Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1992

Spalte:

344-345

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Harald

Titel/Untertitel:

Sprachkritik als Ideologiekritik 1992

Rezensent:

Engemann, Wilfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

343

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

344

genen Zeugnisse (bes. Sirach-Prolog; Josephus. contra Apionem I 37-41)
auf dem von Maier dargestellten Hintergrund zu erbitten. Er erörtert vor
allem die rabbinische (also nach 70 diskutierte) Differenzierung der Offenbarungsrelevanz
der verschiedenen Gruppen alttestamcntlichcr Schriften
(15-17) und greift von da aus auf „ Vor-rabbinische Wertungen" zurück
(18-22) - alles für eine dogmatische Formulierung des Kanonbegriffs sehr
erheblich! Aber gerade weil auch hinter dieser Darstellung ein wesentlicher
Umbruch in der Forschung steckt, der dem Nichteingeweihten kaum erkennbar
-weil für den Autor schon völlig selbstverständlich - ist, wäre eine
Auseinandersetzung mit älteren Auffassungen (etwa in den „Einleitungen
" in das AT oder bei R. Meyer, im ThWNT III, 1938, 979-987 - eine im
Artikel krypto wahrhaft „verborgene", aber gehaltvolle Darstellung dessen
, was vor 50 Jahren über „Kanonisch und apokryph" im Blick auf das
AT zu sagen war) erwünscht. Daß die fiktive „Synode von Jamnia", auf der
angeblich der hebräische Schriftenkanon (bis auf geringe Restfragen) „definiert
" worden sein soll - manchmal recht zuversichtlich in das letzte
Jahrzehnt des 1. Jh.s datiert -, das Produkt wissenschaftlicher Legendenbildung
ist, ist wiederum dem Fachmann allzu selbstverständlich; aber es
muß sich außerhalb der Expertenkreise erst herumsprechen. Wer es weiß,
findet bei Maier (I3f und 288) natürlich das Notwendige; aber für das
theologische Allgemeinbewußtsein müßte der Sachverhalt wohl noch ausdrücklicher
dargestellt werden.

Das Buch bildet, wie wohl deutlich geworden ist, eine Mischung
aus theologisch orientierter, Problembewußtsein weckender -
übrigens gut lesbarer - Darstellung einerseits und zum Nachschlagen
brauchbarem Handbuch andererseits. In diesen Bereich
gehören die z.T. sehr instruktiven, z.T. aber wohl allzu spezialistischen
Literaturhinweise (es werden Titel genannt, die dem
theologischen Normalbenutzer - also dem in der Neuen Echter
Bibel angezielten Leserkreis - wohl kaum zu Gesicht kommen
können, auch wenn sie für Spezialisten unentbehrlich sein
mögen). Wie in solchen Fällen üblich, kann man über die Literaturauswahl
oft verschiedener Meinung sein; aber jedenfalls sind
viele Hinweise auf neuere Literatur (die überwiegend genannt
wird) sehr dankenswert. Einzelne Fehler, die mir auffielen, sind
hier nicht aufzuführen. Irritierend ist aber der mehrfach ganz lapidar
erfolgende Hinweis auf „Schürer" (z. B. als „Standardwerk
mit Bibliographien" zum Teil VI A, 141). Welcher Nichtspezia-
list denkt da nicht an das 1901/09 zuletzt von seinem Verfasser
auf den damaligen Stand gebrachte Werk, das doch auch vor 20
Jahren noch nicht überholt war. Maier meint natürlich die von
1973 bis 1987 erschienene (englische) durchgreifende Neubearbeitung
durch M. Black, M. Goodman, F. Miliar und G. und P.
Vermes; diese Namen erscheinen auch nicht bei der (später auf
S. 141 eingeordneten) bibliographisch etwas genaueren Angabe.
Eine Aufnahme im Abkürzungsverzeichnis (mit genaueren Angaben
) wäre nötig; ein leicht handhabbares Siglum ist ein allgemeines
Desiderat (nicht nur für den vorliegenden Band). - Nicht
einleuchtend ist im Kapitel IV A (Schriftliche Quellen) die Absonderung
der Abschnitte 3 und 4 gegenüber 2, da sich praktisch
alle unter 3 und 4 gemeinten (apokryphen und pseudepigraphi-
schen) Schriften schon unter 2, bei der Wiedergabe des Inhalts
von JSHRZ („Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer
Zeit", Gütersloh 1973ff), finden. Ein Werk wie die "Old Testament
Pseudepigrapha" I—II, hg. von J. H. Charlesworth (Erscheinungsort
Garden City, NY - nicht London), gehört exakt unter
dieselbe Rubrik wie die klassischen Sammelwerke von Kautzsch
und Charles. - Das Verweissystem innerhalb des Bandes ist für
den Leser nicht sehr praktisch, es sei denn, es könnten in einer
nächsten Auflage die Kapitel- und Abschnittsmarkierungen oben
auf jeder Seite angegeben werden.

