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Ausgabe:

1992

Spalte:

356-357

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gebauer, Roland

Titel/Untertitel:

Das Gebet bei Paulus 1992

Rezensent:

Haacker, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

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alte Tradition 1 Kor 15,3-8(110) zeigt immerhin, daß die dort genannten
, Paulus weithin bekannten Personen überzeugt waren,
den Auferstandenen gesehen zu haben (1 Kor9,1!), obwohl Auferstehung
eines Toten (nicht Erhöhung eines Lebenden) vor dem
jüngsten Tag kaum vorstellbar war (vgl. auch 65f, 153). Doch sind
Halluzinationen denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich. Daß
„Christus", „Herr" und „Gottessohn" zunächst in Apg und
Rom 1,4 von Ostern her datiert werden (106, 111), ist richtig. Zu
diskutieren wäre, ob Jk2,2 die jüdische Synagoge meint
(Hb 10,25!), ob Simon in Samarien wirklich eine Messiasgestalt
war (109f, 167), ob „maranatha" von Anfang an die Parusie visierte
(110) oder das richtende Kommen des Erhöhten in die Gemeinde
(IKor 16,22a; Off22, 18f; Did 10,6c!), ob Mk 14,22-25
(111) oder (m.E.) IKor 11,23-25 inhaltlich (nicht stilistisch)
älter ist, ob Phil 2,6-11 wirklich durch Adamtypologie bestimmt
ist und mit Kol 1,15-20 noch keine volle göttliche Präexistenz
bezeugt (112-117, vgl. 134: auch nicht IKor8,6). Die paulini-
sche Christologie (Kap. 8, 121-140) übernimmt für die Heidenchristen
nur noch 1 1/2 Identitätsmerkmale des Judentums (Monotheismus
und [neu interpretierte] Schrift, 123) dafür wird
Jesus Christus (Versöhner, sündlos, Garant der Auferstehung
[obwohl Paulus schon als Jude daran glaubte, 132!]) zum zentralen
Merkmal (1260- Grundlage der Ethik wird die Taufe statt des
Gesetzes (127-129), wobei „in Christus" nicht korporativ zu
verstehen ist (1290, was freilich umstritten ist. Erst recht hält das
Abendmahl die Gemeinde zusammen (1310- Die Titel Jesu
sagen nichts über seine Gottheit aus. Gal4,4 halte ich allerdings
wie Rom8,3; Jo3,16.17; Uo4,9 für vorpaulinisch und wohl
Präexistenz voraussetzend3. Paulinische Christologie ist sicher
durch den Monotheismus begrenzt, auch wenn sie, weil statt dem
Gesetz eine andere Grundlage nötig ist, alle bisherigen jüdischen
Aussagen übertrifft (136-138). Das ist bei Jo nicht mehr der Fall
(Kap.9,141-161), wo Jesus „Gott" genannt wird (156-159).
Dies ist noch nicht so in Off, obwohl das geschlachtete Lamm im
Himmel angebetet wird (141-143), Hebr (trotz 1,8 [und 10],
143-146), IPt (Präexistenz 1,11) und den Synoptikern (147-
156). Das Messiasgeheimnis verhalf m.E. schwerlich dazu, „höhere
" Christologie einzugliedern (149), und die Selbstidentifikation
des Matthäus als Jude (1540 ist durch die betonte Rede von
„ihren Synagogen" und die Übernahme von 15,11 (trotz V. 20)
doch etwas eingeschränkt.

Bedrängend ist das letzte Kapitel (162-181). Jesus lebte in
der jüdischen Kultur, die Kirche als ganze nicht mehr; in ihr tritt
er als Fundament der Ethik an die Stelle des Gesetzes; in der Auseinandersetzung
mit dem Judentum wird er „Gott" genannt
(162), was weder gläubige Juden noch Jesus selbst glauben könnten
(159). Das wird in einer Analyse des Chalcedonense entfaltet
(162-168). Das Tragische an dieser Situation ist, daß wir vom
Hellenismus her in der Kategorie der Substanz denken lernten
und das selbstverständlich immer voraussetzten. Das hat sich
geändert. So verschiedene Theologen wie (D. Bonhoeffer), E.
Jüngel, H. Küng, J. Moltmann, K. Rahner, E. Schillebeeckx, P.
Tillich4 sind darin einig, daß „Gottes Sein im Werden ist" (Jüngel
), weil Gott Leben ist und nicht eine Sache, daß man also Trini-
tät heute „ökonomisch" fassen muß. Auch ein irdisches Lebewesen
kann man streng gefaßt nicht definieren. Objektive Aussagen
wie Größe, Gewicht sagen nichts Wesentliches aus und wechseln
auch. Man kann nur von ihm erzählen, um es jemandem nahe zu
bringen. Die Rede von Gott als Vater, Sohn und Geist ist gerade
der Verzicht auf eine objektive Definition. Sie erzählt, wie Gott
seiner Welt begegnet. Damit ist die fürchterliche Schuld der Kirche
gegenüber den Juden nicht aufgehoben, und damit ist auch
der Unterschied zwischen Judentum und Christentum in keiner
Weise beseitigt; aber der jüdische Partner könnte wenigstens verstehen
, was ich sage. Als Christ müßte ich daran festhalten, daß
für mich die Begegnung mit Gott in Jesus einzigartig bleibt, und

