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Ausgabe:

1992

Spalte:

357-359

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hare, Douglas R.

Titel/Untertitel:

The son of man tradition 1992

Rezensent:

Bietenhard, Hans

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

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send von einer bestimmten Position des Vf.s im Koordinatenfeld Probleme erschienen. Es hat sich dabei gezeigt, daß bei aller Sorg-

der einschlägigen Forschung gesprochen werden. Man wird die falt und philologischer und exegetischer Gelehrsamkeit Schwie-

Arbeit zu ihrem Thema und zu den ausführlicher besprochenen rigkeiten, Widersprüche und Aporien geblieben sind. Auf der

Texten immer wieder mit Gewinn zu Rate ziehen. einen Seite wurde die Meinung vertreten, daß Jesus, wenn er die-

Wegen dieser Pluralität der Probleme und der Ergebnisse der sen Ausdruck gebrauchte, nicht sich selbst damit meinte, sondern

Untersuchung ist es besonders zu begrüßen, daß der Band außer einen anderen Kommenden; oder es wurde vermutet, daß mit

dem obligatorischen Literaturverzeichnis (356-378) auch ein dem Ausdruck durch die Urgemeinde eine Gestalt bezeichnet

Register mit Autorcnnamen (379-383) und Bibelstellen (384- würde, die in der jüdischen Apokalyptik mehr oder weniger ge-

393), zweispaltig enthält. Die - offenbar vom Autor geschriebene läufig gewesen sei, bzw. erwartet wurde. Zeugnisse dafür wurden

- Druck vorlage ist mustergültig; störend ist nur, daß der benutzte in den Bilderreden des äthiopischen Henoch und im 4. Buch Esra

Computer-Zeichensatz bei den griechischen Wörtern eine unüb- gefunden. Strittig war auch, ob die Menschensohn-Stellen auf

liehe Form des Circumflex verwendet. Jesus zurückgehen, in denen der Ausdruck in Verbindung mit der

An Einzelergebnissen verdient vielleicht hervorgehoben zu Verkündigung des Reiches Gottes durch Jesus vorkommt, oder

werden, daß das in 2Kor 12,8 bezeugte Gebet zu Jesus sich als sin- ob hier gerade geschieden werden muß. Auch war und ist die

guläre Ausnahme erweist, - im Gegensatz zu einer verbreiteten Frage strittig, welcher aramäische Ausdruck dem griechischen

christlichen Gebetspraxis, in der die Anrufung Gottes, des Ausdruck (ho hyiös tou anthröpou) zugrundeliegt - denn sicher

Vaters, hinter dem Gebet zu Jesus, dem Herrn, zurücktritt, was ist ja, daß es sich bei diesem Ausdruck um eine ungriechische

lach Phil 2,11 der Intention der neutestamentlichen Christologie Wendung, also um Übersetzungsgriechisch handelt,

widerspricht (vgl. 114-123 und 200). Der Ausdruck „Gebet zu Die ganze Situation kann in der hier vorliegenden Bespre-

Jesus" muß allerdings im Sinne von „konkretes Bittgebet mit chung nur sehr skizzenhaft und andeutungsweise vorgeführt wer-

mdividuellem Anliegen" präzisiert werden; denn die Bitte um den - man könnte (und das ist auch schon geschehen) eine eigent-

das (eschatologische) Kommen des Herrn in dem Gebetsruf Ma- liehe Forschungsgeschichte des Problems schreiben. Hare tut das

ranatha (1 Kor 16,22) kann doch auch als ein „zu Jesus Beten" nicht, aber in einem einführenden Kapitel gibt er doch einen

bezeichnet werden. interessanten Ein- und Überblick über die Forschungslage, wie

Etwas überspitzt ist die These zu Rom 15,30f, daß Paulus hier sie sich ihm heute darstellt; kurz gesagt: War und ist „Menschen-
Balles vom Gebet erwartet und darüber hinaus nichts unter- söhn" ein apokalyptischer Titel, oder ist er eine für Jesus typische
nimmt" (179, ähnlich 181 und 183), was zugegebenermaßen (vgl. Selbstbezeichnung?