Insgesamt ist den Hgg. der Reihe, aber vor allem dem Autor
selbst für ein sehr gewichtiges Werk zu danken und diesem zu
wünschen, daß es in den Grundbestand theologischer Elementarliteratur
, gerade auch für die Nicht-Bibelwissenschaftler, aufgenommen
werden und intensive Beachtung finden möge!

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Schweizer, Harald: Sprachkritik als Ideologiekritik. Zur Grammatikrevision
am Beispiel von QRB. Tübingen: Francke 1991.
XII, 173 S. 8 = Textwissenschaft, Theologie, Hermeneutik,
Linguistik, Literaturanalyse, Informatik, 1. Kart. DM 68,-.

Während die Methoden und Ergebnisse strukturanalytischer,
semantischer bzw. im weiteren Sinne semiotischer Textforschung
und -interpretation noch nicht einmal bis zu allen theologischen
Fakultäten vorgedrungen sind (die aus der einseitigen
Favorisierung der historisch-kritischen Methode resultierende
Unberührtheit nicht weniger alt- und neutestamentlicher Lehrstühle
verdient in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung
), legt der Alttestamentier und praktizierende Informatiker
Harald Schweizer eine Studie vor, in der bereits neuartige .Register
' der modernen Textwissenschaft gezogen werden. Gleichzeitig
eröffnet der Vf. mit dieser Arbeit im Francke-Verlag eine neue
Reihe von ausgesprochen interdisziplinärem Charakter. Sowohl
das Buch wie auch die nun zu erwartenden weiteren Bände tragen
damit dem sich seit etwa einem Jahrzehnt abzeichnenden Näherrücken
der in der Abkürzung THLI (s.o.) zusammengefaßten
Wissenschaften Rechnung.

Schweizers Sprachkritik dokumentiert sehr anschaulich den
Gewinn solch integrativen Interesses: Sein konsequenter Versuch
, die Funktionen von Sprache gleichermaßen morphologisch
-syntaktisch, semantisch und pragmatisch zu bestimmen
(statt z. B. vordergründig lexikographische Bedeutungen aufzuspüren
), führt ihn zu einer „massiven Kritik an der traditionellen
Grammatik" und schließlich zu einem „neuen Grammatikmo-
dell" (VII). Er zeigt am Beispiel des hebräischen Verbs QRB
(Grundbedeutung im Qal nach ThHzAT: „sich nähern, nahe
kommen"; 1979, II, 675), was es heißt, sich mit Hilfe einer computergestützten
Sondierung morphologischer Phänomene zunächst
darauf einzulassen, lediglich Ausdruckspolential zu kate-
gorisieren. Dabei ermittelt er Regelhaftigkeiten, die - obgleich
sie später zu außerordentlich differenzierten Bestimmungen der
jeweiligen Semantik (113-130) und Pragmatik (vgl. bes. 131-
141) führen (vgl. z. B. 112)-selbst frei von inhaltlichen Einträgen
bzw. Modulationen eines Rezipienten sind.

Darin zeigt sich auch das Besondere des von Schweizer beschriebenen
Umgangs mit den Bestandteilen eines Textes. Es ergibt
sich u.a. aus einem Ausdrucks- und Kontextformen respektierenden
Ansatz: Der Versuch, sprachliche Erscheinungen, die
man von der traditionellen Grammatik her als Verletzung obligatorischer
Formbildungsregeln interpretieren müßte, zunächst als
Erweiterung der Möglichkeiten auf der Ausdrucksebene gelten zu
lassen, bietet eine erste Grundlage, von allzu eilfertigen ideologischen
Interpretationen loszukommen. Sie kommen u.a. dort zustande
, wo man um der Ungebrochenheit einer bestimmten Lektüre
(Perspektive) willen z.B. Tilgungen bzw. Elipsen annimm'
und das „Fehlende" ergänzt.

Der von Schweizer vorgeführte Umgang mit Texten setzt freilich
voraus, in der Sprache zwischen Ausdrucks- und Inhaltsebene
streng zu unterscheiden (6), eine Forderung, die zwar auch
von Seiten anderer Zweige der Text- und Kommunikationsfor-
schung erhoben wird, aber - oftmals aus systematisch-theologischen
Vorbehalten heraus - längst noch nicht als unbestrittene
Prämisse der Schriftauslegung angesehen werden kann.

Die vorgelegte Studie - dies ergibt sich schon aus dem im Vergleich
zu ihrem Programm recht geringen Umfang von 173 Seiten
- setzt freilich gewisse Grundkenntnisse in der Begrifflichken
der modernen Sprachwissenschaft bzw. die Lektüre grundlegender
Schriften z.B. von Julien Greimas, Charles S. Peirce oder
Charles Morris voraus. Aber einmal abgesehen davon, daß man
das Buch ebenso als Herausforderung annehmen kann, sich 'n'
tensiver mit den Möglichkeiten anderer Textzugänge (als ledig'
lieh dem historisch-kritischen) zu befassen, bietet die sorgfältig