
Ort seines fruchtbarsten Wirkens und seines tragischen Todes im
Herbst 1946, des ersten Nachkriegsrektors der Universität
Greifswald und großen Neutestamentiers zu gedenken. Hatte die
vor 40 Jahren erschienene Gedenkschrift „In memoriam Ernst
Lohmeyer" (Stuttgart 1951) Weggefährten und Schüler vereint,
so bietet der vorliegende Band stark persönlich bezogene Beiträge
von Angehörigen und Verehrern Lohmeyers aus der nachfolgenden
Generation.

Vorangestellt sind zwei Stücke, in denen der große Mensch und
tiefschürfende Theologe selbst zu Wort kommt. Am Anfang steht
ein Brief an Martin Buber aus dem Jahre 1933, in dem er die Solidarität
des christlichen Theologen zur jüdischen Gemeinschaft
bekenntnishaft zum Ausdruck bringt (15-17). Es folgt der unvergessene
Beitrag zur Entmythologisierungsdebatte „Die rechte
Interpretation des Mythologischen" (= KuM I, 139-149), wo er
im Zeichen eines an Plato geschulten Verständnisses der Dialektik
von Mythos und Logos gegen Bultmann betont, „daß es Gott
gefallen hat, eben im Mythos sich zu offenbaren." (18-35).

Ganz persönlich gehalten ist die Erinnerung an den Vater von
Gudrun Lohmeyer-Otto, in der der Breslauer und Greifswalder
Jahre bis hin zum schweren Ende gedacht wird (36-52). - Die