333 Anm. 579) auf einem Argumentum e silentio beruht. Dage- Angesichts der oben angedeuteten Schwierigkeiten. Differen-
gen ist einzuwenden, daß die persönliche Übergabe der Kollekte zen und Aporien in der Forschung geht Hare einen neuen Weg: Er
durch Paulus und die Beteiligung von Delegierten der Gemein- beginnt nicht mit religionsgeschichtlichen Überlegungen, auch
den zweifellos besondere Anstrengungen darstellen, die den Jeru- nicht mit sprachlichen Untersuchungen zu dem semitischen Hin-
salemern eine Ablehnung der Kollekte schwer machen konnten tergrund des Ausdrucks und seiner Übersetzung ins Griechische;
(und sollten?). Aber diese Gefahr wird vom Vf. auf die Sorge des er beginnt mit der Untersuchung, wie und in welchem Sinn der
Paulus reduziert, „die Sammlung könnte in Jerusalem nicht Ausdruck in der Geschichte der Theologie und der Kirche verehr
so willkommen sein" (178). Doch lohnte es sich, zur bloßen standen wurde. So beginnt das 2. Kapitel (nach der Introduction
Verbesserung einer Stimmung in Jerusalem die römischen Chri- in Kap. 1) „From Ignatius to Barth" (!). Der Ausdruck „Menden
zu einem Gebetskampf an der Seite des Apostels aufzuru- schensohn" wurde nie kerygmatisch gebraucht, er kam auch in
kn? keinem Glaubensbekenntnis vor und wurde nicht als Gebetsan-

Zu Röm 8,26 überzeugt die Zurückweisung der These Ernst rede verwendet. Vor allem die patristischc Literatur verwendet

Käsemanns und anderer, daß das Seufzen des Geistes mit Glos- den Ausdruck, um Jesus als „Menschen" zu bezeichnen,

solalie gleichzusetzen sei (168f.). nicht aber die Annahme, daß Von hier aus wird die Untersuchung zeitlich rückwärts geführt:

das (oacuhtoc, 5e Kai' auf eine andere Tätigkeit des Geistes, nämlich es werden 26 Stellen aus LkEv und Acta untersucht. Dabei wird

auf seine Rolle als änap%r nach V.23 zu beziehen sei. Da hier je- Bultmanns Ergebnis bestätigt, daß im lukanischen Doppelwerk

doch der Geist nicht als handelndes Subjekt erscheint, liegt es der Ausdruck „Menschensohn" kein apokalyptischer Titel ist;

naher, den Vergleichspunkt zu V.26 in den vorher in V.22 und 23 alle Stellen in Lk-Acta, in denen „Menschensohn" vorkommt,

erwähnten Beispielen des Seufzens zu sehen; oder allgemeiner ge- bezeichnen Jesus selbst, ohne daß sie ihn eben damit als gött-

^agt: die Glaubenden erfahren Solidarität sowohl von sciten der liches Wesen oder apokalyptische Gestalt erweisen wollen,

^'tgeschöpfe (V.22) als auch von Seiten des Geistes (V.26). Die zwölf untersuchten „Menschensohn"-Worte aus dem

Daß auf dieser Ebene der Einzelexegese über manchen Vor- JoEv weisen ebenfalls auf den irdischen Jesus.

Sehlag des Vf.s gestritten werden kann, ändert nichts an dem Ge- Nicht anders steht es bei den 26 Stellen aus dem MtEv und den

samteindruck, daß hier eine solide Arbeit vorliegt, die das in den 13 Stellen aus dem MkEv.

j^tzten Jahren viel diskutierte Thema Spiritualität vom Neuen Es ist an keiner Stelle nötig, auf jüdische apokalyptische Texte

estament her beleuchtet und in dieser aktuellen Diskussione Be- zurückzugreifen, um „Menschensohn "-Worte der Evangelien zu

achtung verdient. erklären: gemeint ist immer und überall der irdische Mensch

Jesus in seiner Vollmacht, seiner Begabung mit dem hl. Geist, sei-

Wuppcrtal Klaus Haacker ner Sendung; eben das war auch der Sinn des aramäischen Ausdrucks
, der der griechischen Wendung zugrundeliegt.
Mit alledem ist nicht ausgeschlossen, daß es „Gemeindebil-

Ha'e, Douglas R. A.: The Son of Man Tradition. Minneapolis: düngen" gibt: Worte, die nachträglich als „Menschensohn"-

F°rtress Press 1990. XIV, 316 S. gr.8 . Worte stilisiert wurden; als Beispiel dient vielleicht Mt 25.31 ff.

Die Untersuchung von Hare stützt sich auf eine umfangreiche

^ J|e in den Evangelien vorkommende Wendung „Der Sohn des Bi

enschen"/„Menschensohn" hat seit längerer Zeit die beson- man fragt sich allerdings, warum Studien aufgeführt werden, die

^Die in den Evangelien vorkommende Wendung „Der Sohn des Bibliographie, was sehr verdienstlich und anerkennenswert ist;

enschen"/„Menschensohn" hat seit längerer Zeit die beson- man fragt sich allerdings, warum Studien aufgeführt werden, di<

re Aufmerksamkeit der Exegeten in Anspruch genommen; be- die grundlegende These des Vf.s untermauern könnten, abe

nders in den letzten Jahren ist eine ganze Anzahl von Werken nicht beachtet oder verwertet werden. Es kann ja doch wohl nich

d Studien über diesen Ausdruck und die damit verbundenen der Sinn einer Bibliographie sein, einfach eine Liste mit einschlä