daß er durch seine Auferstehung (vor dem jüngsten Tag) mir als
heute Lebender begegnet. Darum halten auch die genannten Forscher
daran fest, daß gerade diese „ökonomische" Trinität zugleich
die „immanente", zu Gottes Wesen gehörende ist. Für
Casey ist es so, daß die Kirche dies oder jenes „nötig hatte" (sehr
oft!), daß es ihren „Bedürfnissen" entsprach und darum aus diesen
heraus entwickelt wurde (z. B. 92, 94). Das ist Glaubensaussage
wie meine Sicht, daß sich darin die Erkenntnis des jetzt auferstandenen
Christus entfaltete (trotz aller Fehler durch Gottes
Geist geleitet). Einigen könnten wir uns bestenfalls darauf, daß
an sich die Vorstellung „einer Person" ebenso heidnisch ist wie
die „dreier Personen", solange man nicht die (jüdische!) Warnung
beachtet, daß man Gott in kein Bild, ja nicht einmal in
einen Namen einfangen, sondern nur sein Geheimnis erzählend
umschreiben kann.

Zürich Eduard Schweizer

1 D. R. A. Hare. ThcSonof Man Tradition. Minneapolis: Fortress 1990
(S. 56 natürlich noch nicht genannt).

- Sollte beides nicht zutreffen, dann wäre für mich W. G. Kümmels
Sicht die überzeugendste Alternative. Jesus habe einen gängigen Titel aufgenommen
und neu interpretiert (genau wie beim Begriff „Gottesreich"!),
vgl. neuerdings seine gründliche Besprechung aller neueren Beiträge zum
Problem: ThR 56. 1991,391-412.

1 Entgegen S. 134f: NTS 37, 1991, 204-224.

4 Ich habe die Belege zusammengestellt in: B. Jaspcrt [Ed.]: R. Bultmanns
Werk und Wirkung. Darmstadt: Wiss. Buchgcscllschaft 1984. 146.

Gebauer, Roland: Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche
und exegetische Studien. Gießen-Basel: Brunnen 1989.
XIV, 393 S. 8 .

Die vorliegende Erlanger Dissertation aus der Schule von Otto
Merk verspricht und bietet erstens einen weiträumigen Forschungsbericht
über die Behandlung des Themas im. 19. und beginnenden
20. Jh. (5-23), in der Zeit zwischen den Weltkriegen
(24-53) und seit dem zweiten Weltkrieg (54-95). Dem zeitlich
angeordneten Referat der verschiedenen Forschungsbeiträge
folgt eine vor allem an formgeschichtlichen und systematischen
Begriffen orientierte Zusammenfassung (96-112). Ein besonderer
Abschnitt ist der Auslegungsgeschichte von Rom 8,26f gewidmet
(54-63); an späterer Stelle der Arbeit werden „Stationen
der neueren Forschungsgeschichte" zu Phil 1,3-11 dargestellt
(184-189).

Der zweite Hauptteil behandelt unter der Überschrift „ Exegetische
Studien zu zentralen Fragen und Aspekten des Gebets bei
Paulus" sieben Texte zum Thema aus den litcrarkritisch unumstrittenen
Paulusbriefen: Rom 7,24f(l31-143), 8,15f(!44-l63).
8,26f (164-171), 15,30-33 (172-183), 2Kor6,2 (124-130), 12.8
(114-123), Phil 1,3-11 (184-198). Hier werden in der Diskussion
kontroverser Auffassungen außer den Spezialuntersuchungen
zum Thema auch die Kommentare ausgiebig herangezogen-
(Zur Begründung der Textauswahl vgl. S. 11 lf; für IThess wird
auf die Dissertation von G. P. Wiles von 1965 verwiesen.)

Der dritte Hauptteil enthält „Zusammenfassung, Weiterführung
, Ausblick - Grundzüge des paulinischen Gebets" (199-233.
die Anmerkungen folgen auf S. 234-354) und nimmt die meisten
Themen der Forschungsgeschichte (Teil I) in ungefähr gleichet
Reihenfolge wieder auf. Daß diese Zusammenfassung immer
noch die Form einer Aufzählung verschiedener Gesichtspunkte
hat, darf nicht befremden, wo es nicht um ein womöglich in Formeln
komprimierbarcs Thema der paulinischen Theologie geh1,
sondern um einen geistliehen Lebensvollzug des Paulus und der
Urkirche, der im Neuen Testament noch nicht Gegenstand systematischer
Reflexion ist. Darum kann auch nicht zusammenfas'