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Ausgabe:

1992

Spalte:

382-383

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Drewermann, Eugen

Titel/Untertitel:

Gespräche über die Angst 1992

Rezensent:

Martin, Gerhard Marcel

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

382

- Das Handeln von Seelsorgern und Seelsorgerinnen ist nicht niger tiefbewegt als die Autoren des Handbuchs, diktiert er den
an das Priesteramt gebunden, ist kein sakramentales Handeln, Verzicht auf „Monopolansprüche" als Vermittler der Gnade
(12ff); für Priester und Ordenslcute wird die Devise ausgegeben: Gottes (71), den Abschied von „flächendeckender Sakramenten-
„ Mensch werden, um Seelsorger zu sein" (201). Gefragt ist von Versorgung" (57) und von der Exklusivität der Priesterweihe und
solchen Seelsorgern also vornehmlich psychosoziale Handlungs- predigt einen „neuen Geist der Demut und des Dienens" (69).
kompetenz. Denn die zentrale Aufgabe des Priesters ist es nach Schellenber-

- Voraussetzung jeden Kontaktes ist die „Bereitschaft zu einem ger, „die Gnade und Zuneigung und Anwesenheit Gottes in unse-
offenen, von jeder Verurteilung freien Gespräch" (139), Berater rer Welt, und damit die Erlösung, die uns Jesus Christus gebracht
und Klient bewegen sich in einem quasi herrschaftsfreien Raum. hat, zu feiern und verkünden; die Menschen spüren zu lassen: Ihr

- Ziel der Seelsorge ist nicht zum wenigsten das immanente seid kostbar, ihr seid geliebt, ihr werdet begleitet, ihr werdet geGlück
und Wohlbefinden des einzelnen (A. Grün: „den Men- tragen" (44), „den Menschen zu helfen, ihr wahres .Selbst', ihre
sehen eine neue Lust am Leben vermitteln" (105) bzw. die Hilfe Berufung, ihr Format, das Gott ihnen zugedacht hat, zu fin-
zu einer eigenständigen Lösung eines Konflikts und zu authenti- den ... So bestünde unser Dienst im Mit-hören und Mit-suchen
scher Erfahrung mit sich selbst, eine Hilfe zum Umgang des Men- nach dem Willen Gottes; im Unterscheiden der falschen Schuld-
schen mit seiner „Sehnsucht nach dem Gelingen seines Lebens" gefühle von echten Sünden; im Durchschauen der Sünden auf die
(112). Sünde, deren Symptome sie sind." (43) Eine solche Kompetenz

Diese wenigen Hinweise lassen bereits reichlich Zündstoff im würde als helfende, heilsame und befreiende Autorität erfahren
Verhältnis der beratenden zur traditionellen Seelsorge erkennen, werden. Dazu aber dürfte sich die Kirche nicht „an der ratio-
Mit einer Diskussion dieser Differenzen aber tut sich das Hand- nellen Organisation eines modernen Dienstleistungsbetriebs
buch schwer, aus zwei Gründen: Zum einen ist auch die Grundle- orientieren und Seelsorge zunehmend auf ein unpersönliches flä-
gung dem Diktat der Artikel-Einteilung unterworfen und auf fünf chendeckendes Sakramenten-Service-Unternehmen" (53) beAutoren
verteilt worden; ausgeschlossen ist somit von vornher- schränken. Sie müßte vielmehr wie eine Art „Versicherungs-
e'n eine längere prinzipielle Diskussion von Fragen, die dieses unternehmen" einen Kundenstamm aufbauen (53), der Priester
Handbuch aufwirft, die nach dem Verhältnis von Priesteramt als Diener und Bruder und Begleiter einer überschaubaren An-
und Seelsorge-Funktion in der Beratung oder nach dem Verhält- zahl von Christen.

nis der Institution Kirche zur Caritas. (Das Sachgebiet führt die Der Unterschied im Verständnis von Begleitung liegt damit

Begriffe „Priester" nur im Kontext von „Begleitung von Prie- offen zutage, der Psychotherapeut und einfühlsame Begleiter in

Stern" und „Kirche" in der Rubrik „kirchliche Berufe"). Konflikten hier, der Mitmensch im Alltag dort, der speziell gebil-

Zum anderen dominiert der erfahrungswissenschaftliche An- dete Psychologe-Pfarrer im Handbuch, der Generalist bei Schel-

satz die Reflexion derart, daß der Theoretiker sich für seinen not- lenberger:.....auf jeden Fall sollten sich die normalen Seelsorge-

wendigen Beitrag fast entschuldigen muß, den wahren Charakter priester gerade nicht spezialisieren auf bestimmte Zielgruppen

seiner Theorie zu verschleiern sucht: „Ich möchte nicht theoreti- und Aufgabenfelder, sondern sollten in einer überschaubaren

s'eren ..., sondern Charakteristika benennen, die... Caritasleute Gemeinschaft von Menschen alle Lebensvollzüge ... mittragen

den Seelsorgern voraus haben____(Sie) haben von Haus aus mehr und vertiefen (58). „ Bei diesem Dienst geht es nicht nur um ein

