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Ausgabe:

1992

Spalte:

368-369

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Graf, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Profile des neuzeitlichen Protestantismus ; 1.Aufklärung - Idealismus - Vormärz 1992

Rezensent:

Greschat, Martin

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

368

beitet hat: Bibelstellen, Autorenverzeichnis (unterteilt nach
Autoren, die NvK genannt hat; die von den Editoren erwähnt
werden und die über die Predigten des NvK geschrieben haben),
ein Verzeichnis anderer Namen, Wortindex und Verzeichnis der
Codices. Beim Wortindex fällt angenehm auf, daß H. Pauli sich
auf das Wesentliche beschränkt hat. Damit wird man gut arbeiten
können - und das sollte Maßstab sein für die weitere Editionsarbeit
, nicht nur an den Predigten. Stichproben erwiesen die
Zuverlässigkeit.

In der Praefatio generalis geht R. Haubst als Direktor des Instituts
für Cusanus-Forschung auf das ganze Predigtcorpus und auf
die Methode der kritischen Edition ein. Ich möchte hervorheben
:

Schon zu seiner Zeit galt NvK als „bedeutendster Interpret
und Lehrer der christlichen Theologie... in seinen Schriften und
Predigten". Von 1430 an hat er gepredigt, also schon Jahre vor
seiner wohl Ende der dreißiger Jahre erfolgten Priesterweihe. Die
Predigten liegen, mit Ausnahme einer Auslegung des Vaterunsers
in moselfränkischer Sprache, auf Lateinisch vor und sind von
ganz unterschiedlicher Länge. Er muß also auch alle Predigten,
die er auf Deutsch gehalten hat, lateinisch ausgearbeitet haben.
J. Koch hatte bereits behauptet, „daß die lateinischen Entwürfe
uns kein Bild davon geben, wie er zum Volk gepredigt hat". Das
gilt vor allem von seinen Predigten, die er auf der Legat ionsreise
durch Deutschland (1450/51) gehalten hat, zu denen die Massen
strömten. Oder wollten sie nur den berühmten Kardinal sehen?
Aber in den Entwürfen steht oft „notandum, item, item" bzw.
„nota, nota" etc. Es muß also angenommen werden, daß er die
uns vorliegenden Predigten so nicht gehalten hat. Einige von
ihnen haben auch einen Umfang, Form und Aufbau eher eines
Traktates (z. B. De aequaiitate, De principio). Andere sind wieder
ganz kurz.

Bisher waren - in den Ausgaben von Faber Stapulensis (1514)
und H. Petri (1565) - nur einige Predigten gedruckt worden. Die
meisten lagen bisher nur als Autographen oder Kopien handschriftlich
vor und waren kaum bekannt. In den Cusanus-Texten
waren nach 1929 einige bereits ediert worden.

Im Aufbau ähneln sie sich. Zuerst führt NvK das biblische oder
liturgische Thema an, dann ruft er die Hilfe Gottes und die Fürsprache
Marias an, darauf führt er in das Thema ein und schließlich
benennt er die Teile. NvK kennt die spätmittelalterliche ars
praedicandi genau. Aber er folgt nicht sklavisch den homiletischen
Regeln. Auf einer Synode seiner Diözese Brixen (1455)
lobt er „die Prediger, welche sensu suo in der Kirche reden14 über
die, „welche in fremder Sprache reden" und rühmt: „Sensu suo
reden, d. h., aus dem ihm eigenen Verstand (intellectus) die Worte
des Lebens vorzutragen. Das erbaut und nährt." Aber er unterstellt
, daß, wenn er auch der menschlichen Intelligenz viel zutraut
, doch entscheidend bleibt, daß der Prediger durch den
Geist göttlicher Weisheit den Verstand mit dem Lebensbrot
nährt.

Einige Predigten sind für die Theologie des NvK von entscheidender
Bedeutung. So enthält die Predigt „Paraclitus autem"
(1444) am eingehendsten die das ganze Werk des Hl. Geistes einbeziehende
Pneumatologie des NvK. Sie liegt übrigens in vier
Entwürfen vor.

Vor allem in seiner Diözese hielt er dann Predigten, die das
ganze NT homiletisch und paränetisch auslegten, also nicht nur
die Evangelien, sondern auch die Episteln. Er schuf so etwas wie
eine „theologia sermocinalis" (De sapientia II, 29),' um auch
subtilere Gedanken darlegen zu können. De aequaiitate und De
principio stellen Colloquia dar, die er mit seinen Hörern veranstaltet
hat, Bibelstunden hochspekulativer Art.