^ut, diesen „descensus ad inferos" mitzuvollziehen. Ihre hohe Wissen von letzten Werten, sondern um ein Leben aus diesen

berufliche Spezialisierung ist insoweit und theologisch betrach- letzten Werten und ein Wahrnehmen und Erleben dieser Werte

'et. Folge und Ausdruck ihrer Bereitschaft, wie Jesus „den letzten im eigenen Leben." (59).

P'atz" einzunehmen, den Platz der Fußwaschung. Wer heute Schellenbergers Vision klingt außerordentlich sympathisch.

acht Stunden in der Station für desorientierte alte Menschen oder aber bisweilen beschleicht den Leser der Eindruck, hier könnte

ln einem Heim für Mehrfachbehinderte aushält, hat jedem aka- eine Idylle zum Modell stilisiert werden. So stellt sich die Frage

Gemischen Theologen einen Leidens- und Erfahrungsvorsprung von neuem: Was heißt Begleiten? Was ist Seelsorge? Ist das Hand-

v°raus, der in Theologie und Kirche Gehör verdient. Er besitzt buch mit seinem Angebot einer auf den Einzelfall zugeschnit-

e'ne Autorität, die ihm kein Diplom und keine Weihe zu geben tenen Begleitung nicht doch realistischer, auf die Interaktions-

vermag. Von ihm bzw. von ihr kann man nur lernen." (35) weisen unter großstädtischen Lebensverhältnissen treffender

Von einer solchen Position aus ist eine differenzierende Kritik ausgerichtet? Der Leser ist zum Mitdenken herausgefordert!
Psychologischer Interpretations- und Handlungsangebote nicht

mehr möglich, zumal die bedenkenswerte theologische Deutung Stuttgart Reinhard Schmidt-Rost

der Beratungsseelsorge von J. Blattner (42ff) mit den anderen

Beiträgen des Handbuchs nicht vermittelt wird.

2. Ist das Handbuch eher ein Gegenentwurf, so zeigt sich der Drewermann( Eugen_ u Jurgen JeziorowSki: Gespräche über die

"icht von B. Schellenberger bereits äußerlich als eine scharfe Angst Gütersloh: Mohn 1991. 122 S. 8 = GTB/Siebenstern,

*-r'tik traditioneller Seelsorgepraxis (Grashalm im Wüstensand 1296. Kart. DM 14,80.

als Umschlag-Illustration), obwohl er der Form nach lediglich ein

subjektiver Erlebnisbericht ist. Aber schon diese Form hat Me- Die von Umfang und Aufbau überschaubare und anspre-
jhode: der Bericht entgeht den Zwängen humanwissenschaft- chende Original(taschenbuch)ausgabe ist eine der zahlreichen
'eher Hypothcsenbildung, die eine Verengung der Betrachtung Kurztexte von und zu Drewermann (=D.), die derzeit auf dem
auf Symptome und Probleme, auf Situationen und Gefühlslagen Markt erscheinen. Der Journalist und Oberkirchenrat J. Jezio-
^'t sich führen. Schellenberger beschreibt „den geistlichen Not- rowski bietet eine in manchen Passagen sehr aktualistische Ein-
^and", wie er ihn erlebt hat, kritisch engagiert gegen eine Kirche, leitung. In der inhaltlichen und formalen Mitte des Buches findet
le >n Gefahr ist, „als letztes totalitär verfaßtes System in der sich ein 54 seitiges Interview mit D., das trotz und bei der beab-
e,tgeschichte übrig (zu bleiben)" (72). Sarkastisch schildert er sichtigten Zentrierung auf lutherische Traditionen (gesprächs-
le Entwicklung der Sonntagsgottesdienste von einer sichtbaren weise und noch einmal) D.s Grundansichten zu seinem alles
. estalt der Gemeinde zu einer „Serie von Meß-Angeboten zu focussicrenden Thema Angst präsent setzt; in diesem Zusam-
J,eder Tageszeit, damit kein Individuum mit der Ausrede daher- menhang tauchen andere wesentliche Stichpunktc auf und ab:
0nirnen kann, es habe seine Sonntagspflicht nicht erfüllen kön- Sünde/Kirche/Rechtfertigung/Gott/Seelsorge. Es folgt ein Äbten
" (49) Von menschlichem Leid und Trostlosigkeit nicht we- druck zweier Interviews (aus den Evangelischen Kommentaren