Schließlich begründet R. Haubst die neue chronologische Reihenfolge
der Predigten, die von der von J. Koch 1942 vorgelegten
(CT 1/7) erheblich abweicht. Zuletzt begründet er das Editionsverfahren
. Ein Überblick über die Zählung der Predigten, ein Abkürzungsverzeichnis
und ein Index der sog. Sammelstellen ist
beigefügt.

Viel kürzer ist die Einführung zu Band 1. Hier werden die einzelnen
Predigten vorgestellt.

Zuletzt eine Anmerkung des Rezensenten: Die opera omnia
erscheinen nun seit über 60 Jahren. Noch immer hält man an den
alten Editionsprinzipien fest. Das bedeutet, daß der ganze Apparat
, aber auch die Vorworte in lateinischer Sprache verfaßt sind.
Gewiß ist die Ausgabe für die wissenschaftliche Forschung bestimmt
, für den Lehrbetrieb liegt die zweisprachige Ausgabe in
der „Philosophischen Bibliothek" vor. Aber wenn man die jüngere
Generation an die Forschung heranführen will, würde man
ihr die Arbeit erleichtern, wenn eine neue Sprache verwendet
wird - und da NvK Deutscher war und das Zentrum der gewiß internationalen
Cusanus-Forschung in Deutschland liegt, legt sich
das Deutsche nahe. Ein Summarium in englischer oder auch
lateinischer Sprache wäre dann sicher eine Bereicherung.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

' Über die „theologia sermocinalis" bei NvK vgl. meinen Beitrag in der
Festschrift für K. Flasch, Historia Philosophiae Mcdii Acvi. Amsterdam
1991: „Theologia mystica - theologia facilis - theologia sermocinalis bei
NvK" bzw. die Ausführungen von R. Haubst in MFCG 1 I. 1975.245-247.
Thomas Penker, ein Zeitgenosse von NvK. verfaßte eine „ars sermoci-
nandi".

Kirchengeschichte: Neuzeit

Graf, Friedrich Wilhelm [Hg.]: Profile des neuzeitlichen Protestantismus
. 1: Aufklärung, Idealismus, Vormärz. Gütersloh:
Mohn 1990. 329 S. m. 12 Abb. 8 - GTB/Siebenstern 1430.
Kart. DM 39,80.

Gestalten der Geschichte wie auch der Kirchengeschichte, historische
Individuen und Persönlichkeiten sind gegenwärtig ganz
offenkundig wieder sehr gefragt. Nachdem es vor einer Reihe von
Jahren wissenschaftlich noch als einigermaßen problematisch gegolten
hatte, Biographien zu schreiben, scheint gegenwärtig - zumindest
bei vielen Verlagen und vor allem wohl bei Käufern und
Lesern - von dieser Zurückhaltung kaum noch etwas geblieben
zu sein. Dagegen wäre gewiß wenig einzuwenden, ließe sich dem
neu erwachten literarischen Interesse an biographischen Darstellungen
die Berücksichtigung der Fragen und Ergebnisse der in
der Zwischenzeit geführten intensiven wissenschaftlichen Diskussion
über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft,
die Relevanz von Strukturen, kurz die Bedeutung der Sozial- und
Mentalitätengeschichte attestieren. Ob das wirklich generell der
Fall ist, mag man bezweifeln. Doch fraglos gehört dieses Buch zu
den nicht eben häufigen theologischen Publikationen des genannten
Genres, in dem die erwähnten theoretischen Überlegungen
ernsthaft einbezogen worden sind.

In seinem ausführlichen Vorwort „Protestantische Theologie
und die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft" (11-54) gib'
der Hg. dem Leser darüber Rechenschaft. Zu Recht wird der
Übergang des konfessionellen Protestantismus zum Neuprotestantismus
hier in den Kontext des Werdens des neuzeitlichen
Bürgertums gerückt. Das bedeutet: Bei diesem Prozeß handelt es
sich nicht allein um Theologie, sondern um einen wesentlichen
Teil der allgemeinen Kulturgeschichte, mit Einschluß der poli"'
sehen Dimension. Mit der Veränderung des bürgerlichen Lebensstils
veränderten sich auch das Selbstverständnis sowie die Rolle
des Pfarrers, wandelten sich Konzept und Funktion der Religio0,